Obwohl Endometriose eine häufige Erkrankung bei Frauen ist, warten Betroffene oft mehrere Jahre, bis die richtige Diagnose gestellt wird. Die Endometriose-Expertin Dr. Noëmi Allemann gibt Auskunft über diese Erkrankung und sagt, wie Betroffenen heute geholfen werden kann.
Bei Frauen mit Endometriose findet sich gebärmutterschleimhautähnliches Gewebe an diversen Stellen im Körper (Auflistung nicht abschliessend), wo es sogenannte Endometriose-Herde bildet.
Bildquelle: Endo-Help – Schweizerische Endometriose-Vereinigung, www.endo-help.ch
Endometriose ist eine Erkrankung, bei der Zellen der Gebärmutterschleimhaut (Endometrium) an Stellen im Körper wandern, wo sie eigentlich nicht hingehören, zum Beispiel zu den Eierstöcken, den Eileitern oder dem Bauchfell. Manchmal sind auch Darm oder Blase betroffen. Dort verhalten sich die Zellen wie in der Gebärmutter: Sie bluten bei jeder Periode. Diese ortsfremden Zellen können kleinere oder grössere Herde bilden, die zu Verwachsungen führen.
«Endometriose ist keine seltene Erkrankung: Etwa 10–20 % der Frauen im gebärfähigen Alter sind davon betroffen – wenn auch in unterschiedlichem Ausmass», erklärt Dr. Noëmie Allemann. Die Erkrankung ist nicht lebensbedrohlich und gilt als gutartig, anders als Krebs.
Sie kann jedoch sehr schmerzhaft sein, Probleme beim Kinderwunsch bis hin zu Unfruchtbarkeit verursachen und die Leistungsfähigkeit und Lebensqualität stark einschränken. Da Endometriose eine chronische und fortschreitende Erkrankung ist, stellt sie für Betroffene eine grosse Herausforderung dar.
Patricia Corona erzählt in diesem Videobeitrag, wie bei ihr Endometriose diagnostiziert wurde und wie sie gelernt hat, damit umzugehen.
Die genauen Ursachen sind bis heute nicht vollständig geklärt. Vermutlich spielen mehrere Faktoren zusammen, je nach Erscheinungsform. Es gibt verschiedene Theorien zur Entstehung.
«Wenn die Schmerzen so stark sind, dass Frauen nicht zur Schule oder Arbeit gehen können oder dass sie bei jeder Menstruation Schmerzmittel brauchen, dann sind das für mich klare Hinweise auf Endometriose», erklärt Dr. Allemann.
Die Medizin unterscheidet zwischen vier Schweregraden.
Die Beschwerden hängen jedoch nicht immer vom Stadium ab. Schon kleine Herde können starke Schmerzen verursachen.
Endometriose kann den Alltag stark belasten. Wiederkehrende Schmerzen mindern die Leistungsfähigkeit und führen oft zu Absenzen in Schule, Ausbildung oder Beruf. Aber auch soziale Kontakte leiden: Viele Betroffene haben weniger Energie für die Pflege von Freundschaften oder der Partnerschaft. Sie fühlen sich durch die Erkrankung erschöpft und psychisch belastet. Zudem kann die Erkrankung den Kinderwunsch erschweren, was zusätzlichen Stress erzeugt.
Oft liegt ein langer Leidensweg hinter der Patientin, bis es schliesslich zur Diagnose kommt. Dr. Noëmi Allemann bestätigt: «Es dauert auch heute noch im Durchschnitt sechs bis zehn Jahre, bis die richtige Diagnose gestellt wird.»
Immerhin wächst das Bewusstsein für diese Erkrankung – sowohl bei Gynäkologinnen und Gynäkologen als auch in der breiten Öffentlichkeit. «Ebenso wichtig ist es, dass auch Kinderärzte, Hausärztinnen und Lehrpersonen für dieses Thema sensibilisiert sind. Hier ist noch viel Aufklärungsarbeit nötig», betont die Fachfrau.
