Corina F. ist 28 Jahre alt. Die Pflegefachfrau befindet sich mitten in der Chemotherapie. Die beidseitige Brustamputation mit anschliessender Bestrahlung stehen ihr noch bevor. Maja S. ist Lehrerin und Mutter von drei Kindern. Mit 40 wird bei ihr Brustkrebs diagnostiziert. Es folgen zwei Jahre der medizinischen Eingriffe und Behandlungen. Für sie «ein Alptraum». Er ist vorbei. Sie fühlt sich heute «so gesund wie schon lange nicht mehr».
«Hör auf dein Bauchgefühl, nimm körperliche Signale ernst», empfehlen beide Interviewpartnerinnen eindringlich. Vorsorgeuntersuchungen sind wichtig und gut, aber niemand kennt seinen eigenen Körper besser als die Person selbst. Beide Frauen haben den Knoten in ihrer Brust selbst entdeckt.
Corina F. wurde schon in jungen Jahren mit dem Thema Krebs konfrontiert. Ihre Tante starb mit gut dreissig Jahren an Brustkrebs, ihre Mutter später mit Anfang fünfzig an Eierstockkrebs. Die Vermutung lag nahe, dass es sich bei den Schwestern um ein erbliches Tumorsyndrom handelte.
Ab 18 Jahren können Familienmitglieder in der Regel einen Gentest machen, um abzuklären, ob sie allenfalls Trägerin oder Träger einer Veranlagung sind. Eine Genmutation wird mit einer Wahrscheinlichkeit von fünfzig Prozent weitervererbt. «Will ich das wirklich wissen?», fragte sich Corina im Alter von 21 Jahren zum ersten Mal. Sie führte viele Gespräche mit Verwandten, Freunden und Fachpersonen, bis sie sich drei Jahre später für einen Gentest entschied. Das Ergebnis: positiv. Fortan galt es, mit dem erhöhten Risiko zu leben, dass sich auch in ihrem Körper ein Tumor bilden könnte.
Um eine allfällige Erkrankung so früh wie möglich zu erkennen, werden in kürzeren Abständen Vorsorgeuntersuchungen durchgeführt. «Zu Beginn hatte ich Angst vor jeder Kontrolle», sagt Corina. «Was wenn?», habe sie sich gefragt. Doch mit der Zeit hätten die Vorsorgeuntersuchungen ihr ein Gefühl der Sicherheit vermittelt, dass ein allfälliger Tumor so ja früh entdeckt werden würde.
Entdeckt hat sie den Knoten dann aber selbst beim regelmässigen Abtasten zu Hause. «Ich hoffte natürlich, dass es sich um etwas Harmloses handelt.» Doch vier Jahre nach dem Gentest erhält sie die Diagnose: Brustkrebs. Trotz Vorwissen und familiärer Risikovorbelastung habe die Diagnose sie «umgehauen». Sie fiel in eine Art Schockstarre. «Eine geballte Ladung an Gefühlen ist über mich hereingebrochen.» In dem Moment seien alle Luftschlösser zerplatzt, die sie sich für ihre Zukunft gemacht hatte. Berufliche Weiterbildung? Partnerschaft? Hobbys? «Es wird nichts mehr so sein wie vor der Diagnose. Ich werde ein anderes Ich sein und mein Körper wird anders sein.»
Maja S. erging es genau gleich, als sie drei Jahre nach der dritten Schwangerschaft ihre schlimmsten Vermutungen bestätigt bekam. «Jeden Morgen beim Aufwachen hoffte ich, die Diagnose Brustkrebs sei nur ein böser Traum gewesen.»
Sie hatte zu dem Zeitpunkt keine einfachen drei Jahre hinter sich. Ihr Körper habe verrückt gespielt. Sie litt unter Durchfall, starken Blutungen und Gemütsschwankungen. Sie ging immer wieder zu ihrer Ärztin und bat um eine Hormonspiegelmessung, da sie das Gefühl hatte, früh in den Wechseljahren zu sein. Doch die Ärztin habe eine seelische Überforderung diagnostiziert und Antidepressiva verschrieben.
Maja hatte Mühe, ein traumatisches Erlebnis in ihrer Familie zu verarbeiten und begann, intensiv Sport zu treiben, auf der Flucht vor sich selbst. Sie hatte drei kleine Kinder, führte mit viel Herzblut den Haushalt und pflegte liebevoll ihren grossen Garten. Gleichzeitig arbeitete sie Teilzeit als Lehrerin. Zur Ablenkung stürzte sie sich übermässig in Arbeit. «Ich spürte, dass etwas nicht stimmt. Ich war dauernd von innen heraus getrieben und fand keine Ruhe mehr.»
Heute weiss sie: es waren die Hormonschwankungen. «Ich hätte viel früher die Ärztin wechseln oder eine Zweitmeinung einholen sollen.» Sie habe nicht gewusst, dass anhaltender Stress im Blut zu einem dauerhaft hohen Wert des Stresshormons Cortisol führe und dass Cortisol Entzündungen und diese wiederum eine Tumorbildung fördern können.
Vier Wochen nach der Diagnose begann für Corina F. die Chemotherapie. «Bis die Therapie anfängt, fühlst Du Dich körperlich noch topfit, aber emotional fährst Du Achterbahn.» Gerade als Pflegefachfrau habe sie oft gewusst, was die Untersuchungsergebnisse bedeuteten, was es etwa heisst, wenn auch die Lymphknoten betroffen sind.
