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«Viele Corona-Patienten werden wieder gesund, das macht Hoffnung»

Nach 14 Tagen zwischen Leben und Tod hat der Waadtländer Sébastien Lagrange den Kampf gegen Covid-19 gewonnen. Die bewegende Geschichte eines 47-Jährigen, der sich nicht unbesiegbar fühlt.

«Ich habe mich, ohne es zu wissen, am Sonntag, 23. Februar mit dem Virus angesteckt, und zwar in einer Kirche durch den Kontakt mit einer Person, die an dem christlichen Treffen in Mülhausen teilgenommen hatte, das nun in aller Munde ist. Diese Person wusste selbst nicht, dass sie mit dem Virus infiziert war. Vier Tage später machten sich Grippesymptome bemerkbar, am Samstag, 29. Februar stieg das Fieber auf 39,5° Celsius.» Sébastien Lagrange, 47 Jahre, macht sich aber keine Sorgen. Er glaubt, sich eine böse Grippe eingefangen zu haben, und behandelt sich selbst mit Paracetamol. Als das Fieber aber auch am 2. März noch anhält, begibt er sich in ein Notfallzentrum. «Man fragte mich, ob ich aus dem Ausland zurückkäme oder Kontakt zu einer infizierten Person gehabt hätte, was ich jedoch nicht wusste. Auf das Coronavirus haben sie mich nicht getestet.»

Am Freitag, 6. März das Gleiche noch einmal: Immer noch fiebrig sucht Sébastien Lagrange erneut das Notfallzentrum auf. «Mit einer Röntgenaufnahme wurde eine Lungenentzündung festgestellt. Ich wurde mit Antibiotika und entzündungshemmenden Medikamenten wieder nach Hause geschickt. Am Abend verschlechterte sich mein Zustand. Sie hatten meinen Fall falsch diagnostiziert. Niemand wusste, was ich wirklich hatte. Auch wenn einige Fehler gemacht wurden, bin ich niemanden gram.» Als seine Frau die Freundin anruft, die in Mülhausen gewesen ist, erfährt sie, dass diese sich dort mit dem Coronavirus angesteckt hat. Die beiden warten nicht länger, sondern fahren sofort in die Notaufnahme des CHUV. Der dort durchgeführte Test auf das Coronavirus fällt positiv aus. Sébastien Lagrange wird unverzüglich isoliert.

Schläuche, Sonden und Katheter

Sie überlegten, mich in ein künstliches Koma zu versetzen und mich künstlich zu beatmen. Sie waren sich nicht sicher, ob ich die Nacht überstehen würde ...

Es folgen zwei lange Nächte auf der Intensivstation. «Mir wurden Antibiotika und Virostatika verabreicht. Ich bekam mit, dass um mich herum alle beunruhigt waren, die Ärzte und Krankenschwestern. Sie überlegten, mich in ein künstliches Koma zu versetzen und mich künstlich zu beatmen. Sie waren sich nicht sicher, ob ich die Nacht überstehen würde ... Schlussendlich haben sie mir über einen einfachen Schlauch in der Nase Sauerstoff zugeführt. Ich habe so gut wie gar nicht geschlafen: Eisbeutel von Kopf bis Fuss, überall Kabel und Schläuche, ein Blasenkatheter, drei Katheter.

Das Pflegepersonal war grossartig und hat sich hervorragend um mich gekümmert.» Seine Frau darf, mit allen nötigen Schutzmassnahmen, für eine Stunde zu ihm. Eine Unterhaltung ist jedoch schwierig. «Ich hustete und hatte Schwierigkeiten zu sprechen. Ich war richtig niedergeschlagen und rief meine Eltern in Frankreich an. Ich brach in Tränen aus. Obwohl ich gläubig bin, hatte ich Zweifel und Angst. Ich fühlte mich schwach, verletzlich. Ausserdem hatten wir soeben erst erfahren, dass in Genf eine Frau an Covid-19 gestorben war. Ich bin zwar erst 47 Jahre alt, hatte aber trotzdem grosse Angst, die Erkrankung nicht zu überleben.»

