Letztes Jahr wurden in der Schweiz mehr als eine halbe Million Velos verkauft. Ein Rekord! Wie jedoch der Geograf Patrick Rérat, Co-Leiter des Observatoriums des Velos und der aktiven Mobilität der Universität Lausanne, feststellt, sind im Alltag immer noch wenige Schweizerinnen und Schweizer regelmässig mit dem Velo unterwegs.
Seit etwa 15 Jahren erlebt das Velo in der Schweiz ein Comeback. Dabei spreche ich vom Velo als Transportmittel, denn das Sport- und Freizeitvelo konnte der Entwicklung der Nachkriegszeit mit der schnellen Verbreitung von Autos und motorisierten Zweirädern durchaus die Stirn bieten. Mehrere Faktoren erklären die Rückkehr des Velos als Transport- und Verkehrsmittel: seine Schnelligkeit, Flexibilität und Effizienz in verstopften Städten, das gestiegene Umweltbewusstsein in der Bevölkerung, der gesundheitliche Aspekt und eine Diversifizierung des Angebots dank Innovationen wie dem Elektrovelo, dem Faltvelo, dem Cargo-Bike, dem Mietvelo usw. Ganz zu schweigen vom modischen Effekt, versteht sich.
Die vermehrte Nutzung von Velos und damit das Nebeneinander unterschiedlicher Verkehrsmittel verursacht tatsächlich Probleme im Verkehrsfluss. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde dieses Nebeneinander auf ziemlich einfache Weise gehandhabt: Die Trottoirs gehörten den Fussgängern und der Rest der Strasse den Autofahrern. Die Schwierigkeiten entstehen vor allem aus der fehlenden Infrastruktur für den Veloverkehr. Die Förderung des Velos erfordert somit auch eine neue Nutzungsaufteilung der Strassen und bricht damit mit dem in den letzten 70 Jahren gängigen Modell.
Etwa 7% der täglich zurückgelegten Strecken werden in unserem Land mit dem Velo gefahren, 15% bis 17% in Städten wie Basel, Bern oder Winterthur. Velofahren ist also noch eine wenig ausgeübte Praxis, aber es hat Potenzial, vor allem wenn man bedenkt, dass 60% der in der Schweiz zurückgelegten Fahrten kürzer als fünf Kilometer sind. Und fünf Kilometer können gut mit dem Velo gefahren werden, leichter noch mit einem E-Bike.
In den Niederlanden werden 28% der Strecken mit dem Velo zurückgelegt. In Dänemark 15%. Diese Länder führen bereits seit 50 Jahren eine aktive Velopolitik und haben das Velofahren sicherer gemacht als in anderen Ländern. Es ist kein Wunder, denn die Grundbedingung, die Menschen zum Velofahren animiert, ist die Sicherheit! Und solange diese Basis nicht geschaffen ist, bleibt Velofahren einem kleinen Teil der Bevölkerung vorbehalten, nämlich eher jüngeren, sportlichen und männlichen Personen.
Da gibt es im Wesentlichen zwei Stossrichtungen: Der erste Ansatz ist das Schaffen von spezifischer Infrastruktur für den Veloverkehr, und zwar nicht einfach nur ein gelber Strich auf der Fahrbahn, der nicht wirklich vor dem übrigen Strassenverkehr schützt, sondern vom übrigen Verkehr getrennt geführte Velowege. Der zweite Ansatz betrifft Geschwindigkeitsbegrenzungen für den Verkehr, wo aus Platzgründen Autos und Velos nebeneinander auskommen müssen, also die Schaffung von Tempo-20- oder Tempo-30-Zonen.
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Schnell, leise, gesund, sauber und günstig – das Velo ist ein Kernelement beim Übergang hin zu einer nachhaltigen Mobilität. Unter der Bedingung, dass man für dieses Verkehrsmittel eine hochwertige Infrastruktur schafft, die die Sicherheit auch wirklich erhöht.
Ja, das Gesetz strebt einen vermehrten Ausbau velospezifischer Infrastrukturen an. Dabei kommt man weg von Velostreifen hin zu Velowegen, die vom restlichen Verkehr getrennt geführt werden. Das geht in eine gute Richtung, weil man heute weiss, dass ein Zusammenhang zwischen der Qualität der Infrastruktur und der Höhe des Veloverkehrsanteils besteht.
