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Suonenwanderung: Am heiligen Walliser Wasser

An den Hängen oberhalb von Visp bewässern historische Kanäle seit Jahrhunderten die Böden der Bauern. Das sehr gut erhaltene und mit viel Leidenschaft unterhaltene traditionelle Bewässerungssystem prägt eine ganze Region.


Im oberhalb von Visp gelegenen Dorf Ausserberg fühlt man sich wie in einer anderen Welt. Während unten im Tal Schnellzüge in den Simplon-Basistunnel rauschen, die Bauarbeiten auf der Autobahn zügig voranschreiten und das Industriegebiet mittlerweile als Wirtschaftsmotor einer ganzen Region fungiert, scheint oben im Ort mit seinen alten Alphütten und schiefergedeckten Häusern die Zeit stillzustehen.

«Wir lieben unsere Traditionen», erklärt der Gemeinde- und Burgerratspräsident Theo Schmid. Der Ort mit seinen knapp 700 Einwohnern zählt über zwanzig lokale Vereine, welche die Sitten und Gebräuche mit viel Respekt und Energie pflegen.

Suonen – ein Netz aus Bewässerungskanälen

suone-im-wald
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Rund um Ausserberg gibt es ein Netz aus Suonen von mehr als 20 Kilometer, welches teilweise über 600 Jahre alt ist.

Bild: Dominic Steinmann

Kein Wunder, dass das Netz der «Suonen» – der historischen Bewässerungskanäle, auf die man im Gemeindegebiet überall stösst – hier besonders sorgfältig gepflegt wird. Das hat die Stiftung Landschaftsschutz Schweiz (SL) 2020 dazu bewogen, Ausserberg und den drei Nachbardörfern Baltschieder, Eggerberg und Naters zusammen mit den Bewässerungsgeteilschaften und den kantonalen Behörden die von Migros mitgestiftete Auszeichnung «Landschaft des Jahres» zu verleihen.

Suonen sind im Oberwallis immer noch in Gebrauch

«Im Oberwallis werden die Suonen nicht zu touristischen Zwecken unterhalten, wie dies vielleicht in anderen Regionen des Kantons der Fall ist», so Theo Schmid. «Hier erfüllen sie nach wie vor ihre ursprüngliche Aufgabe, die Böden der Bergbauern zu bewässern. Die Suonen sind unsere DNA.» Und diese DNA prägt eine ganze Region. Denn ohne das Bewässerungssystem stünde man hier wegen des für die Gegend typischen sonnigen und trockenen Klimas in einer Steppenlandschaft. Doch das ist nicht so: Blumenwiesen, dichte Wälder und Hecken, die Lebensraum für viele wild lebende Tiere bieten, erstrecken sich zwischen dem Talgrund und der alpinen Zone. Zu verdanken ist dies dem Schmelzwasser, das im Frühjahr den Berg hinabfliesst, sowie der Entwässerung des Baltschiedergletschers im Sommer und Herbst.

(Fortsetzung weiter unten…)

«Heiliges Wasser» sorgt für reiche Vegetation

«Die Suonen sind nicht komplett abgedichtet», erklärt Schmid. «So tritt auch ausserhalb der landwirtschaftlichen Nutzflächen etwas Wasser aus. Dadurch kann eine reiche Vegetation gedeihen, die mit ihren Wurzeln den Hang stabilisiert. Aus all diesen Gründen sprechen wir hier häufig vom heiligen Wasser.»

Natürlich muss das mehr als 20 Kilometer lange, teilweise über 600 Jahre alte Suonennetz intensiv gepflegt werden. «Ein Gemeindemitarbeiter kümmert sich von April bis November an zwei Tagen der Woche um den Unterhalt. Er entfernt Äste oder Blätter, die einige Engpässe im Netz immer wieder blockieren, und reinigt den parallel zu den Suonen verlaufenden Fussweg.»

Jedes Frühjahr werden zudem grosse Säuberungsaktionen durchgeführt, bevor das Wasser in den Steinkanälen und «Holzchänneln» – langen ausgehöhlten Baumstämmen – wieder fliesst. Mit von der Partie sind da vor allem die Alten. «In diesen zwei bis drei Tagen erledigen wir die wichtigsten Arbeiten, etwa die Verstärkung eines Durchlasses oder den Austausch eines der im Fels verankerten Balken, welche die Suone abstützen. Die in der Gemeinde lebenden Rentner sind dabei von grossem Wert, können sie doch ihr Wissen an die Jüngeren weitergeben. Diese Momente dienen nicht nur dem fachlichen Austausch, sondern haben auch eine nicht zu unterschätzende soziale Funktion und mitunter auch festlichen Charakter – etwa wenn am Abend ein Aperitif eingenommen oder gemeinsam gegessen wird.»

Auszeichnung als «Landschaft des Jahres»

Theo Schmid erfüllt die Verleihung der Auszeichnung «Landschaft des Jahres» mit Stolz. «Natürlich ist dieser Preis eine Ehre für uns. Vor allem aber ist er eine Bestätigung unserer Unterhaltspolitik und ein Ansporn, weiterhin Zeit und Geld in die Instandhaltung der Suonen zu investieren, obwohl sie unser Budget jährlich mit 70 000 Franken belastet.»

