Eine Studie zeigt, wie oft die Bakterienkiller grundlos verschrieben werden. Falsche Antibiotikagaben sind an der Tagesordnung und schaden.
Antibiotika sind wertvolle Medikamente, die schon viele Menschenleben gerettet haben. Oft werden diese «Bakterienkiller» aber unnötig verordnet, zum Beispiel bei Atemwegsinfekten, die zum allergrössten Teil durch Viren verursacht sind.
US-Forscher wollten nun wissen, wie oft Patienten ohne ausreichenden Grund ein Antibiotikum vom Arzt erhalten hatten. Sie hatten Zugang zu einer landesweiten, repräsentativen Datenbank, die allein für das Jahr 2015 über 990 Millionen Patientenkonsultationen verzeichnete.
Rund 130 Millionen Mal hatten die daran beteiligten US-Ärzte damals ein Antibiotikum verschrieben – und über 32 Millionen Mal fanden die Forscher keinen hinreichenden medizinischen Grund dafür. Das betraf im Durchschnitt jede fünfte Antibiotika-Verordnung.
Dazu kamen weitere fast 24 Millionen Fälle, in denen nicht nachvollziehbar war, ob das Antibiotikum denn nun sinnvoll eingesetzt wurde oder nicht. Die grösste Wahrscheinlichkeit, unnötigerweise ein Antibiotikum zu erhalten, hatten Männer und Senioren. (Lesen Sie unten weiter...)
Hausärzte setzten die Antibiotika gemäss dieser Datenbank zielsicherer ein als Fachärzte, und HMO-Praxen schnitten besser ab als universitäre Zentren. Ein Faktor war auch die Zeit, die Patienten beim Arzt verbrachten: Lange Konsultationen über 17 Minuten führten in fast jedem dritten Fall zu einem unnötigen Antibiotikum, kürzere Visiten nur in jedem fünften.
Das Problem der unnötigen Antibiotika-Verordnungen besteht weltweit. Umfragen und Studien in der Schweiz zeigen, dass auch hier immer noch viele Antibiotika nicht nötig wären – obwohl Schweizer Ärztinnen und Ärzte im Vergleich mit ihren europäischen Kollegen noch gut abschneiden. Der Verbrauch an Antibiotika bei Kranken ging in der Schweiz sogar leicht zurück.
In der EU verschreibt mindestens jede zehnte medizinische Fachperson regelmässig Antibiotika, weil das schneller geht, als dem Patienten zu erklären, dass es gar nicht nötig ist. Andere Gründe, die häufig zu unnötigen Verordnungen verleiten, sind Unsicherheit, die Sorge, dass der Patient sich sonst vom Arzt abwendet, oder die Angst vor Komplikationen.
Solche medizinisch sinnlosen Antibiotika sind aber schädlich: Erstens, weil sie Nebenwirkungen verursachen können. Zweitens, weil bei jeder Antibiotika-Einnahme die Gefahr besteht, dass natürlicherweise vorhandene Bakterien im Körper «lernen», wie sie diesen Medikamenten trotzen können und resistent werden.
Derart resistent gewordene Bakterien können unbemerkt von einer Person zu anderen weitergegeben werden. Erkrankt schliesslich ein geschwächter Mensch daran, hilft das ehemals wirksame Antibiotikum nicht mehr.
In der Schweiz starben 2015 schätzungsweise 276 Menschen an Infektionen mit antibiotikaresistenten Bakterien, fast 7200 erkrankten daran. Insgesamt nehmen solche Infektionen zu.
Quellen: «BMJ», «The Lancet Infectious Diseases», ECDC, Faktenblatt «Swiss Antibiotic Resistance Report 2018»