Die Diagnose beginnt meist mit einem ausführlichen Gespräch über Symptome mit der Frauenärztin oder dem Frauenarzt. «Das Gespräch macht 80–90 % meiner Tätigkeit aus», erklärt Dr. Allemann. «Es ist das wichtigste Instrument, das mir zur Verfügung steht. Im Gespräch wird mir schon recht klar, wonach ich bei den folgenden Schritten suchen muss.»
Nächster Schritt: gynäkologische Untersuchung
Anschliessend folgt eine gynäkologische Untersuchung, bei der oft bereits Herde festgestellt werden können oder Folgeschäden wie Verspannungen des Beckenbodens.
Bei Verdacht: Ultraschall- oder MRI-Untersuchung
Je nach Verdacht kann im nächsten Schritt eine Ultraschall- oder eine MRI-Untersuchung sinnvoll sein, insbesondere wenn tiefliegende Herde im Darm oder in der Blase vermutet werden.
Bauchspiegelung nur in Einzelfällen
Eine Bauchspiegelung ist in der Regel nur bei sehr schweren Fällen notwendig. Dabei lassen sich Gewebeproben entnehmen und zugleich Endometriose-Herde entfernen.
Speicheltest: zuverlässig, aber für viele unerschwinglich
Seit Kurzem steht zudem ein Speicheltest zur Verfügung, der als sehr zuverlässig gilt. «Leider gehört er nicht zu den Pflichtleistungen der Krankenkassen und eine Übernahme wird von diesen oft abgelehnt. Mit Kosten von 800 Franken ist er für viele junge Frauen unerschwinglich», bedauert Dr. Allemann.
Es ist äusserst wichtig, dass Endometriose in einem möglichst frühen Stadium als solche erkannt wird. Je früher die Diagnose gestellt wird, desto eher können Schmerzen gelindert und Folgeschäden wie Verwachsungen oder Unfruchtbarkeit verhindert werden.
Die Behandlung erfolgt nicht lokal, sondern systemisch, also über den ganzen Körper wirkend. Je nach Beschwerden oder bei bestehendem Kinderwunsch kommen verschiedene Methoden zum Einsatz. Die wichtigsten Ansätze sind:
Schmerzmittel wie Ibuprofen oder andere entzündungshemmende Medikamente können akute Beschwerden momentan lindern. Allerdings behandeln sie nur die Symptome, nicht die Ursache.
«Frauen, die aktuell nicht schwanger werden möchten, können auf eine Hormontherapie zurückgreifen. Dabei kommen Präparate zum Einsatz, die den Östrogenspiegel senken und damit das Wachstum neuer Herde verhindern», erklärt Dr. Allemann. Hormonpräparate unterdrücken zudem oft die Menstruation, was die Schmerzen deutlich verringern kann.
Diese Methode kommt vor allem bei schwerer Endometriose zum Einsatz. Bei einer Bauchspiegelung werden Herde und Verwachsungen entfernt oder verödet.
«Vor allem bei schwerer Endometriose, wenn der Darm oder die Beckenwände befallen sind, handelt es sich um einen anspruchsvollen und komplizierten Eingriff. Er sollte nur durch erfahrene Chirurginnen und Chirurgen in einem Endometriose-Zentrum durchgeführt werden», sagt die Expertin.
Durch die Operation lassen sich Schmerzen reduzieren und die Fruchtbarkeit verbessern. Allerdings liegt die Rückfallquote innerhalb von fünf Jahren nach der Operation bei 40–50 %, was weitere Eingriffe erforderlich machen kann.
«Auch eine Hysterektomie kann eine Option sein», erklärt Dr. Allemann. «Sie therapiert die Adenomyose und reduziert zudem das Risiko einer Rückkehr der Endometriose.
Die Adenoymose ist eine Sonderform der Endometriose, bei der die Schleimhautzellen in die Muskulatur der Gebärmutter einwandern.»
Eine multimodale Behandlung, die einen schulmedizinischen Ansatz mit komplementären Methoden kombiniert, ist für viele Frauen hilfreich – besonders für jene, die keine Hormontherapie wünschen oder vertragen. «Ernährungsberatung, Physiotherapie, Akupunktur und gezielte Schmerztherapien haben sich als Ergänzungen bewährt», sagt Dr. Allemann. «Häufig ist eine langjährige medizinische Begleitung nötig, damit die Patientin immer längere schmerzfreie Phasen hat.»