Zwei Tage später, am Sonntagabend, wird Sébastien Lagrange auf ein Isolierzimmer in der Überwachungsstation im 19. Stock verlegt. «Das Fieber war zwar zurückgegangen, ich hatte aber immer noch Atemprobleme. Mein Sauerstoffgehalt war zu niedrig, als dass ich normal hätte atmen können, weswegen ich bis Donnerstag, 12. März mit Sauerstoff versorgt wurde. Es ist alles andere als einfach zu schlafen, wenn man alle vier Stunden behandelt wird. Man hat Zeit, an vieles zu denken, an seine Familie, seine Freunde. (Voir suite ci-dessous...)

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Man nimmt sich vor, das Leben danach in vollen Zügen zu geniessen und es noch mehr auszukosten.» Nur seine Frau darf ihn besuchen, höchstens 15 Minuten täglich. Ohne Berührung, mit einem Abstand von zwei Metern und allen erforderlichen Schutzmassnahmen. Angst, jemanden angesteckt zu haben? «Diese Angst begleitet einen ständig. Vor allem, weil ich mit vielen Menschen in Kontakt gekommen bin. Ich spiele Tischtennis und Pétanque in meiner Freizeit und wettkampfmässig. Als ich am 29. Februar Fieber bekam, kam ich gerade von einem Turnier zurück. Ich habe alle Personen kontaktiert, denen ich dort begegnet bin, und zum Glück hat sich niemand von ihnen mit dem Virus angesteckt. Auch meine Frau nicht, was an ein kleines Wunder grenzt!»

Zurück im Alltag

Manche Ärzte sagen, dass ich immun bin, geheilt. Andere wiederum glauben das nicht.

Am Freitag, 13. März, Tag 1 der landesweiten Ausgangssperre, kann Sébastien Lagrange das Spital verlassen, muss sich aber noch für fünf Tage in Selbst-Quarantäne begeben. «Ich war symptomfrei, hatte weder Fieber noch Husten, nur die Atemprobleme hielten weiter an. Bei kleinen Spaziergängen in der Nähe meiner Wohnung, wobei ich natürlich immer darauf achtete, niemanden zu begegnen, war ich schnell ausser Atem und fühlte mich müde und sehr schwach.»

Erst ab dem 20. März stellt sich wieder Normalität ein. Er fühlt sich wieder gesund und kann lange Spaziergänge ohne Muskelschmerzen und Atemnot machen. «Ab und zu messe ich noch Fieber, aber es ist alles in Ordnung.» Eine Sorge bleibt jedoch. «Manche Ärzte sagen, dass ich immun bin, geheilt. Andere wiederum glauben das nicht. Anscheinend verhält es sich wie mit der Grippe: Das Virus kann mutieren, weswegen die Gefahr besteht, sich erneut damit anzustecken. In China und Japan gab es angeblich einige Rückfälle. Ich weiss nicht mehr, wem ich glauben soll. Ich passe also gut auf und schütze mich, so als ob ich das Virus nicht gehabt hätte. Ich fühle mich nicht zu 100% immun.»

Heute versucht Sébastien Lagrange seine Arbeit wieder aufzunehmen. Als selbstständiger Klavierstimmer ist er in der ganzen Schweiz unterwegs, sowohl für Privatpersonen als auch für Konzertsäle. Manche seiner Kunden empfangen ihn, der Grossteil aber hat den vereinbarten Termin abgesagt. «Alle haben Angst. Das ist ganz normal. Meine Tage in Quarantäne werden mir erstattet, was den Rest betrifft, das weiss ich nicht.» Im Augenblick ist er einfach glücklich und dankbar, noch am Leben zu sein, und will unbedingt seine Geschichte erzählen, um andere wissen zu lassen, dass viele am Virus erkrankte Menschen wieder gesund werden und den Kampf gegen Covid-19 gewinnen. «Es ist wichtig, auch das Positive hervorzuheben, Hoffnung zu machen.» Er trägt aber weiterhin eine Maske beim Einkaufen und wäscht seine Hände mit hydroalkoholischem Gel. Er bleibt vorsichtig, sehr vorsichtig. Und auch, wenn er den Kampf gegen das Coronavirus dieses Mal gewonnen hat, fühlt er sich nicht unbesiegbar.

Fotos: Nicolas Righetti

von Patricia Brambilla,

veröffentlicht am 22.04.2020


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