Frauen sterben häufiger an einem Herzinfarkt als Männer. Die Gender-Medizinerin Catherine Gebhard erklärt, woran das liegt und wo es bei Männern und Frauen bei Krankheiten sonst noch grosse Unterschiede gibt.
Sie beschäftigen sich mit den geschlechtsspezifischen Unterschieden von Herzerkrankungen. Wie anders sind denn die Herzerkrankungen von Frauen und Männern?
Catherine Gebhard: Sowohl bei den Herzerkrankungen selbst als auch bei den Symptomen gibt es deutliche Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Frauen sind, wenn sie einen Herzinfarkt haben, im Durchschnitt rund zehn Jahre älter als Männer.
Lange ist man davon ausgegangen, dass das Hormon Östrogen das weibliche Herz bis zur Menopause schützt und dies der Grund für die zeitliche Differenz ist. Doch die Herzinfarktrate bei jüngeren Frauen nimmt zu. Deshalb sind wir uns über die Schutzwirkung von Östrogen nicht mehr so sicher. Zudem gibt es Herzkrankheiten, die bei Frauen häufiger auftreten als bei Männern.
Dazu zählt die sogenannte diastolische Dysfunktion. Bei dieser Krankheit ist die Dehnbarkeit des Herzens eingeschränkt, sodass es sich schlechter mit Blut füllt. Dies kann sich als Atemnot, insbesondere bei Belastungen, und als Leistungsknick bemerkbar machen. Die Symptome können aber auch ganz unspezifisch sein.
Was heisst das?
Unspezifische Symptome sind Symptome, die nicht die Herzgegend betreffen. Bei Frauen mit Herz- und Kreislauferkrankungen sind solche Symptome vergleichsweise häufig. Ein Herzinfarkt zum Beispiel äussert sich bei Frauen häufig nicht als «typischer» Brustschmerz auf der linken Seite, der in den linken Arm ausstrahlt. Vielmehr kann er sich als Schmerz im Rücken, Bauch oder Kopf zeigen.
Dies führt dazu, dass manche Frauen die Beschwerden falsch deuten, weniger schnell einen Arzt aufsuchen und weniger rasch behandelt werden. Bei einem Herzinfarkt ist dies fatal, da mit jeder Minute, die verstreicht, Herzgewebe geschädigt oder zerstört wird. Europäische Studien zeigen denn auch, dass 49 Prozent der Frauen und nur 40 Prozent der Männer an einer Herzkrankheit sterben. In der Schweiz liegen die Zahlen etwas tiefer, doch das Verhältnis zwischen den Geschlechtern ist dasselbe. Die längere Zeitspanne zwischen dem Auftreten von Symptomen und dem Beginn der Behandlung ist einer der Gründe, weshalb Frauen öfter an einem Herzinfarkt sterben als Männer.
Rücken-, Bauch- oder Kopfschmerzen können unterschiedlichste Ursachen haben und überdies ganz harmlos sein. Wann sollten Frauen denn aus Angst vor einem Herzinfarkt die Ambulanz rufen?
Bei Patientinnen mit Risikofaktoren für Herzerkrankungen steigt die Wahrscheinlichkeit, dass unspezifische Schmerzen im Rücken, Bauch oder Kopf auf einen Herzinfarkt zurückzuführen sind. Die Risikofaktoren sind Rauchen, ein hoher Blutdruck, ein hoher Cholesterinspiegel, Übergewicht, Diabetes, Bewegungsmangel und Stress. Sie gelten zwar für beide Geschlechter, doch gerade Rauchen und Diabetes wirken sich bei Frauen negativer auf das Herz-Kreislauf-System aus. (Lesen Sie unten weiter...)
Gibt es noch andere Gründe für die höhere Sterblichkeit von Frauen, die einen Herzinfarkt erlitten haben?
Es gibt zum Beispiel das so genannte Yentl-Syndrom, das bereits 1991 beschrieben wurde. Es belegt, dass Frauen mit Herzerkrankungen weniger oft eine Therapie erhalten als Männer. Insbesondere invasive Massnahmen wie eine Herzkatheteruntersuchung werden bei ihnen seltener vorgenommen.
Genau dies ist jedoch die wichtigste und effektivste Behandlungsmethode bei einem Patienten oder einer Patientin mit einem Herzinfarkt. Wissenschaftliche Studien zeigen auch immer wieder, dass gewisse Medikamente Frauen weniger oft verschrieben werden. Gleiches gilt für Rehabilitationsmassnahmen.
Ein Grund für diese Ungleichbehandlung kann das höhere Alter sein, das Frauen mit Herzerkrankungen haben. Dies bedeutet eine grössere Wahrscheinlich für weitere Erkrankungen, sodass es zu Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten kommen könnte. Hinzu kommt, dass die Diagnostik bei Frauen weniger genau ist als bei Männern. Ein Belastungs-EKG ergibt bei Frauen öfter falsch-positive Resultate als bei Männern.
Auch bildgebende Verfahren haben im Fall von Herzerkrankungen bei Frauen einen geringeren Vorhersagewert als bei Männern. Grund dafür sind u. a. eine schlechtere Bildqualität wegen des Brustgewebes, die geringere Grösse weiblicher Herzen sowie Unterschiede bei der Herzdurchblutung. Auch in der Lehre und in der Forschung wurden die geschlechtsspezifischen Unterschiede bei Herzerkrankungen bislang ungenügend berücksichtigt.
Was hat die Gender-Medizin im Bereich der Herzerkrankungen denn bislang erreicht?
Sie ist ein vergleichsweise junges Forschungsgebiet und hat es geschafft, auf die Unterschiede zwischen den Geschlechtern aufmerksam zu machen. Nun geht es darum, zu erforschen, wie die Benachteiligung von Frauen in der Behandlung, Diagnostik, Forschung und Lehre aufgehoben werden kann. Dazu müssen wir untersuchen, welche Faktoren welchen Einfluss haben. Unbestritten ist, dass die erhöhte Sterblichkeit von Frauen mit Herzerkrankungen auf verschiedene Ursachen zurückzuführen ist.
Sind die geschlechtsspezifischen Unterschiede bei Herzkrankheiten ein Sonderfall, oder finden sich diese auch bei anderen Krankheiten?
Es gibt bei allen Erkrankungen Unterschiede. Manchmal sind Frauen im Nachteil, manchmal Männer. So sind zum Beispiel Essstörungen bei Männern nur ansatzweise untersucht. Die Gender-Medizin mit ihrem Fokus auf das jeweils benachteiligte Geschlecht kann hier einen wichtigen Beitrag leisten.