Seit Ende des Zweiten Weltkriegs obliegt die Bewirtschaftung dieser Kanäle den Gemeinden. «Früher waren die Suonen in Ausserberg im Besitz mehrerer Familien. Wer für seine Felder Wasser beziehen wollte, musste entweder beim Unterhalt mitarbeiten oder einen Ausgleich in Form von Heu oder Fleisch zahlen», erklärt Theo Schmid. Heute ist das kostbare Nass kostenlos. Das Verteilsystem ist aber nach wie vor gültig. So kann jeder Bauer nach genau festgelegten Regeln so viel Wasser entnehmen, wie ihm im Verhältnis zu seiner Landfläche zusteht.

Regula Leutenegger, der wir an der Suone Niwärch über den Weg laufen, ist als Landwirtin eine der Nutzniesserinnen dieses altehrwürdigen Bewässerungssystems. «Als ich den Betrieb 2014 übernahm, musste mir der frühere Eigentümer die regelmässige Bewässerung der Böden erklären», erinnert sich die gebürtige Bernerin. «Denn diese Art von Technik lernt man während der Berufslehre überhaupt nicht.»

Wasser wird unter den Bauern aufgeteilt

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Ohne das Bewässerungssystem stünde man hier wegen des für die Gegend typischen sonnigen und trockenen Klimas in einer Steppenlandschaft. 

Bild: Dominic Steinmann

Wenn ihr die Wasserentnahme gestattet ist, was auf Regula Leutenegger etwa alle zwei Wochen für rund vier Stunden zutrifft, blockiert die junge Bäuerin die Suone mit einem grossen Schieferstein. Dann füllt sich der Kanal bis zum Überlaufen. «Mit diesem ‹Wässerbeil› genannten Werkzeug grabe ich als Erstes die Hauptrinnen aus», erklärt sie und präsentiert uns eine Art lange Hacke. «Das Gleiche mache ich dann weiter unten, wo ich kleine Nebenkanäle grabe, um die Bewässerung noch zu verfeinern.» So ergiesst sich das kostbare Wasser über ihr gesamtes Land und taucht die Wiesen in noch saftigeres Grün. Darauf grasen Kühe, Ziegen und sogar Zwergzebus, die besonders gut mit den im Oberwallis häufigen Hitzeperioden zurechtkommen.

«Die traditionelle Bewässerung mittels Suonen ist für die Bauern zeitaufwändig», erklärt die Bio-Bäuerin. «Man muss zur Stelle sein, wenn das Wasser kommt. Andernfalls verliert man die Runde. Meine tiefer liegenden Felder bewässere ich auch mit automatischen Sprinklern. Das ist deutlich praktischer. Trotzdem ist es aus meiner Sicht wichtig, dieses alte Systems zu erhalten. Vor allem in den höheren Lagen der Gemeinde ist es absolut unmöglich, ein automatisiertes System zu installieren. Der Hang ist zu steil.»

(Fortsetzung weiter unten…)

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Vom Gletscherwasser gespiesen

Fragt sich nur, wie lange diese traditionelle Rieselbewässerung noch funktioniert. «In rund 50 Jahren werden die Suonen nicht mehr vom Gletscherwasser gespiesen, sondern nur noch vom Schmelzwasser», sagt Theo Schmid voraus. «Dann müssen Reservoirs errichtet werden, um das Wasser zu speichern. Das wird die Aufgabe künftiger Generationen sein.»

In der Zwischenzeit könnten die Suonen der Walliser Bergwelt – ebenso wie die Bewässerungskanäle im Aargau und in anderen europäischen Ländern wie den Niederlanden, Belgien und Italien – in das Immaterielle Weltkulturerbe der Unesco aufgenommen werden. «Nächstes Jahr soll eine gemeinsame Bewerbung eingereicht werden und die Erfolgschancen sind gross», sagt der Gemeindepräsident. Eine solche internationale Auszeichnung wäre für Jung und Alt sicher Motivation genug, die Tradition der Suonenbewässerung im Wallis noch lange Zeit fortzuführen.

Den Suonen entlangwandern

Nicht weit entfernt zieht der grosse Wanderklassiker auf der Lötschberg-Südrampe zwischen Hohtenn und Brig jährlich fast 20 000 Bergbegeisterte an. Weniger bekannt ist ein Rundweg, der in Ausserberg beginnt und an den drei Suonen Niwärch, Gorperi und Undra entlang verläuft. Fernab vom Wanderrummel führt er tief in das eindrückliche Baltschiedertal.

Die Route ist mit einer Länge von etwa 15 Kilometern und 580 Metern Höhenunterschied jedoch anspruchsvoll. Daher sind auf diesem Bergweg auch feste Wanderschuhe zu empfehlen. Einige Passagen sind im Übrigen wirklich gefährlich. So führt der Pfad entlang der Suone Niwärch teilweise über Holzbalken, die in luftiger Höhe im Fels verankert sind. Familien sowie Menschen mit Höhenangst können dieser Schlüsselstelle aber ausweichen und stattdessen einen in den Berg gegrabenen Stollen benutzen. Hierzu ist es sehr empfehlenswert, Taschenlampen mitzuführen.

Mehr Informationen: valais.ch

von Pierre Wuthrich,

veröffentlicht am 06.08.2020


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