Lärm kann depressiv machen, zu Lernschwierigkeiten und zum Herzinfarkt führen. Was wir als störendes Geräusch empfinden, ist allerdings subjektiv.
Lärm ist «unerwünschter Schall». Ein zwitschernder Vogel am Tag nervt uns kaum, der bellende Hund nachts dagegen ist ein Ärgernis. «Am störendsten ist Lärm ‹mit Informationsgehalt›», sagt Martin Röösli, Professor für Umweltepidemiologie am Schweizerischen Tropen- und Public Health-Institut. Gemeint sind Geräusche, die zugleich Botschaften transportieren. Sei es das warnende Martinshorn eines Polizeiautos oder der zu laute Fernseher des Nachbarn – unsere Ohren können nicht «weg-hören».
Sie schlafen auch nie. Deshalb ist Lärm zur Nachtzeit nerviger – auch dann, wenn man ihn im Schlaf gar nicht zu bemerken scheint. «Subjektiv haben viele Menschen das Gefühl, sie gewöhnen sich zum Beispiel an den nächtlichen Verkehrslärm draussen. Aber wenn man ihre Hirnströme misst, sieht man, dass das Gehirn auf den Lärm reagiert. Diese Wirkung des Lärms wird oft unterschätzt», sagt Röösli.
Die Schall- (oder Lärm-)intensität wird in der Einheit «Dezibel» (dB) gemessen. Weil dabei eine logarithmische Skala angelegt wird, ist die Schallintensität eines Pegels von 80 dB nicht doppelt so hoch wie die eines mit 40 dB, sondern 10’000-fach so hoch. Pro 10 dB steigt die Schallintensität um das Zehnfache.
Geräusche, die konstant «dahinfliessen» und gut zu orten sind, empfinden die meisten Menschen als weniger lästig, verglichen mit solchen, die plötzlich kommen. Fluglärm beeinträchtigt daher – bei gleicher Lärmbelastung – die Lebensqualität stärker als Strassen- oder Bahnlärm.
Schätzungsweise 140 Millionen Menschen in Europa sind einem Lärmpegel von mindestens 55 Dezibel ausgesetzt. Als weitaus grösste Lärmquelle gilt der Strassenverkehr. Wissenschaftler haben kürzlich ermittelt, wie gross die Belastung durch Fahrzeuge, Züge und Flugzeuge in 724 europäischen Städten ist.
Von den 17 Orten in der Schweiz, die untersucht wurden, war Bern die leiseste und Genf die lauteste Stadt: Fast 69 Prozent der Bevölkerung sind in Genf einem durchschnittlichen «Tag-Abend-Nacht-Lärmindex» (Lden) von 55 Dezibel oder mehr ausgesetzt.
Bei diesem Index gilt tagsüber ein anderer Grenzwert als abends und nachts. Laut der Weltgesundheitsorganisation WHO sollte beim Strassenlärm ein Grenzwert von 53 Dezibel eingehalten werden, bei Bahnlärm unter 54 dB und bei Fluglärm unter 45 dB.
Bezogen auf die Anzahl der Menschen, die mit einem Lden von über 50 Dezibel beschallt werden, ist Zürich Spitzenreiter: Dort sind rund 277’000 Personen betroffen, in Genf sind es laut der Studie «nur» etwa 230’000 und in Bern circa 49’500.
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Auf die Gesundheit hat Lärm «nachweislich Gesundheitseffekte», sagt Röösli. Dazu zählen direkte Wirkungen auf das Gehör und indirekte auf den ganzen Körper. «Lärm stresst den Körper. Er bewirkt, dass Stresshormone ausgeschüttet werden.» Infolgedessen steigen der Blutdruck und der Blutzucker – und das wiederum erhöht die Wahrscheinlichkeit für einen Herzinfarkt, einen Schlaganfall, für Diabetes, Übergewicht, Schlafstörungen, Depression und auch für Lernschwierigkeiten und Verhaltensauffälligkeiten bei Kindern.
Laut der Europäischen Umweltagentur führt Lärm bei 6,5 Millionen Menschen in Europa zu Schlafstörungen, bei 48’000 zu einem Herzinfarkt und bei 12’000 zum vorzeitigen Tod – pro Jahr. Martin Röösli und seine Kollegen konnten für die Schweiz zeigen, dass das Risiko für Herzinfarkt bereits unterhalb des Grenzwerts erhöht war.
Etwa 500 Herzinfarkte pro Jahr seien hier zu Lande teilweise dem Lärm zuzuschreiben, schätzt Röösli, wobei nächtlicher Lärm stärkere Wirkungen auf das Herz und den Kreislauf habe als der Lärm tagsüber. «Im Gegensatz zu anderen Risikofaktoren wie Rauchen oder Alkohol kann der Lärm durch den Einzelnen nicht effizient beeinflusst werden.» Der Mensch ist ihm ausgeliefert – aber nicht komplett.
«Wenn man am Lärmpegel nichts ändern kann, dann könnte es vielleicht helfen, seine Einstellung dazu zu ändern», schlägt Röösli vor. Eine Hilfe könne beispielsweise sein, sich beim Geräusch der Autobahn einen Fluss vorzustellen oder den Lärm von draussen mit einem Zimmerbrunnen zu maskieren.