Berührt zu werden ist nicht nur für Neugeborene überlebenswichtig, sondern trägt auch bei Erwachsenen zu mehr Wohlbefinden bei.
«Der Berührungssinn ist nicht nur unser ältester, sondern auch unser wichtigster Sinn», ist Rebecca Böhme überzeugt. Die Neurowissenschaftlerin und Autorin erforscht unter anderem, wie wir durch Berührung kommunizieren und wie die Verarbeitung von Berührung im Gehirn mit unserem Selbstkonzept zusammenhängt. Menschen sind auf tägliche Berührungen angewiesen. Ohne sie fehlt etwas Wesentliches im Leben.
Im Englischen gibt es ein treffendes Wort für das Sehnen nach körperlicher Nähe: skin hunger. Treffend darum, weil es dieses Gefühl so gut beschreibt, aber auch darum, weil wir körperliche Nähe so unbedingt brauchen wie Nahrung. Wer nicht isst, verhungert irgendwann, und wer keinen Körperkontakt hat, der oder die – ja was eigentlich?
Die ersten Berührungen im Leben spürt ein Kind bereits in der Gebärmutter. Danach ziehen sich die positiven Auswirkungen durchs gesamte Leben. Untergewichtige Kinder legen schneller an Gewicht zu, wenn sie Hautkontakt zu Mutter oder Vater haben, zeigen Studien. Bei Kindern entstehen durch Mangel an Zuwendung Schäden. Bei Erwachsenen ist das aber noch kaum untersucht. Berührung ist Kommunikation. Sie steigert das Zusammengehörigkeitsgefühl – sofern sie willkommen ist.
Studien aus der Welt der Berührungsforschung verraten Erstaunliches: Sportteams, deren Spielerinnen und Spieler sich öfter mal einen kurzen freundschaftlichen Klaps auf den Rücken oder eine kurze Umarmung geben, spielen weniger aggressiv und besser im Team – und gewinnen dadurch eher. Denn Gefühle wie Dankbarkeit, Zuneigung und Ermutigung werden dadurch vermittelt. Dafür reicht bereits eine 1-Sekunden-Umarmung.
Berührt der Kellner oder die Kellnerin dich während des Essens einmal kurz am Arm, wirst du vermutlich mehr Trinkgeld geben. Und fragt dich eine Person in der Migros an der Kasse, ob du sie vorlässt, wärst du eher dazu bereit, wenn sie dich vorher kurz berührt hätte.
Das Höchste der Gefühle sind jedoch Streicheleinheiten. In unserer Haut haben wir sogar spezielle Rezeptoren dafür. Rezeptoren sind Empfangsstationen für Sinneseindrücke. Man weiss schon eine ganze Weile, dass es im Tastsinnessystem ganz unterschiedliche Rezeptoren gibt. Während die eine Gruppe von Rezeptoren spezialisiert ist auf die Wahrnehmung von Druck, das Erspüren von Oberflächenstrukturen oder Vibration, reagieren andere auf Wärme, auf Kälte und wieder andere signalisieren Schmerz. Doch erst in den 2000er-Jahren haben Forschende eine neue Sorte von Rezeptoren in der Haut entdeckt: die sogenannten C-taktilen Fasern. Sie reagieren auf sanftes Berühren bei 32 Grad Celsius und einem Tempo von drei Zentimetern pro Sekunde. Also genau das, was wir tun, wenn wir streicheln.
C-Fasern enden in einem anderen Bereich im Rückenmark, und auch ihre weitere Verarbeitung im Gehirn unterscheidet sie von den Fasern, die den klassischen Tastsinn vermitteln, also das Erspüren von Oberflächenstrukturen, von Vibrationen, Ecken und Kanten.
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Wie aber funktioniert dieses Wechselspiel zwischen Berührung und der darauffolgenden veränderten Reaktion? Die Antwort liegt im Gehirn und der Ausschüttung von bestimmten Hormonen. Diese Art von Berührung, im Jargon «affectionate touch» (zärtliche Berührung) genannt, senkt nicht nur Puls und Blutdruck, sondern verringert auch das Stresshormon Cortisol im Blut. Wir entspannen uns und fühlen uns gut. Gleichzeitig steigert positive Berührung unter anderem das Ausschütten des Liebeshormons Oxytocin und des Glückshormons Serotonin. Diese wirken gegen Stress, depressive Verstimmungen und schmälern das Aggressionspotenzial. Generell gilt: Einmal am Tag 20 Sekunden umarmen, gehört ins Gesundheits-Repertoire.
Man muss nicht unbedingt in einer Beziehung sein, um sich zu berühren. Lebt man beispielsweise in einer Wohngemeinschaft, kann man den Mitbewohner oder die Mitbewohnerin fragen, ob sie für eine Umarmung, ein bisschen Sofa-Kuscheln oder für eine Massage zu haben ist.
Wichtig ist dabei, dass man vorher klare Regeln definiert. Bei der Massage zum Beispiel: An welchem Ort wird massiert? Welche Körperteile werden berührt? Welche Kleidungsstücke behält man an? Zur Vereinbarung gehört auch, dass man sich meldet, wenn sich etwas nicht gut anfühlt. Werden die gesetzten Grenzen respektiert, wird die Berührungs-Begegnung zu einem wohltuenden Erlebnis für beide.
Wenn Partnerin oder Mitbewohner keine Lust haben oder man sonst kein Gegenüber hat, kann man sich selbst ein paar Streicheleinheiten geben. Setze dich bequem hin. Lege deine rechte Hand auf die linke Schulter und fahre dem Arm entlang bis zu den Fingerspitzen. Höre in dich hinein: Wie fühlt sich das an? Was macht das mit dir?
Es empfiehlt sich zudem, den Reiz zu variieren: Klopfe auch deinen Arm ab. Oder streiche mit einer weichen Bürste darüber. Inwiefern fühlt sich das anders an als vorher? Auch mit der anderen Hand probieren sowie mit anderen Körperteilen. Und: mit Kälte und Wärme experimentieren.
Für die Selbstmassage, vor allem bei Verspannungen, benutzt man am besten die Hartgummibälle, mit denen Kinder gerne spielen. Es gibt sie in verschiedenen Grössen. Die kleinen eignen sich hervorragend für Fussmassagen, die grösseren für den Rücken.
Für die Fussmassage setzt du dich hin und rollst den Ball zuerst unter dem linken, dann unter dem rechten Fuss über die ganze Sohle. Für die Rückenmassage stellst du dich an eine Wand. Platziere den Ball zwischen dir und der Wand. Lasse den Ball dort kreisen, wo sich schmerzende Stellen befinden. Massagegeräte können ebenfalls ein Hilfsmittel sein, wenn du alleine klarkommen musst.
Wer eine wohlig schöne Berührung herbeisehnt, kann sich ein warmes Bad einlassen. Zusätze mit ätherischen Ölen können das Geborgenheitsgefühl verstärken. Studien haben gezeigt, dass auch das Streicheln von Hunden zu Endorphin-Ausschüttung führt und Stress abbaut. Falls Zeit und Lust vorhanden ist – warum kein Haustier?