Statt zum Arzt zu gehen, würden wir in Zukunft vermehrt das Smartphone zücken, glaubt Zukunftsforscher Jakub Samochowiec. Die digitale Medizin macht uns nicht nur gesünder, sie wird uns auch uralt werden lassen.
Zumindest seltener. Wir reden hier von einer Disintermediation. Das heisst, dem Ausschalten von Zwischenhändlern. Bei Hotels, Taxiunternehmen und Bücherläden ist das bereits passiert. Dadurch wird es für den Konsumenten billiger. Diese Entwicklung wird auch in der Medizin stattfinden. Der Kostendruck im Gesundheitswesen ist auf jeden Fall gross.
Nicht nur. Künstlich intelligente Systeme können heute beispielsweise gewisse Tumoren auf einem Röntgenbild besser erkennen als Fachärzte.
Mit dem Smartphone geht das nicht. Gewisse Krankheitsbilder kann man auch anders messen. Mit einem Handy kann ich heute beispielsweise anhand der Lichtbrechung auf einer Apfelschale feststellen, ob die Früchte mit Pestiziden in Kontakt waren. Das ist jetzt kein Beispiel aus dem Medizinbereich, zeigt aber das Potenzial unseres Smartphones. Wir sollten nicht vergessen, das Smartphone wird nur eines von vielen Diagnostikinstrumenten sein, das über unseren Gesundheitszustand wachen wird.
Man kann sich vorstellen, dass es die smarte Toilette gibt, die unsere Ausscheidungen analysiert und meldet, wenn etwas nicht in Ordnung ist. Leute könnten Implantate tragen oder digitale Pillen schlucken, die man über Bluetooth ansteuern kann. Oder sie tragen Kontaktlinsen, die den Blutzuckerspiegel messen. Denkbar ist auch eine Zahnkrone, die Stresshormone im Speichel feststellen kann. Der Fantasie sind hier keine Grenzen gesetzt. Dazu kommen alle möglichen Typen von Trackern, die bereits heute unserer Bewegungen aufzeichnen, den Schlaf überwachen und bald noch viel mehr messen können. Ich denke da an die Kalorienzufuhr oder eben den Blutzuckerspiegel.
Ja, man kann damit sehr viel messen. Das stellt einen heutigen Arztbesuch in den Schatten.
Auch Apotheker könnte es nicht mehr brauchen. Es wird dann Medikamenten-Synthetisiergeräte geben, die anhand der vielen Daten über mich individuell angepasste Medikamente herstellen können. Das Gerät wird anhand meiner Darmflorawerte – geliefert durch die smarte Toilette – mithilfe meines DNA-Tests und anhand meines Bewegungsmusters der letzten Woche wissen, was ich brauche. Ich werde dann genau die zwei Tabletten bekommen, die ich benötige. Heute bekomme ich eine Schachtel mit 24 Stück, zwei davon nehme ich, den Rest schmeisse ich weg.
Die kann durchaus in einer Apotheke stehen, aber ebenso gut bei mir zu Hause. Vielleicht liefert auch ein Pharmaunternehmen die Pillen per Drohne an.
Das kann ich nicht sagen. Als Zukunftsforscher ist es mir wichtig, Möglichkeiten aufzuzeigen und keine fixen Prognosen zu machen. Ich kann aber sagen: Big Data erlaubt viel präzisere Diagnosen und auch bessere Therapien. Vielleicht werden Ärzte dadurch auch nicht überflüssig, sondern bekommen eine neue Rolle. Die des Gesundheitscoaches.
Ja, das könnten wir. Wir sollten alle bewusst entscheiden können, wer unsere Daten ausser uns selber noch verwenden darf und wie er sie verwenden darf.
Wenn etwas sehr nützlich ist, dann treten Aspekte der Privatsphäre in den Hintergrund. Wir haben für eine Studie Menschen gefragt, ob sie sich ein Implantat einsetzen lassen würden, wenn sich das gesundheitlich auszahlen würde. Die grosse Mehrheit würde es tun.
Ja. Wenn Sie wählen können, alt und krank zu werden oder jung und gesund zu bleiben, dann ist die Entscheidung eben nicht so schwierig. Die Anti-Aging-Industrie macht deshalb riesige Umsätze. Für viele ist ein Eingriff in die Privatsphäre ein akzeptabler Preis für längere Gesundheit.
Heute wissen wir: Selbst wenn jemand in einem perfekten Umfeld lebt und nie eine Krankheit hatte, wird er nicht älter als 120 Jahre. Aufgrund physiologischer Prozesse. So werden bei der Zellteilung die Schutzkappen der Chromosomen immer kürzer. Irgendwann sind sie aufgebraucht, dann franst das Chromosom aus. Die Folge davon: Wir sterben. Das ist heute eine von vielen biologischen Limiten des Alters. Es wird aber bereits daran geforscht, wie man diese Limiten erhöhen kann. Es geht also nicht mehr darum, vorzeitige Todesgründe aus dem Weg zu schaffen, sondern ewiges Leben zu ermöglichen.