Was bringt Yoga? Wie findet man den richtigen Stil, wie entwickelt man sich weiter? Und was ist eigentlich Dayo? Profis geben Auskunft.
Yoga? Das ist doch nur Herumsitzen und Atmen. Etwas für Frauen. Etwas Esoterisches. Sandra Burdet hat sie alle gehört – die Vorurteile, die manche gegenüber der indischen Geistes- und Körperlehre haben. «Es gibt viele Irrtümer», sagt die 35-jährige Zürcherin, die bei Klubschule Migros Yoga unterrichtet. Und sie betont: «Ich selbst konnte von Yoga viel lernen, was sich vorteilhaft auf mich, meine Gesundheit und mein Leben ausgewirkt hat. Es hilft mir abzuschalten, zu entspannen und mehr bei mir selbst und achtsamer zu sein.»
Christian Cameselle (37), ebenfalls Yoga-Lehrer bei Klubschule Migros, teilt ihre Meinung. «Durch Yoga finde ich mein Gleichgewicht im Leben. Es bringt mir innere Ruhe und Positivität. Ich bin durch Yoga viel achtsamer mit meinem Körper», sagt der gebürtige Freiburger. Er hat 2007 seine erste Yoga-Stunde besucht. «Ich wollte Yoga vor allem als Ausgleich zum Krafttraining ausprobieren. Schon nach dem ersten Mal habe ich es geliebt und habe seitdem nie aufgehört.»
Dass Yoga guttut, besonders in unseren hektischen Zeiten, finden noch andere Schweizerinnen und Schweizer. 2019 etwa besuchten fast 10’000 Personen einen Yoga-Kurs der Klubschule Migros, mit 1245 Kursen die grösste Anbieterin im Land. Yoga war dabei der sechstbeliebteste Kurs nach Deutsch, Englisch, Pilates, Französisch und Kochen. 2020 wären sicher noch viele weitere Teilnehmerinnen und Teilnehmer hinzugekommen – hätte Corona mit den Lockdowns nicht dazwischengefunkt.
Auch im Bericht «Sport Schweiz 2020», der vom Bundesamt für Sport, dem Bundesamt für Statistik, der Beratungsstelle für Unfallverhütung, Swiss Olympic und der Suva erstellt wurde, ist Yoga vorne dabei. So gehört es zu den am häufigsten genannten Wunschsportarten. Und in der Rangliste der ausgeübten Sportarten liegt die Disziplin der indischen Yogis in der Deutschschweiz auf Platz 8. In der italienischen und der Westschweiz sogar auf Platz 7. Die Spitzenplätze belegt nach wie vor der «helvetische Mehrkampf» alias Wandern, Radfahren, Schwimmen, Skifahren und Joggen (siehe Grafik).
Der Bericht zeigt auch: Yoga weist einen Frauenanteil von 80 Prozent auf – wie Pilates und Body Mind. Doch der Anteil der Männer, die sich für Baum-, Krieger- und Adlerstellung sowie Sonnengrüsse erwärmen können, steigt. «Als ich vor 14 Jahre mit Yoga angefangen habe, war ich ab und zu der einzige Mann in der Stunde. Heute beträgt der Männeranteil meistens zwischen 30 und 40 Prozent. Ich habe schon mal Klassen gehabt, in denen es mehr Männer als Frauen gab», erzählt Cameselle.
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«Männer, die viel Krafttraining machen, haben oft verkürzte Muskeln. Das kann mit der Zeit zu Schmerzen und im schlimmsten Fall zu Verletzungen führen», erklärt Christian Cameselle. «Mit Yoga kann man etwas dagegen tun. Männer profitieren dazu selbstverständlich auch von der körperlichen und seelischen Entspannung.»
Sandra Burdet ergänzt: «Yoga vereint Kraft, Beweglichkeit, Stabilität und Entspannung in einem Training. Es kann Rückenschmerzen lindern oder Verspannungen lösen. Man gewinnt mentale Ruhe und innere Balance, was besonders in der heutigen Zeit immer wichtiger wird.» Sie ist zudem überzeugt, dass es künftig noch mehr Studien dazu geben wird, wie positiv sich Yoga auf die psychische Gesundheit auswirkt.
«Yoga eignet sich für Jung und Alt, unabhängig vom Gesundheitszustand», so Sandra Burdet. Wichtig sei aber, die Lehrperson über gesundheitliche Beschwerden zu informieren. Denn gewisse Asanas, also Stellungen, sollten gerade bei Rückenschmerzen, Knieverletzungen, Handgelenksbeschwerden, Bluthochdruck oder Schwangerschaft anders oder eventuell gar nicht ausgeführt werden.
Yoga könne zudem von allen täglich praktiziert werden. «Wichtig ist einfach, auf Körpersignale zu achten und sich nicht zu überfordern.» Um Fehlhaltungen zu vermeiden, sollte man sich aber unbedingt und gerade am Anfang von Lehrpersonen anleiten und korrigieren lassen.
Christian Cameselle unterrichtet seit 2019 Hatha Yoga. «Es eignet sich für alle und ist eine tolle Mischung zwischen körperlicher Anstrengung und seelische Entspannung», sagt er. Durch Hatha Yoga werde man sehr schnell beweglicher und habe mehr Kraft. Hatha Yoga helfe zudem dabei, die innere Ruhe zu finden. «Ich lege den Fokus immer auf die Atmung und die richtige Ausführung der Übungen.»