Die junge Frau im gebärfähigen Alter musste sich nach der Diagnose innerhalb weniger Tage entscheiden, ob sie später eigene Kinder haben möchte, da eine Chemotherapie zur Unfruchtbarkeit führen kann. Sie hatte sich bis dato noch gar nicht mit einer allfälligen Familienplanung auseinandergesetzt und war völlig überfordert. So beschloss sie, sich die Option offenzulassen, und entschied sich für eine Eizellenentnahme.
Mit Beginn der Chemotherapie nahm Corina die Hilfe einer Psychoonkologin in Anspruch. «Eigentlich etwas spät», stellt sie fest. Sie hätte sich rückblickend besser direkt nach der Diagnose psychologische Unterstützung holen sollen, um das Erlebte verarbeiten zu können. «Ich stand an einem Scheidepunkt: Entweder packst Du die Sache an oder fällst in eine Depression. Man muss aus diesen frustrierenden Gefühlen herausfinden, um mit der Tatsache, dass man an Krebs erkrankt ist, umgehen zu können.»
Die junge Frau verabschiedete sich bewusst von ihrem gesunden Leben und lässt es für sich «offen, wie das neue Leben sein wird». Sie möchte noch keine Pläne schmieden, sondern Schritt für Schritt die körperlichen und psychischen Veränderungen betrachten und damit umgehen. «Ich kann nicht beeinflussen, ob die nächsten Schritte – Amputation und Bestrahlung – stattfinden. Der Krebs bestimmt die Behandlungsart. Also lasse ich schlechte Gedanken weg. Die ziehen mich nur runter.» Natürlich klappe das nicht immer gleich gut. «Depressive Verstimmungen gehören dazu.» Sie sage dann jeweils ihrem Umfeld, sie sei heute «nicht gesellschaftstauglich».
An den schlechten Tagen, wenn die Mundschleimhäute von der Chemotherapie entzündet sind, ihr schlecht sei und ihr alles weh tue, denke sie an schöne Dinge, die es ihr einfacher machen, das Negative auszuhalten. Eines ihrer Motivationsziele ist: eines Tages wieder ein «feines Glacé» von ihrer Lieblingsgelateria geniessen zu können.
Vom Moment der Diagnose an komme man in ein Fahrwasser von Abklärungen und Terminen. «Du bestimmst nicht mehr selbst über Deine Zeit», konstatiert Corina. Zeitweise habe sie etwas die Kontrolle über all die Termine, Abrechnungen und Korrespondenz mit der Krankenkasse verloren. Da hätten ihr aber die Breast-Care-Nurses am Tumorzentrum Winterthur sehr geholfen. «Die sind Gold wert.»
Dies bestätigt auch Maja mit Nachdruck. Betreffend all der Termine kommt es Corina vor, als sei sie konstant am Rennen, aber die Zeit gehe gar nicht vorbei. Dieses Gefühl kennt Maja nur zu gut. Physisch und psychisch sei die Behandlung ein Marathon, «aber es fühlt sich an wie ein konstanter Sprint». Die zwei Jahre der medizinischen Eingriffe und Behandlungen durchlief sie «wie in einem Alptraum».
(Fortsetzung weiter unten…)
Maja hatte sich für einen Brustaufbau mit Eigengewebe vom Gesäss entschieden. Doch nach der ersten Operation, in der provisorisch ein Gewebeerweiterer eingesetzt wurde, entzündete sich die erhaltene Haut über der ausgehöhlten Brust und starb ab. Der Gewebeerweiterer und die abgestorbene Haut mussten operativ entfernt werden. «Danach war ich auf einer Seite flach. Das konnte ich ganz schlecht akzeptieren.»
Die nächste Enttäuschung erfuhr sie, als klar wurde, dass das mit dem Eigengewebe samt Haut von ihrem Gesäss nicht in Frage kam, weil das Gewebe zu feine Blutgefässe aufwies. Neun Monate nach der Amputation wurde ihr in einer dritten Operation die Brust mit einem Teil eines Rückenmuskellappens in Kombination mit einem Implantat wieder rekonstruiert. Weitere sieben Monate später liess sie die Brustwarze rekonstruieren und ein weiteres halbes Jahr später eine Brustwarze tätowieren.
Während des medizinischen Marathons lebe man in einer Art Ausnahmezustand. «Ich wusste, ich will für meine Familie alles daran setzen, mutig zu sein, durchzuhalten und positiv zu denken.» Sich täglich fürs Leben zu entscheiden, sei manchmal mental aber enorm anstrengend gewesen, sagt Maja. Als der Marathon vorbei war, fiel sie in ein psychisches Loch. «Erst jetzt begann ich zu realisieren, was mir widerfahren war.» Sie nahm weiter die Hilfe einer Psychoonkologin in Anspruch und begann mit sanftem Muskelaufbautraining, um das durch die grosse Rekonstruktionsoperation hervorgerufene Kräfteungleichgewicht im Körper auszugleichen. Sie stärkt ihren Körper bewusst mit verschiedenen Aufbaupräparaten, mit Physiotherapie, Craniotherapie und Massagen. «Heute fühle ich mich so gesund wie schon lange nicht mehr. Der Brustkrebs hat mich geschliffen wie einen Diamanten.»