Imaginäre Schmerzen, wirkungslose Pillen, unbegründete Ängste. Wie uns der böse Bruder des Placebos beeinflusst und was wir dagegen tun können.
Der 26-jährige US-Amerikaner Derek Adams sieht keinen Sinn mehr im Leben – er ist depressiv und seine Freundin hat ihn verlassen. Er schluckt 29 Kapseln. Dann bereut er seine Entscheidung, schafft es bis in die Notaufnahme und bricht zusammen.
Die Ärzte fanden heraus: Die Kapseln waren gar nicht schädlich. Sie stammten aus einer Studie für ein neues Medikament gegen Depressionen. Adams war eine der Testpersonen und gehörte zur Gruppe mit dem Scheinmedikament. Die Kapseln enthielten nur Zucker. Als Adams davon erfuhr, stabilisierte sich sein Zustand innert Kürze.
Dieses im Fachblatt General Hospital Psychiatry veröffentlichte Fallbeispiel beschreibt den Nocebo-Effekt – den negativen Bruder des Placebo-Effekts. «Nocebo» heisst auf Latein: «Ich werde schaden». Das können Präparate ohne Wirkstoff sein, die krank machen, das können ausgeschaltete Mobilfunkmasten sein, die zu Übelkeit, Kopfschmerzen oder grippeähnlichen Symptomen führen. Die Universität von Essex hat ein entsprechendes Experiment mit 158 Probanden durchgeführt.
Placebo- wie Nocebo-Effekt basieren auf dem gleichen Mechanismus – der Erfüllung einer Erwartung. Beim Nocebo kann das zu einem Problem werden: Dann macht das Studieren des Beipackzettels krank. Man hat Schmerzen ohne Ursache. Arzneien wirken schlechter oder gar nicht.
Keine iMpuls-Themen mehr verpassen – abonnieren Sie hier unseren Newsletter.
Besonders chronisch Kranke, die bereits einige gescheiterte Therapieversuche hinter sich haben, sind davon betroffen, wie das Fachblatt Science Translational Medicine schreibt. Die Erwartungshaltung dieser Patienten: oft negativ. Einen erheblichen Einfluss auf die Erwartungshaltung haben Ärzte und Pflegekräfte. Es ist nämlich relevant, wie sie sich ausdrücken. Einer der häufigsten Fehler sind Verneinungen wie «Sie brauchen keine Angst zu haben». Dies beruhigt nicht, sondern löst bei den Patienten erst recht Befürchtungen aus.
Die Patienten können aber auch selbst den Nocebo-Effekt eindämmen, etwa im Hinblick auf die Nebenwirkungen von Medikamenten. Denn Beipackzettel werden nicht gemacht, um die Patienten angemessen zu informieren, sondern um möglichen Schadensersatzansprüchen an den Hersteller vorzubeugen. Patienten können sich vom verschreibenden Arzt oder in der Apotheke über die wesentlichen Nebenwirkungen informieren lassen und auf das Lesen des Beipackzettels verzichten. Das hilft zu verhindern, dass jemandem schlecht wird, weil er gelesen hat, das Medikament könnte Übelkeit auslösen.