Depressionen bleiben bei Männern häufiger unerkannt. Das kann schwerwiegende Konsequenzen haben. Der Zürcher Psychologe Andreas Walther klärt auf.
Die Universität Zürich führt unter Psychologe Andreas Walther derzeit die weltweit erste Studie zu einer männerspezifischen Psychotherapie für Depressionen durch. Für mehr Infos, klicke hier.
Andreas Walther: In erster Linie liegt das daran, dass Männer weniger häufig psychologische Hilfe aufsuchen. Zudem präsentiert sich eine Depression bei Männern oft auch anders als bei Frauen. Dahinter stecken gesellschaftliche und soziale Normen.
Für Männer und Frauen gibt es gesellschaftlich akzeptierte Normen, wie sie sich verhalten sollen. Männer sollen stark, der Fels in der Brandung sein, der alles im Griff hat und auch in stressigen Situationen ruhig bleibt. Er ist Herr seiner Emotionen, sexuell immer interessiert und kann Konflikte im Notfall auch mit Gewalt lösen. Diese Ideen wirken wie ein Korsett, das viele Männer davon abhält, sich Hilfe zu suchen, wenn es ihnen psychisch schlecht geht.
Niedergeschlagenheit, Interessenverlust und Schlafstörungen gehören auch bei Männern zu den typischen Anzeichen einer Depression. Aufgrund des gesellschaftlichen Rollenbildes zeigen Männer mit Depressionen gegen aussen aber eher Anspannung und Ärger, oder gar aggressives Verhalten. Zudem kommt es häufiger zu Substanzmissbrauch, wie übermässigem Alkoholkonsum. Auch zeigen depressive Männer öfter ein erhöhtes Risikoverhalten – etwa fahren sie plötzlich schneller und rücksichtsloser Auto.
Das hat nichts mit dem Geschlecht zu tun: Männer und Frauen werden aus unterschiedlichsten Gründen depressiv. Es kann ein Ungleichgewicht von Botenstoffen im Gehirn dahinter stecken. Aber es können auch soziale Faktoren der Auslöser sein, etwa eine Scheidung oder eine schwere Krankheit. Es gibt auch Personen, die weniger gut mit Niederlagen umgehen können und beispielsweise durch eine Kündigung in eine Depression rutschen.
Frauen haben eine höhere Suizidversuchsrate. Allerdings greifen Frauen häufiger zu Medikamenten, während Männer tödlichere Mittel, wie Schusswaffen, verwenden. Tatsächlich haben Männer in der Schweiz eine drei- bis viermal höhere Suizidrate, und der Hauptrisikofaktor für einen Suizid sind Depressionen.
Wenn man genau hinschaut, gibt es ab 65 Jahren einen Anstieg. Dann werden viele Männer pensioniert und verlieren damit einen wichtigen, sinnstiftenden Teil ihres Lebens. Das hat damit zu tun, dass viele Männer viel Wert auf ihren Beruf gelegt haben und dafür emotionale Beziehungen eher vernachlässigten. Fällt der Job weg, wissen viele nicht mehr, was sie mit ihrem Leben tun sollen. Es gibt auch Fälle, in denen eine unheilbare Krankheit wie Demenz im Alter diagnostiziert wird, und Männer sich deshalb entschieden, ihrem Leben ein Ende zu setzen.
Am besten bei Verdacht direkt darauf ansprechen. Männer tendieren dazu, von sich aus nichts von ihren Problemen zu erzählen. Werden sie aber darauf angesprochen, reden sie darüber, wenn auch zögerlich. Auch sollte bei Verdacht direkt gefragt werden, ob Suizidgedanken bestehen, nur so kann schnell gehandelt werden. Danach sich als erstes für die Offenheit bedanken und dann den Mann dabei unterstützen, sich professionelle psychologische Hilfe zu suchen. Angehörige sollten nicht versuchen, selbst die Rolle des Therapeuten, der Therapeutin einzunehmen.
Handelt es sich um eine akute Krise mit Suizidgedanken, sollten sich Betroffene per Telefon ans Kriseninterventionszentrum wenden. Dort arbeiten Notfall-Psychiater und -Psychiaterinnen, die sofort helfen können. Ist die Lage nicht akut, können sich Betroffene selbst auf die Suche nach psychologischen Fachpersonen machen. Jeder Kanton führt eine Liste online, oder man wendet sich an den Hausarzt oder die Hausärztin. (Mehr Infos, siehe Box.)
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Psychiater und Psychiaterinnen haben ein medizinisches Studium hinter sich und eine psychotherapeutische Ausbildung. Sie können Medikamente verschreiben. Das können Psychologinnen und Psychologen nicht, sie haben aber ein Psychologiestudium absolviert und eine intensive psychotherapeutische Ausbildung.
Bei schweren Depressionen kommen Psychopharmaka wie Antidepressiva zum Einsatz, kombiniert mit Psychotherapie. Dabei hat sich die kognitive Verhaltenstherapie bei Depressionen als sehr erfolgreich erwiesen: Hier geht es darum, an konkreten aktuellen Problemen zu arbeiten und Lösungen für sie zu finden. Etwa lernen Betroffene, auf systematische Weise positives Verhalten aufzubauen, oder schlechte Gedanken zu identifizieren und aufzulösen.
Das Medikament alleine wirkt bis zu einem gewissen Grad antriebssteigernd und stimmungsaufhellend. Aber es kann alleine oftmals keine Depression auflösen. Es gibt auch Menschen, die gar keine Wirkung verspüren. Allgemein gilt: Niemand muss Antidepressiva nehmen, diese können aber helfen und haben heute auch weniger Nebenwirkungen als früher.
Allgemein tendieren Männer bei psychischen Problemen dazu, sich keine Hilfe zu holen. Doch gerade bei jüngeren Männern merke ich, dass sich das Stigma, das psychischen Krankheiten anhaftet, langsam auflöst. Im Sinne positiver männlicher Rollenbilder sollen Männer darin bestärkt werden, dass es mutig und verantwortungsbewusst ist, sich Unterstützung bei psychischen Problemen zu holen.