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«Jetzt zeigt sich, was wichtig ist»

Was bedeutet der Distanzzwang für unsere Freundschaften? Psychiater Thomas Ihde spricht über intensive Telefonate, Beziehungen im Frühstadium und über die Gründe, warum man sich jetzt einen Brief schreiben sollte.

Seit drei Wochen schrumpfen un­sere sozialen Kontakte auf ein ­Mi­nimum. Was macht das mit uns?

Für manche Familien ist es schön, mehr Zeit gemeinsam zu verbringen. Anderen wird die Enge des Wohnraums bewusst. Arbeit und lernende Kinder unter einen Hut zu bringen, ist erschöpfend. Viele schmerzt ­die Trennung von den Grosseltern. Die körperliche Distanz macht vor ­allem allein lebenden Menschen zu schaffen. Unser Bedürfnis nach Berührungen – und seien sie noch so flüchtig – können auch moderne Kommunika­tionsmittel nicht auffangen.

Viele merken nun, wie wichtig Austausch mit Freunden ist, und tele­fonieren öfter. Und es wird ­einem bewusst, mit wem man in Kontakt sein will. Lässt uns das Coronavirus Beziehungen überdenken?

Unser Beziehungsnetz besteht aus einer Vielfalt an Leuten, die sehr unterschiedliche Facetten unserer Persönlichkeit abdecken. Mit manchen führen wir tiefe Gespräche, mit an­deren gehen wir zum Fussballmatch. Zurzeit sind viele verunsichert und suchen eher tiefe Gespräche. Ich selbst habe öfter Kontakt mit Familienmitgliedern, fühle mich mit ihnen stärker verbunden; mit meinem Bruder führe ich sonst nicht so intensive Telefonate.

Was bedeutet das für die Freundschaft mit dem Matchkollegen?

Momentan mag diese Beziehung vielleicht eine Pause einlegen. Wenn wir wieder rausdürfen, intensiviert sich der Kontakt wieder von selbst. Darauf können wir uns freuen.

Wie sieht es mit Liebesbeziehungen aus, die noch ganz am Anfang stehen?

Die neuen Regeln verunsichern: Wie viel Nähe darf ich zulassen? Auf ­diversen Partnerplattformen ist jetzt wenig los – es ist nicht die Zeit, um neue Kontakte aufzubauen. In Beziehungen, die sich in der Anfangsphase befinden, kommt es schneller zu ­Nähe und Intimität – oder zur Trennung. Manche Beziehungen im Frühsta­dium, die nun zerbrechen, hätten in normalen Zeiten vielleicht Bestand gehabt; sie scheitern jetzt am zu frühzeitigen Bedürfnis nach Verbind­lichkeit. Es gibt gerade keinen Raum, in dem spontan etwas ent­stehen kann.

Wie kommen wir mit Freunden und Familie gut durch diesen ­Ausnahmezustand?

Nach den ersten Wochen, in denen wir pausenlos Nachrichten verfolgt haben und das Familienleben sehr ­intensiv war, tritt nun eine Phase der ersten Sättigung und der Routinen ein. Jetzt ist es wichtig, sich in Gesprächen Zeit für andere Themen ­zu nehmen, bewusst gegenzusteuern. Man kann etwa die Freundin fragen: «Welches Buch liest du gerade?» (Lesen Sie unten weiter ...)

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Über Covid-19 zu reden, hat aber auch etwas Solidarisierendes.

Stimmt. Allerdings sollte man in sich hineinhören: Mit manchen tut ein Austausch gut. Bei anderen fühlen wir uns gestresst – solche Gespräche sollten wir lassen. ­

Was machen Menschen, die allein leben und sich trotz Skype einsam fühlen?

Daran lässt sich leider nichts ändern. Jetzt zeigt sich, was wirklich wichtig ist im Leben – das ist auch eine ­Chance. Wenn die Krise vorbei ist, werden wir Beziehungen anders führen – jedenfalls in den ersten ­Wochen. Schreiben wir doch nun alle einen Brief an uns selber: «Was ich aus der Coronakrise für mein Leben mitnehme.» Den kann man bei jedem Geburtstag wieder hervorholen.

von Kristina Reiss,

veröffentlicht am 06.04.2020


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