Mehrere tausend Knieoperationen werden in der Schweiz jährlich vorgenommen, ohne Nutzen für den Patienten. Wie ist das möglich? Unser Kolumnist Christian Hess liefert Antworten.
Rund 16 000 mal wird in der Schweiz eine Meniskusoperation vorgenommen, deren medizinischer Nutzen meist fragwürdig, oft gleich null ist. Geschätzte Kosten, die ohne Nachteil für die Patienten eingespart werden könnten: rund 70 Millionen Franken im Jahr (Tagesanzeiger Abo+-Artikel).
Wie kann das passieren? Es ist die Folge einer fehlgeschlagenen politischen Intervention im schweizerischen Gesundheitswesen. Die steigenden Kosten und die überproportional steigenden Krankenkassenprämien haben die Politik herausgefordert. «Mehr Wettbewerb wirds richten», ist ihre Antwort.
Dahinter steht eine Marktideologie, die den Marktkräften und damit dem Wettbewerb zutraut, bei erhaltener oder gar verbesserter Qualität, die Kosten zu senken. Man ist offenbar überzeugt, dass die gleichen Anreize wie in der Konsumwelt die Bedürfnisse der Patienten, fortan konsequenterweise Kunden genannt, am besten erfüllen können.
Aufgrund dieser Überlegungen wurden 2012 die Fallkostenpauschalen in den Spitälern, in denen gut 40 Prozent der Kosten entstehen, eingeführt. Parallel dazu hat eine zunehmende Teil-Privatisierung stattgefunden, und es entstehen rundum Aktiengesellschaften, die letztlich auf Gewinn ausgerichtet sind.
Die Folgen sind klar: Mengenausweitung, Fokussierung auf lukrative Krankheitssituationen, Vorrang der technischen gegenüber der sprechenden Medizin. Das System reagiert auf die Anreize, allerdings weniger im erhofften Sinn, als im Sinne des Anheizens einer zahlen- und umsatzorientierten Versorgung.
Die Idee, dass Wettbewerb Qualität fördert und Kosten senkt, mag für Konsumgüter ohne existentiellen Charakter richtig sein. Das Gesundheitswesen beschäftigt sich aber mit einer ganz anderen Art von Bedürfnissen. Bei Sorgen um Kranksein und Gesundsein spielen andere Mechanismen als im reinen Konsummarkt. Die Kosten werden zudem nur teilweise vom Betroffenen getragen (Solidarsystem der obligatorischen Krankenversicherung). Das führt dazu, dass das Abwägen von Kosten und Nutzen vom einzelnen Patienten nicht gemacht werden muss. Alle anderen Systemteilnehmer sind potentielle Gewinner.
In einem funktionierenden Markt braucht es aber für Betroffene wie Behandelnde gleichviel Informationen. Dies ist im Gesundheitswesen (trotz Google) nie gegeben. Immer besteht ein Macht- und Wissensgefälle zwischen Arzt und Patientin.
Die Ärztinnen Ihrerseits kommen unter einen kommerziellen Druck, der Ihnen vom Verwaltungsrat, CEO oder sonstigen Vorgesetzten mehr oder weniger offenkundig auferlegt wird. Am fragwürdigsten in diesem Bereich sind Mengengerüste mit Bonus-Versprechen.
Fazit: Die Anreize führten zum Anheizen und damit zum Schaden der Prämienzahler und der überversorgten Patienten. Nur eine Umkehr, weg von dieser Kommerzialisierung des Gesundheitswesens, verspricht Besserung.
In der Zwischenzeit bieten besorgte Fachkräfte im Café Med der Akademie Menschenmedizin im «Chez Marion» am Zähringerplatz in Zürich, zweimal im Monat kostenfreie Beratungen zur Entscheidungsfindung an. Immerhin!
Weitere Informationen unter www.menschenmedizin.ch