Suchst du eine einfach zu erlernende Entspannungstechnik, die sich bei Bedarf in nur wenigen Minuten durchführen lässt und bei der du nichts falsch machen kannst? Probiere die «progressive Muskelentspannung nach Jacobson» aus.
Erika Stachl, diplomierte Tai Chi Chuan und Qi Gong Kursleiterin an der Migros Klubschule, erklärt, was Progressive Muskelentspannung, auch Progressive Muskelrelaxation (PMR) genannt, ist und wie man das macht.
Das ist eine Entspannungsmethode, bei der man einzelne Muskelgruppen in einer bestimmten Reihenfolge – «progressiv» d. h. fortschreitend – anspannt, für ein paar Sekunden die Spannung hält und die Muskeln dann wieder löst.
Der amerikanische Arzt Edmund Jacobson hat in den 1920er-Jahren entdeckt, dass es eine Wechselwirkung zwischen körperlicher Verspannung und seelischem Wohlbefinden des Menschen gibt und dass sich Muskelentspannungsübungen eignen, um seelische Störungen zu lindern und vor allem auch, um ihnen vorzubeugen.
Beispiel für eine kurze Übungsabfolge:
In einer längeren Übungsabfolge kommen die verschiedenen Muskelgruppen einzeln an die Reihe.
Das bewusste Anspannen und Lösen der Muskeln wirkt sich beruhigend auf unser vegetatives Nervensystem aus. Wir atmen danach ruhiger, der Puls geht runter. Wer die Technik gut beherrscht, findet in nervenaufreibenden Situationen – im Idealfall sogar schon vorher – rasch zur inneren Gelassenheit und Ruhe.
Es geht darum, die eigenen Muskeln und damit den ganzen Körper wieder bewusst zu spüren und Verspannungen nicht nur über den Verstand, sondern direkt über den Körper wahrzunehmen. Mit diesen Übungen kommt man zur inneren Ruhe. Ruhe gibt Kraft und Energie. Unsere Gedanken sollen ins Hier und Jetzt zurückkehren und nicht um unerledigte Arbeiten, anstehende Termine oder Probleme kreisen, die uns belasten oder aufregen. Je mehr ich mich mit dieser Entspannungsmethode befasse und je regelmässiger ich sie ausführe, desto rascher merke ich, wann ich sie am besten schon vorbeugend anwenden sollte.
Progressive Muskelentspannung eignet sich für alle. Sowohl für jene, die Gelassenheit im Beruf und Alltag bewahren möchten, für jene, die sich bereits gestresst fühlen wie auch für jene, denen die Ärztin oder der Psychologe, zum Beispiel nach einem Herzinfarkt oder Burnout, neben einer medizinischen oder psychotherapeutischen Behandlung empfohlen hat, sich Ruheinseln zu suchen.
Auch für Kinder und Jugendliche sind diese einfachen Entspannungsübungen sehr geeignet. Werden die Kinder spielerisch früh daran gewöhnt, hilft es ihnen im oft seelisch stürmischen Jugendalter, wenn sie gelernt haben, ihren Körper besser zu spüren und zu entspannen.
Edmund Jacobson riet vor hundert Jahren bei gewissen Krankheitsbildern von der Anwendung seiner Methode ab. Heutige Erkenntnisse gehen aber davon aus, dass die progressive Muskelentspannung für körperlich oder psychisch schwer Erkrankte oder Verunfallte im Akutstadium sowieso kein Thema ist, dass die Entspannungsmethode aber durchaus im Verlauf einer krankheitsspezifischen Therapie als hilfreiche Ergänzung eingesetzt werden kann.
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Für Einsteigerinnen und Einsteiger ist es am einfachsten, wenn sie sich von einer erfahrenen Fachperson einführen lassen, sei dies in einem Kurs zusammen mit anderen oder mit einer Hör- oder Videoanleitung zu Hause allein. Entscheidend ist, ob einem die Stimme der Person zusagt, die durch die Übungen führt. Die Übungen sind einfach zu erlernen. Man braucht weder Vorkenntnisse noch muss man sportlich sein. Wer regelmässig übt, verinnerlicht die Abläufe und kann diese schon bald ohne Anleitung anwenden.
Grundsätzlich nicht. Aber man sollte, wie bei allem, nicht übertreiben. Die Muskelgruppen also nicht zu oft oder zu lange anspannen. Das kann zu Verkrampfungen oder im schlimmsten Fall zu einer Muskelzerrung führen. Es geht nicht um extreme Belastungen, sondern darum, den Unterschied zwischen Spannen und Loslassen zu spüren. Man soll seinen Körper spüren und wahrnehmen, wo eine allfällige Verspannung liegt. Wer lange an derselben Stelle verspannt ist, hat eventuell den Schmerz mit der Zeit verdrängt und kann den Schmerz gar nicht mehr wahrnehmen. Durch das Wahrnehmen der Verspannung und das aktive Lösen des Muskels kann es zu Beginn an der Stelle schmerzen, weil man sich plötzlich wieder spürt.
Beim Einstieg in die Entspannungstechnik gibt es vielleicht auch Tage, an denen man mit der Methode aus was für Gründen auch immer nicht zurechtkommt. Dann sollte man nichts forcieren und besser aufhören, einen Tee trinken und Musik hören als sich einen inneren Kampf liefern. Wichtig ist, dass man immer mit sich selbst nett ist.
Die progressive Muskelentspannung ist eine einfach zu erlernende, praktische Methode mit direkter Wirkung. Ich spüre von Beginn an, wo ich verspannt bin und wie wohl mir die Muskelentspannung tut. Autogenes Training oder Meditation dagegen ist vor allem eine «Kopfsache», man muss sich innere Bilder vorstellen können, muss mit den Gedanken auf eine Reise gehen. Das Erlernen der beiden letzteren Entspannungsmethoden ist schwieriger, dauert länger und erfordert viel Übung. Progressive Muskelentspannung kann ein Einstieg zu weiteren Entspannungstechniken sein.