Endometriose ist eine chronische Erkrankung, die nach aktuellem Stand der Medizin nicht vollständig heilbar ist. Die gute Nachricht: Es gibt heute viele wirksame Behandlungsmöglichkeiten, die Beschwerden deutlich lindern können. Mit der passenden Therapie finden viele Betroffene Wege, ihren Alltag wieder weitgehend schmerzfrei zu gestalten. Nach den Wechseljahren bessern sich die Symptome bei vielen Frauen zusätzlich oder verschwinden sogar ganz.
Mit Anpassungen bei Ernährung und Lebensstil können viele Frauen ihre Beschwerden positiv beeinflussen. Da jede Betroffene anders reagiert, lohnt es sich, verschiedene Ansätze auszuprobieren und Tagebuch darüber zu führen, was sich bewährt und was nicht.
Die Rolle der Ernährung
Eine spezielle Ernährung kann Endometriose zwar nicht heilen, aber sie kann Beschwerden abmildern. Besonders empfohlen werden:
Dagegen können rotes Fleisch, stark verarbeitete Lebensmittel, Zucker und Alkohol die Symptome bei manchen Frauen verstärken.
Bewegung und Stressmanagement
Regelmässige Bewegung (besonders Ausdauersport wie Laufen, Velofahren oder Schwimmen) wirkt entzündungshemmend, baut Stress ab und kann Schmerzen lindern. Entspannungstechniken wie Yoga, Meditation oder Atemübungen und ein gesunder Schlafrhythmus helfen vielen Betroffenen. Auch der Verzicht aufs Rauchen kann eine positive Wirkung haben.
Mit Endometriose zu leben, bedeutet oft, den Alltag an die Beschwerden anzupassen. Das kann eine grosse Herausforderung sein – aber die Betroffenen können auf Hilfe zählen. Es gibt verschiedene Wege, den Umgang mit der Erkrankung zu erleichtern.
Die Website der Schweizerischen Endometriose-Vereinigung wurde von betroffenen Frauen 2011 ins Leben gerufen. Sie leistet wichtige Aufklärungsarbeit, umfasst wertvolle Informationen zum Thema und Kontakte zu medizinischen Fachkräften und Selbsthilfegruppen: www.endo-help.ch.
Schmerzen gehören für viele Betroffene zum Alltag, lassen sich aber mit verschiedenen Methoden besser bewältigen. Dazu zählen z. B.:
Wichtig ist, den Alltag nach Möglichkeit flexibel zu gestalten und Belastungen anzupassen. Viele Betroffene lernen, ihre Aktivitäten nach Schmerzphasen zu planen und sich bewusst Pausen zu gönnen. Auch das soziale Umfeld spielt eine bedeutende Rolle: Familie, Freunde und Arbeitsumfeld können unterstützen, wenn sie über die Erkrankung Bescheid wissen.
Betroffene sollten sich an eine erfahrene Fachärztin oder einen erfahrenen Facharzt wenden. «Es ist wichtig, dass sich die Patientinnen ernst genommen fühlen, denn ihr Schmerz ist real», sagt Dr. Noëmi Allemann. «Doch mit einer individuellen Therapie lässt sich jeder Schmerz verbessern.»
Mit einer guten Begleitung können zudem Patientinnen mit Kinderwunsch schwanger werden, so die Expertin.
Die Aussichten für Frauen mit Endometriose sind heute deutlich besser als noch vor einigen Jahrzehnten. Dank frühzeitiger Diagnose, passender Therapien und einem gesunden Lebensstil lassen sich Beschwerden oft spürbar lindern.
Der Austausch in einer Selbsthilfegruppe kann ebenfalls hilfreich sein, Hoffnung machen und neue Wege im Umgang mit der Erkrankung eröffnen.
Viele Frauen schaffen es, trotz Endometriose ein erfülltes und selbstbestimmtes Leben zu führen – indem sie individuelle Strategien entwickeln und Unterstützung annehmen.