Christian Cameselle unterrichtet auch Yoga für den Rücken. «Das ist eine Art Hatha Yoga mit einem Fokus auf der Rückenmuskulatur. Die Stunde ist aber deutlich sanfter als meine Hatha-Stunde», sagt er. Geeignet sei das Rücken-Yoga für alle, die ihrem Rücken etwas Gutes tun wollen. «Die meisten Menschen sitzen den ganzen Tag und entwickeln mit der Zeit Rückenprobleme. In der Stunde wird einerseits die Rückenmuskulatur gestärkt, und andererseits wird sie gezielt gedehnt, um Verspannungen zu lösen.»
Sandra Burdet unterrichtet seit drei Jahren Power Yoga und wird ab nächstem Jahr in diesem Bereich auch selber Instruktorinnen ausbilden. «Power Yoga – so wie ich es gelernt habe und heute auch unterrichte – gefällt mir besonders gut, weil es dynamisch und kraftvoll ist. Durch die körperliche Anstrengung fällt es vor allem Ungeübten leichter, bei der Schlussmeditation zu entspannen», sagt sie.
Ein weiterer Vorteil sei, dass die Asanas – eben die Yoga-Stellungen – und deren Reihenfolge adaptierbar und für alle machbar seien. «Somit wird Yoga einem breiten Publikum zugänglich.»
Auch Dayo gehört zum Repertoire von Sandra Burdet, die über das Fitness zum Yoga gekommen ist. Dayo steht für Dance Yoga. «Dabei verschmelzen klassische Yoga-Elemente mit tänzerischen Schrittfolgen zu einer wunderschönen Choreografie. Diese finale Choreografie wird zu einem bestimmten Lied mehrfach durchgetanzt. Die fliessenden Bewegungen verbessern Kraft, Körperhaltung, Beweglichkeit, Balance und Koordination», erklärt sie.
Dance Yoga biete Freiraum für eigene Bewegungsinterpretationen, ganz ohne Leistungsdruck. «Dayo ist für mich eine Herzensangelegenheit, weil es meine Leidenschaften – Tanz und Yoga – verbindet. Ich kann dabei meiner Kreativität freien Lauf lassen und meine Gefühle zur Musik ausdrücken.»
Willst du an deine Grenzen kommen? Den Körper herausfordern? Oder dich bei einfachen Bewegungsabfolgen entspannen oder über Meditation zu dir selber finden? «Der geeignete Stil hängt stark vom individuellen Ziel ab», sagt Sandra Burdet.
Für Anfänger sind statische Yoga-Stile geeignet, wie zum Beispiel das eher körperorientierte Hatha Yoga. Hier stehen Kraft und Atemübungen im Vordergrund und die Asanas, also Stellungen, werden länger gehalten. «So bleibt Zeit, um sich auf die richtige Ausführung zu konzentrieren und die verschiedenen Körperhaltungen von Grund auf richtig zu lernen», sagt Sandra Burdet.
Auch Power Yoga könne – je nach Schwierigkeitsstufe – geeignet sein. «Es eignet sich für alle, die ihre körperliche Fitness und mentale Stärke verbessern möchten und die es gerne klar, einfach und effizient mögen.»
Allen, die einen ruhigen, entspannenden und regenerativen Yoga-Stil bevorzugen, empfiehlt die Fachfrau Yin Yoga. «Dehnübungen am Boden bilden bei diesem Yoga-Stil den Hauptteil. Die Dehnungen werden mehrere Minuten gehalten, wodurch die Beweglichkeit stark verbessert werden kann.» (Finde hier Übungen)
Gar tiefenentspannend ist Yoga Nidra. «Die Klubschule bietet entsprechende Kurse an. Auch Meditations- und Achtsamkeitskurse sind diesbezüglich zu empfehlen.» (Erfahrungsbericht und Video)
«Dynamische Bewegungsabfolgen, also Flows, wie sie zum Beispiel im Vinyasa Yoga praktiziert werden, wirken auf Anfänger oft überfordernd», sagt Sandra Burdet. Denn zu Beginn der Yoga-Praxis kenne man weder die Namen der Asanas, noch wisse man über die richtige körperliche Ausrichtung Bescheid. «Es wird zur Herausforderung, dem Flow überhaupt folgen zu können. Und dann soll man sich noch auf den Atem konzentrieren? Das wird Anfängern verständlicherweise oft zu viel und wirkt keinesfalls entspannend.» Wer sich zu Beginn überfordert, läuft zudem die Gefahr, Stellungen falsch auszuführen und riskiert somit negative Folgen für die körperliche Gesundheit.
Für Personen, die bereits Yoga-Kenntnisse mitbringen, eignen sich dynamische Yoga-Stile wie zum Beispiel Vinyasa Yoga. Dieses verbindet die klassischen Stellungen des Yogas zu einem Fluss von Bewegungen im Rhythmus der Atmung. Die Positionen werden nicht so lange gehalten wie bei anderen Yoga-Stilen. Eine Stellung fliesst in die nächste über. Um die Stellungen im Flow in korrekter Ausrichtung auszuführen und mit der Atmung zu verbinden, braucht es Übung und Sicherheit. Deshalb sind Vorkenntnisse sehr zu empfehlen.