Kein Tabu mehr: Männer leisten in der Partnerschaft ihren Beitrag zur Verhütung und haben keine Angst mehr, sich unters Messer zu legen und sich sterilisieren zu lassen. Die Zahl der Eingriffe nimmt jährlich um 30 Prozent zu.
Da die Operation nicht von der Grundversicherung bezahlt wird, gibt es keine offiziellen Statistiken. Glaubt man Dr. Karim Kellou, dem Präsidenten der Westschweizer Urologenvereinigung, ist die Vasektomie jedoch eindeutig auf dem Vormarsch. «Heute führe ich diesen Eingriff etwa einmal pro Woche durch, vor fünf Jahren war es noch alle drei Monate», sagt der Facharzt. Seine Kollegen beobachten das gleiche Phänomen und sprechen von einer jährlichen Zunahme von etwa 30 Prozent.
Lag der Anteil der Frauen, die mit der Pille verhüten, 1992 noch bei 52 Prozent, so ist er laut Bundesamt für Statistik 2017 auf 31 Prozent gesunken. Dieses sieht die Zunahme der Verhütungsmethoden – insbesondere der hormonellen – sowie die Komplikationen, die durch die Östrogen-Gestagen-Pille verursacht werden, als Grund für diese Entwicklung. Dennoch bleibt die Pille mit dem Präservativ das beliebteste Verhütungsmittel der Schweizerinnen (42 Prozent).
Ein weiterer starker Trend ist, dass Männer, die sich sterilisieren lassen, immer jüngeren Alters sind. Heute sind die Patienten im Durchschnitt zwischen 30 und 40 Jahre alt, während sie früher 15 Jahre älter waren.
Dr. Kellou vom Groupement hospitalier de l'ouest lémanique kommt zum Schluss, dass diese beiden Beobachtungen weniger eine Modeerscheinung als vielmehr Ausdruck eines tiefgreifenden Mentalitätswandels sind. «Die Aufgabenteilung innerhalb der Partnerschaft ist zwischen Männern und Frauen tendenziell ausgeglichener. Da sie lange Zeit die Pille genommen hat, hält er es nun für legitim, seinen Teil der Verantwortung für die Empfängnisverhütung zu übernehmen.» Bis vor wenigen Jahren hätten sich Männer einer Vasektomie unterzogen, um ungewollte Schwangerschaften zu vermeiden. Ein Grund, der von seinen Patienten immer seltener genannt werde.
Der hohe Anteil von Personen aus dem angelsächsischen Raum in der Genferseeregion könnte ebenfalls eine Erklärung für die beobachtete Zunahme in den letzten Jahren sein. In den englischsprachigen Ländern und in Skandinavien ist die Vasektomie schon seit langem eine gängige Praxis. Bei der lateinischen Bevölkerung dagegen war der Verlust der Fruchtbarkeit lange Zeit gleichbedeutend mit Männlichkeitsverlust. Ein Beweis dafür ist, dass die Vasektomie in Frankreich bis zum Jahr 2001 verboten war. Die einheimischen Kollegen hätten sich von den Erfahrungen ihrer internationalen Kollegen inspirieren lassen und so sei das Tabu um die Vasektomie gefallen, lautet das Fazit des Urologen.
Komplikationen sind selten, die Erholungsdauer ist kurz und die Erfolgsrate nach drei Monaten liegt bei 99 Prozent. «Falls es nach der Operation dennoch zu einer Schwangerschaft kommt, müsste man sich fragen, ob da nicht doch der Postbote im Spiel war.»
Dennoch bleibt die Vasektomie ein Eingriff, der nicht harmlos ist. Der Prozess, um die Sterilisation später wieder rückgängig zu machen, ist sehr komplex. Es ist wichtig, sich die Entscheidung gut zu überlegen und langfristig zu denken. Ausserdem ist eine Mindestbedenkzeit von 72 Stunden vorgeschrieben. Der Eingriff ist ausserdem durch das Sterilisationsgesetz geregelt, das unter anderem Minderjährigen den Zugang dazu verbietet. Dies hält jedoch auch sehr junge Erwachsene nicht davon ab, sich beraten zu lassen. «Wir suchen dann nach dem tieferen Grund für das Anliegen», erklärt Karim Kellou und schliesst nicht aus, dass er darauf eingeht. «Aber unabhängig vom Alter: Mann muss sich die Zeit nehmen und sich Gedanken machen.»