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Gesünder leben?

Gesünder leben?

«Menschen brauchen Berührungen und Beziehungen»

Die Liebeslust scheint vielen in der Schweiz etwas abhandengekommen zu sein. Nach Corona sei es wichtig, wieder zu einem gesunden Mass an Körperkontakten zu finden, sagt eine Fachfrau.

Weniger als zweimal Sex haben Schweizer und Schweizerinnen pro Monat. Das geht aus einer grossen repräsentativen Umfrage der Migros hervor. Überrascht Sie das?

Linda Andreska: Nicht wirklich. Andere Studien sind zwar zu höheren Zahlen gekommen – etwa ein- bis zweimal Sex pro Woche. Doch diese Angaben sind stets mit Vorsicht zu geniessen. Einerseits weiss man nicht, was die Befragten genau unter Sex verstehen: Gehört da auch die Selbstbefriedigung dazu? Und andrerseits ist es ein intimes Thema. Je nachdem, wie man die Umfrage gestaltet, können sich die Leute unter Druck fühlen. In einer sexualisierten Gesellschaft geben viele eben nicht gerne zu, dass sie vollkommen keusch leben.

Unter Sex würden nicht alle das Gleiche verstehen, sagen Sie. Was ist es für Sie?

Sobald sexuelle Erregung im Spiel ist, handelt es sich um Sex.

Ehe und Kinder gelten gemeinhin als Lustkiller. Doch nun erweisen sich Paare mit minderjährigen Kindern als die sexuell aktivste Gruppe. Ist das für Sie nachvollziehbar?

Durchaus. Es macht die Sache doch viel einfacher, wenn man nicht zuerst nach einem Partner oder einer Partnerin suchen muss. Nach der Geburt eines Kindes verschwindet die Libido bei den Frauen zwar oft zuerst einmal. Doch die meisten können sich danach wieder mit ihrem Körper anfreunden und sich gemeinsam mit ihrem Partner zu einem sexuellen Paar entwickeln.

Auch stark übergewichtige Menschen sind laut Studie sexuell aktiver als der Durchschnitt. Auch das überrascht?

Nicht unbedingt. Vielleicht sind das besonders genussfähige Menschen, die ihren Körper und den ihres Partners oder ihrer Partnerin nicht ständig bewerten. Es ist doch erfreulich, dass nicht nur junge, schlanke und schöne Menschen eine Partnerin oder einen Partner finden.

Ein erfülltes Sexualleben und regelmässiger Körperkontakt tun uns gut. Ist es schlimm, wenn man es nicht oder nur wenig hat?

Nein. Bei Berührungen schüttet der Körper das Bindungshormon Oxytocin aus. Das ist angenehm und auch gesundheitsfördernd, aber nicht essentiell. Bei vielen Menschen, die gewünscht oder unfreiwillig sexuell abstinent leben, schläft die Lust mit der Zeit ein und sie sind froh darum.

Weil das Thema dann für immer erledigt ist?

Nein, zum Glück nicht. Wenn man wieder jemanden kennenlernt und sich verliebt, kann auch nach längerer Pause nochmals richtig die Post abgehen.

Mit welchen Fragen haben Sie es in Ihren Beratungen am häufigsten zu tun?

Eindeutig die Lustlosigkeit innerhalb von Partnerschaften. War das früher vorwiegend ein Frauenproblem, so berichten mittlerweile auch immer mehr Männer von fehlendem Begehren. Betroffene haben Angst, die Beziehung damit zu gefährden.

Woher rührt das fehlende Begehren?

Schwierig zu sagen. Ich vermute, dass eine gewisse Übersättigung mitspielt. Mit Portalen wie Tinder ist Sex heute viel verfügbarer geworden. Wurde früher bereits ein nackter Knöchel als erregend empfunden, so liegt die Schwelle für einen Tabubruch heutzutage viel höher. Wenn man stets neue, aufregende Reize sucht, kann das mit der Zeit schal werden. Deshalb empfehle ich, sich vermehrt auf den eigenen Körper zu konzentrieren.

(Fortsetzung weiter unten…)

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Was raten Sie Paaren bei Lustlosigkeit?

Ein Ausweg kann sein, sich zu entspannen und sich wieder neu aufeinander einzulassen – ohne Druck, dass daraus dann gleich vollständiger Geschlechtsverkehr werden muss. Die Person, der die Lust abhandengekommen ist, soll wieder lernen zu spüren, welche Berührungen sie geniessen kann.

Viele Singles haben das gegenteilige Problem: Ihnen fehlt der Körperkontakt. Männer – auch verheiratete – weichen dann häufig auf käuflichen Sex aus. Was sagt die Expertin dazu?

Ich möchte das nicht bewerten. Viele befriedigt jedoch diese schnelle, gefühllose Triebabfuhr kaum. Eine Möglichkeit, die auch für Frauen geeignet ist, sind Tantra-Massagen. Sie finden in einer angenehmen, liebevollen Atmosphäre statt und können auch Gespräche einschliessen. Man kann sich am ganzen Körper berühren lassen, auf Wunsch auch im Intimbereich. Natürlich kostet das – meist etwa 150 Franken für eine Stunde.

Allgegenwärtig sind heute auch Pornos und Online-Sex. Kann das ein Ersatz sein?

Für Menschen, die keine andere Möglichkeit für sexuelle Begegnungen haben, kann es sinnvoll sein, damit regelmässig eine Erregung zu erleben. So spüren sie, dass es noch funktioniert. Manche Paare lassen sich durch Filme inspirieren. Andrerseits wecken die dargestellten Körper und Geschlechtsteile oft auch unrealistische Vorstellungen. Besonders bei Jugendlichen besteht die Gefahr, dass sie künftige Sexualpartnerinnen oder -partner damit vergleichen.

Selbstbefriedigungs-Toys sind heute nicht nur in schummrigen Sexshops, sondern fast überall erhältlich. Was halten Sie von der Enttabuisierung?

Schön ist, dass nun viele Frauen mit Vibratoren zum Orgasmus kommen, die das früher nie erlebten. Wenn diese Geräte aber gegenüber dem Partner bevorzugt werden, weil es schneller geht und einfacher ist, wird es problematisch.

Am wenigsten sexuelle Kontakte und Umarmungen haben gemäss der Studie Menschen über 65, aber auch Personen, die in Einzelhaushalten leben. Was raten Sie hier?

Es gibt geleitete Kuschelgruppen, in denen sich die Teilnehmenden körperlich nahekommen. Das ist aber sicher nicht jedermanns Sache. Man kann sich auch selber liebevoll berühren, etwa beim Duschen und Eincremen. Oder man leistet sich eine Genuss-Ganzkörper-Massage oder eine Fussmassage. Viele leben ihre Bedürfnisse zudem mit Haustieren aus: Einen Hund streicheln oder mit einer Katze schmusen ist für sie ein guter Ersatz für menschliche Berührungen.

Corona hat uns alle distanziert. Händeschütteln und Begrüssungskuss sind noch immer verpönt. Was tun?

Wir sollten wieder zu einem gesunden Mass an Körperkontakten finden. Das müssen nicht unbedingt Händeschütteln und Begrüssungsküsschen sein. Eine kurze Umarmung, wie es zum Beispiel in den USA schon lange Usus ist (hugging), kann genau so innig sein. Menschen sind nicht dazu gemacht, alleine zu leben. Die meisten brauchen Berührungen und Beziehungen.

von Andrea Söldi,

veröffentlicht am 11.05.2022


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