Lange galt: Was Hänschen meidet, löst bei Hans keine Allergie aus. Heute ist klar: Das Gegenteil stimmt. Eine vielfältige Ernährung ist die beste Prophylaxe gegen Lebensmittelallergien.
Ein Stück Sonntagszopf mit Erdnussbutter – für viele Kinder ein kulinarisches Highlight. Aber nicht für alle. Lange galt in Schweizer Stuben die Regel, dass Nahrungsmittel, die häufiger als andere zu allergischen Reaktionen führen, vom Speiseplan kleiner Kinder gestrichen werden sollten. Dazu gehörte neben Eiern oder Fisch auch die Erdnuss. Zumindest «Risikofamilien» sollten bei ihren Kindern potenziell allergieauslösende Stoffe nur zurückhaltend in die Ernährung einführen, lautete der jahrzehntealte Ratschlag.
Heute weiss man: Er ist – wie so viele jahrzehntealte Ratschläge – gut gemeint, aber unnütz. Schon seit Jahren empfehlen Allergologen und Kinderärzte auch bei uns die genau gegenteilige Strategie: je früher ein Kind auch klassisch allergene Stoffe zu essen bekommt, desto besser. Den wissenschaftlichen Beweis dafür lieferte die bahnbrechende britische LEAP-Studie an 640 Kleinkindern im Alter von 4 bis 11 Monaten. Das verblüffende Resultat zeigte, dass die Allergiequote bei jenen Kindern, die bis zum fünften Lebensjahr Erdnüsse konsequent mieden, deutlich höher lag (13,7%) als bei jenen, die regelmässig Erdnussproteine verzehrten (1,9%).
Als Reaktion auf diese und andere, ähnlich gelagerte Studien empfiehlt die US-Gesundheitsbehörde NIH Eltern von Kindern mit einem hohen Risiko für eine Erdnussallergie neu, schon im Alter von 4 bis 6 Monaten erdnusshaltige Lebensmittel zu füttern. Eine Empfehlung, die auch bei uns sinnvoll wäre? Nicht unbedingt, findet Roger Lauener, Chefarzt am Ostschweizer Kinderspital und Facharzt für Allergologie und Immunologie. Die Studien seien in Bevölkerungsgruppen durchgeführt worden, in denen Erdnüsse eine andere, viel wichtigere Rolle auf dem Speiseplan einnehmen als in der Schweiz. «Ob man bei uns gleich viel Gutes tun würde, ist unklar.» (Fortsetzung weiter unten...)
2 bis 8 Prozent der Schweizer Bevölkerung leiden an einer Nahrungsmittelallergie - Kinder entwickeln besonders häufig Allergien auf Nahrungsmittel, vertragen diese später aber oft wieder - Kinder sind wenn, dann typischerweise auf Kuhmilch, Hühnerei, Erdnuss und Nüsse allergisch - Erwachsene reagieren am häufigsten auf Haselnüsse, Sellerie, Äpfel, Baumnüsse und Kiwi. - Bei diagnostizierten Allergien hilft nur das konsequente Vermeiden des allergieauslösenden Nahrungsmittels. Dabei muss auch auf versteckte Quellen in verarbeiteten Lebensmitteln geachtet werden. Quelle: aha! Allergiezentrum Schweiz
Auch für Roger Lauener steht fest, dass die einstige «Vermeidungstaktik» eher Schaden anrichtet als Nutzen bringt. Daraus den einfachen Umkehrschluss zu ziehen, dass Kleinkinder gezielt mit allergenen Stoffen gefüttert werden sollten, hält er aber ebenfalls für falsch. «Bei gesunden Kindern gilt heute der Grundsatz, dass sie mit dem Ende der Stillzeit die genau gleichen Nahrungsmittel konsumieren wie die Erwachsenen – schädliche, wie etwa alkoholhaltige Lebensmittel, natürlich ausgenommen.»
Erst wenn es einen konkreten Verdacht gibt, dass das Kind allergisch auf einen bestimmten Stoff reagiert, sei der Gang zum Kinderarzt angebracht. Das gelte auch für Kinder, die als stärker gefährdet für Lebensmittelallergien gelten, da sie in den ersten Monaten eine Neurodermitis entwickelt haben, sowie für Kinder von Allergiepatienten. «Sofern kein konkreter Verdacht besteht, sollte ein Kind so ausgewogen und vielfältig essen wie möglich.» Das sei Untersuchungen seines eigenen Teams zufolge ohnehin die beste Prophylaxe, sagt Roger Lauener: «Je vielfältiger die Ernährung, desto grösser der Schutz vor Allergien und Unverträglichkeiten.»