Bergluft schnuppern, Gastgeberin sein, eine SAC-Hütte führen: Für viele ein Traum. Zu Besuch auf der Silvrettahütte oberhalb von Klosters, wo man an einem Kurs den zuweilen harten Hüttenalltag kennenlernt.
Nebelfetzen schmiegen sich an die Silvrettahütte, die wie ein Adlerhorst gut 600 Höhenmeter oberhalb der Alp Sardasca im Prättigau GR thront. Es nieselt. Die sommerliche Hitze im Tal – hier oben ist sie nicht zu spüren.
Vor der Hütte herrscht reger Betrieb. Drei Frauen sind draussen am Arbeiten. Eine spaltet Holz, eine fährt es mit der Schubkarre weg, eine stapelt es. Sie sind Teil des diesjährigen Hüttenwartkurses. 18 Frauen und Männer sollen hier in drei Tagen von Hüttenwart Marco Brot und den Kursleitern Martin Imhof und David-André Beeler erfahren, was es heisst, eine SAC-Hütte zu managen.
Der 50-jährige Bündner Marco Brot, grossgewachsen und braungebrannt, bestreitet in der Silvrettahütte seine sechste Sommersaison. Ihm sei es wichtig, die Anwärterinnen und Anwärter auf den echten Alltag hier oben vorzubereiten.
«Die Arbeitstage können bis zu 16 Stunden lang werden», sagt Brot. Wenn die Gäste bei perfekten Bedingungen losziehen, um eine Klettertour oder eine Gletscherwanderung zu machen, bleibt der Hüttenwart zurück. «Um Betten zu beziehen, zu putzen, aufzuräumen, zu kochen und um die Betreuung der Gäste zu gewährleisten.» Jeden Tag. Während der ganzen Saison. Als Hüttenwart müsse man gut mit Menschen umgehen können. «Manch einer will bei schlechten Bedingungen mit dem falschen Schuhwerk losziehen. Es ist unsere Aufgabe, diese Leute auf mögliche Gefahren hinzuweisen. Dazu braucht man manchmal Fingerspitzengefühl.»
Trotz des strengen Alltags ist der Ansturm auf den alljährlichen Hüttenwartkurs seit Längerem gross. Jedes Jahr müssen Interessierte abgewiesen werden – was wohl auch für 2022 der Fall sein wird. Denn wegen der begrenzten Anzahl Berghütten gibt es pro Jahr nur einen Kurs.
(Fortsetzung weiter unten…)
Auch für Katrin Sager (29) war es ein langgehegter Traum, an diesem Kurs teilzunehmen. Die Appenzellerin, zierlich, mit langen Haaren, steht vor dem Abendessen auf der Terrasse und blickt in die wolkenverhangenen Berge. Sie war heute nicht mit Holzhacken beschäftigt, hat dafür alles Nötige über Pachtverträge erfahren. Sie sagt: «Ich bin hier, weil ich auch einmal eine Hütte führen will.» Sager ist Pflegefachfrau und Berufsbildnerin. Sie arbeitet in der Paracelsus-Klinik in Teufen AR und verbringt ihre «ganze Freizeit in der Natur». Fast jeden Sommer nimmt sie drei bis vier Monate unbezahlt frei, um auf einer Hütte zu arbeiten. «Das ist der perfekte Ausgleich. Im Spital muss ich viel denken, bin viel drinnen.» In den Bergen könne sie durchatmen, den Kopf lüften. «Für mich ist das kein zweiter Beruf, sondern vielmehr ein Hobby, mit dem ich noch ein wenig Geld verdienen kann. Es ist ein Privileg, dort arbeiten zu können, wo ich am glücklichsten bin.»
Sager weiss, dass ihr der Job als Hüttenwartin mehr abverlangen wird. «Es wird sicher eine grössere Belastung sein, als wenn ich auf einer Hütte aushelfe.» Sie brauche aber die körperliche Herausforderung und die zusätzliche Verantwortung. «Dann weiss ich am Abend, was ich gemacht habe. Ich glaube, dass es eine sehr positive und abwechslungsreiche Arbeit ist, sofern ich es weiterhin mit Leidenschaft und Freude mache.»
