Worte können heilen, oder verletzen. Menschen, die mit Übergewicht oder Adipositas leben, begegnen oft den Vorurteilen anderer. Doch was bedeutet Stigmatisierung? Wie können wir lernen, Stereotypen zu hinterfragen?
Personen, die von Übergewicht oder Adipositas betroffen sind, sehen sich oft Vorurteilen ausgeliefert. Fälschlicherweise werden sie als ‘faul’, ‘disziplinlos’ oder ‘willensschwach’ abgestempelt. Schuldzuweisungen, die sich hartnäckig in der Gesellschaft halten. Doch was, wenn Adipositas komplizierter ist, als einfach nur eine Frage von „weniger essen und mehr bewegen“? Was, wenn man bereits alles probiert hat und sich dennoch nur wenig verändert? Warum wird eine so komplexe Krankheit wie Adipositas immer noch auf persönliche Schwächen reduziert? Und wie können wir die Stigmatisierung hinterfragen und echte Akzeptanz schaffen? Es beginnt mit Verstehen, deshalb betrachten wir das Thema Stigmatisierung genauer.
Stigmatisierung beschreibt die gesellschaftliche Ablehnung oder Diskriminierung von Menschen aufgrund bestimmter Merkmale wie Hautfarbe, Behinderung, Alter, Religion, sexueller Orientierung oder Aussehen. Der Begriff «Stigma» stammt aus dem Griechischen und bedeutet Merkmal, Brandmal oder Kennzeichen. Ist man anders als die gesellschaftliche Norm, führt das oft zu Benachteiligung, Ausgrenzung oder Diskriminierung.
Stigmatisierung geschieht häufig unbewusst. Stereotypen, Vorurteile und kulturelle Einflüsse sind in der Gesellschaft tief verwurzelt, beeinflussen unser Denken und unsere Wahrnehmung. Die Krankheit Adipositas ist ausserdem sehr komplex und wird von verschiedenen Faktoren beeinflusst.
Personen mit Übergewicht oder mit Adipositas werden ausgegrenzt, diskriminiert oder benachteiligt. Das kann auch unbewusst passieren. Die gewichtsbezogene Stigmatisierung, oder kurz Gewichtsstigma, betrifft alle Lebensbereiche: am Arbeitsplatz, im Gesundheitsbereich, in der Schule, in der Familie und dem Freundeskreis. Je höher das Gewicht einer Person ist, desto häufiger erlebt sie gewichtsbezogene Stigmatisierung. Oft stigmatisieren sich Menschen mit Übergewicht oder mit Adipositas selbst. Sie machen sich Vorwürfe und leiden häufig unter Schamgefühlen.
75% der Menschen mit Übergewicht fühlen sich nicht akzeptiert. 38% der Personen mit schwerer Adipositas und einem BMI über 40 haben Diskriminierung erlebt.
Quelle: Novo Nordisk
Ein Stigma ist geprägt von zahlreichen Stereotypen und Vorurteilen. Eine Mehrheit glaubt noch immer, dass ein hoher Body-Mass-Index (BMI) auf ungesunde Ernährung, Bequemlichkeit, mangelnde Willenskraft und fehlende Disziplin zurückzuführen ist. Umfragen bestätigen diese Sichtweise: Wer übergewichtig ist, wird oft als selbst schuld angesehen.
| Stigmatisierende Aussage | Erklärung des Stigmas |
|---|---|
| «Schon mal etwas von Sport gehört?» | Sport ist gesund und beeinflusst das Gewicht positiv. Bei Menschen mit starkem Übergewicht eignet sich jedoch nicht jede Sportart. Je höher das Körpergewicht, desto stärker die Belastung der Gelenke. Eignen tun sich gelenkschonende Aktivitäten wie Schwimmen, Nordic Walking oder Yoga. |
| «Versuchs doch mal mit FDH (Friss die Hälfte).» | Personen mit Übergewicht haben oft zahlreiche Abnehmversuche hinter sich und wissen, wie man sich ausgewogen ernährt. Solche Aussagen sind nicht hilfreich. Im Gegenteil: Es führt oft zu Selbststigmatisierung und belastet die psychische Gesundheit. |
| «Du brauchst nur Disziplin, um abzunehmen!» | Eine starke Gewichtsabnahme erfordert bei Personen mit Adipositas oft Hilfe von aussen. Denn die Adipositas-Ursachen wie Genetik, Stoffwechselerkrankungen oder familiäre Veranlagung lassen sich durch Disziplin nicht bewältigen. Bei Adipositas handelt es sich um eine komplexe Erkrankung. |
| Was man vermeiden sollte | Was man stattdessen tun sollte |
|---|---|
| Personen anstarren, von oben bis unten mustern, mitfühlendes oder sarkastisches Lächeln, Augen verdrehen oder die Körperform mit Gesten beschreiben. | Achte auf eine herzliche und einladende Umgangsform. Zum Beispiel mit einem entspannten Blickkontakt oder einem Lächeln. |
| Verwendung von Witzen oder beschönigenden Umschreibungen wie ‘da hat jemand aber einen gesunden Appetit’. | Beschränke Aussagen auf neutrale Themen. Auch wenn die Aussage scherzhaft gemeint ist, ist es nicht in Ordnung. Es nimmt eindeutig Bezug auf das Gewicht der anderen Person. |
Ein Bild sagt mehr als tausend Worte. Das trifft besonders auf die Bildsprache bei Adipositas zu. Die unbedachte Auswahl von Bildern kann das Gewichtsstigma verstärken.
Auch in der Werbung trifft man auf stigmatisierende Aussagen, auf Body Shaming oder scheinbar perfekte Körperformen:
Eine Sprache zu wählen, die die Menschen in den Mittelpunkt stellt und nicht die Krankheit. Eine Person soll nicht über ihre Krankheit definiert werden. Die sogenannte People-first-Sprache beschreibt, was eine Person hat oder womit sie lebt. Aber sie definiert nicht, was eine Person ist. Beispiel: Eine Person, die mit Adipositas lebt (nicht: adipöse Person).
Der Austausch mit Menschen in ähnlichen Lebenssituationen kann hilfreich sein, um diesen Kreislauf zu durchbrechen. Hier können Betroffene Unterstützung finden: Selbsthilfe Schweiz.
Stigmatisierung können für Betroffene erhebliche Auswirkungen haben:
Jeder Mensch, der mit Übergewicht oder Adipositas lebt, verdient Respekt und das Recht, in einer Gesellschaft frei von Vorurteilen und Diskriminierung zu leben. Adipositas ist eine anerkannte, komplexe und chronische Krankheit. Es ist an der Zeit, Vorurteile und Schuldzuweisungen hinter uns zu lassen.
Stigmatisierung ist nicht nur verletzend – sie führt zu echten und langfristigen Nachteilen, die weit über körperliche Herausforderungen hinausgehen. Eine Gesellschaft frei von Stigma beginnt bei jedem Einzelnen von uns. Überlegen wir, wie unsere Worte, Handlungen und Bilder wirken können. Statt beleidigender Begriffe oder stigmatisierender Aussagen sollten wir respektvoll kommunizieren und Menschen in den Mittelpunkt stellen.
Adipositas ist keine Frage von Schuld. Vielmehr erfordert sie Verständnis, Unterstützung und Empathie. Gemeinsam können wir Gewichtsstigma abbauen und ein Umfeld schaffen, das von Respekt und Wertschätzung geprägt ist – für eine solidarische und inklusive Gesellschaft in der Schweiz.