Um 18.30 Uhr servieren ein paar der Kursteilnehmerinnen und -teilnehmer das Abendessen. Blaukohlsuppe, gefolgt von Fusilli an hausgemachter Napoli-Sauce und einer Creme Helene zum Dessert. Das Team hatte das Zeitmanagement nicht im Griff. So war die Suppe zu wenig eingekocht und musste dünnflüssiger serviert werden, als Hüttenwart Marco Brot das wollte. Er wird am folgenden Tag bei der Nachbesprechung sagen: «Das Zeitmanagement ist entscheidend, wenn man für so viele Menschen kochen muss. Fängt man zu spät an, holt man das nicht mehr auf.»
Das Teilnehmerfeld des Hüttenwartkurses ist bunt durchmischt. Ärztin, Schreinerin, Käserin, Lehrer. 15 Frauen, drei Männer. Die Überzahl der Frauen ist schon seit ein paar Jahren ein Trend, wie Kursleiter Martin Imhof (57) sagt. «Es ist klar zu erkennen, dass sich auch immer mehr Frauen zutrauen, eine Hütte zu führen.» Damit alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer schon vorher wissen, was sie erwartet, sind seit fünf Jahren zwei Mal zwei Wochen praktische Einsätze auf einer SAC-Hütte Pflicht, damit man am Kurs teilnehmen darf. Zu oft seien die Teilnehmer mitten im Kurs wieder ausgestiegen, weil sie vom harten Hüttenalltag überrascht worden sind. Der Kurs soll sensibilisieren, vernetzen und auch desillusionieren. «Einige waren überrascht, dass ein Hüttenwart eigentlich ständig am Arbeiten ist, selbst wenn er schläft. Wir wollten nicht, dass diese Leute den wirklich Interessierten die Plätze wegnehmen», so Martin Imhof. Nur rund ein Drittel – so die Erfahrung – wird am Ende tatsächlich einmal eine Hütte führen.
Auch Natascha Licinar hat einen «sehr strengen Einsatz» auf der Wildhornhütte erlebt. Die 23-jährige St. Gallerin steht am frühen Morgen in der Küche, schneidet Brot und braut Kaffee. Licinar hat Geografie und Umweltwissenschaften studiert. «Ich hatte schon erwartet, dass der Hüttenwartalltag strenger ist als mein Bürojob. Aber beim praktischen Einsatz habe ich bemerkt, dass es wirklich auch mit grossen körperlichen Anstrengungen verbunden ist. Ich hatte Schwielen an den Händen vom vielen Putzen.» Doch der Vibe der SAC-Hütte habe ihr sehr gefallen.
(Fortsetzung weiter unten…)
Der jährliche Hüttenwartkurs wird vom Schweizer Alpen-Club und dem Verband Schweizer Hütte angeboten. Der Kurs gliedert sich in fünf Module à je drei Tage. Die sieben Kursthemen sollen die abwechslungsreiche Arbeit auf einer Hütte widerspiegeln. Vier Module finden in der Hotelfachschule Thun BE statt, ein Modul auf der Silvrettahütte. 15 Kurstage kosten gut 4000 Franken. Der Kurs ist nicht Pflicht, um eine SAC-Hütte führen zu dürfen, wird mittlerweile von vielen der 111 SAC-Sektionen, die die Hütten vergeben, jedoch vorausgesetzt.
Mehr Informationen: sac-cas.ch
«Ich bin gern und oft in den Bergen und liebe das einfache, aber gute Essen und die Gemütlichkeit, die solche Hütten ausstrahlen», sagt Licinar. «Die entspannte Atmosphäre lässt die Gäste näherrücken, und es entstehen viele interessante Gespräche.» Mit dem Kurs wolle sie einen ersten Eindruck gewinnen. Eintauchen in das Hüttenleben. «Ich habe immer wieder in der Gastronomie gearbeitet und wollte erfahren, wie das hier oben alles so funktioniert.» Der Kurs gebe ihr einen guten Überblick.
«Ich kann mir gut vorstellen, einmal mit dem richtigen Team eine Hütte zu führen», – obwohl sie wisse, dass es schwer sei, überhaupt eine zu bekommen. Von 153 SAC-Hütten wird jedes Jahr nur eine Handvoll zur Pacht ausgeschrieben. «Ich fände es gut, wenn die Hütten nach fünf Jahren jeweils wieder ausgeschrieben würden. Dann hätten mehr Leute eine Chance, eine zu bewirtschaften.»
Beim Hüttenwartkurs müssen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit anpacken und lernen so den Hüttenalltag kennen.
Fotos: Gian Ehrenzeller