Das ist die Hauptfrage, die sich bei diesem Gesetz stellt. Dass die Umsetzung vom guten Willen, von den Prioritäten, den Kompetenzen und finanziellen Möglichkeiten der Kantone abhängt, birgt ein gewisses Risiko. Die öffentlichen Stellen, die sich in diesem Bereich bereits aktiv einsetzen, werden das zweifellos weiterhin tun, aber wie sieht es mit den anderen aus?
Ich habe noch keine zufriedenstellende Antwort gefunden, die diesen Unterschied erklärt, der jedoch signifikant ist: Der Anteil an Velofahrten bezogen auf den Gesamtverkehr beträgt in der Westschweiz 2,9%, in der Deutschschweiz dagegen 8,7%. Möglicherweise sind sich die Deutschschweizer eher als die Romands im Klaren darüber, wie wichtig es ist, die Städte zu beruhigen, den Autoverkehr zu verringern und den öffentlichen Verkehr zu fördern. Dies ist bestimmt ein wesentlicher Grund, warum sich das Velofahren bisher dort vermehrt durchgesetzt hat.
Ja, es tut sich etwas. Die Westschweiz hat begonnen, ihren Rückstand aufzuholen. Sie befindet sich nicht mehr in derselben Ausgangslage wie vor fünf oder zehn Jahren. Man konnte beispielsweise feststellen, dass nach den Corona-Lockerungen viele Organisationen oder öffentliche Einrichtungen auf der ganzen Welt Massnahmen zur Förderung des Velofahrens ergriffen haben. Bei uns beschränkte sich dieses Phänomen aber auf den französischsprachigen Teil des Landes.
Das lässt nochmals deutlich werden, dass eine verbesserte Infrastruktur zu einer Zunahme des Veloverkehrs führt. Und es zeigt auch, dass eine latente Nachfrage nach sicherem Velofahren herrscht.
In weniger als 20 Jahren ist der Absatz von E-Bikes um das Hundertfache gestiegen. Interessant am Elektrovelo ist, dass es ein breiteres Publikum erreicht als das klassische Velo: ein älteres, eher weibliches Publikum und dank dem erleichterten Transport von Kindern auch mehr Familien. Ja, es ist ein wichtiges Element beim Übergang hin zu einer kohlenstoffarmen Mobilität, aber es wird meiner Meinung nach immer noch zu sehr unterschätzt.
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Das Elektroauto nimmt Diskussionen und Debatten in Beschlag, obwohl das Absatzvolumen noch gering ist. Es ist auch ein Bestandteil des Übergangs hin zu einer nachhaltigen Mobilität, aber die Umweltauswirkungen zwischen Elektrovelo und Elektroauto sind nicht vergleichbar: Die Batterie eines Elektrovelos zum Beispiel wiegt 3 bis 4 Kilo, die eines Tesla 400 bis 500 Kilo! Es würde wirklich einen Unterschied machen, wenn die Menschen, die ein Elektrovelo besitzen, es nicht nur für Wochenendausflüge, sondern auch als tägliches Transportmittel nutzen würden. In den Städten ist dies bereits weitgehend der Fall, in der Agglomeration und auf dem Land weniger.
Die Zunahme der Elektrovelos erfordert, dass wir dieses Wachstum begleiten, dass wir uns organisieren. An mehreren Orten ist es bereits gelungen, ein gutes Zusammenleben der verschiedenen Verkehrsträger einzuführen. Insbesondere durch die Trennung der verschiedenen Verkehrsströme, zum Beispiel indem Mountainbiker aufgefordert werden, bestimmte Routen zu benutzen und andere nicht. Was den Anstieg der Unfallzahlen betrifft, muss dieser natürlich in Bezug zum Anstieg der Velonutzenden gesetzt werden. Und trotzdem ist der Anteil an Unfällen pro Kilometer in der Schweiz zweimal höher als in den Niederlanden. Doch auch dort sind Elektrovelos auf dem Vormarsch. Auch hier lässt sich der Unterschied durch die gut durchdachte Infrastruktur erklären. Wir sollten uns also wirklich von diesen Ländern, die uns einen Schritt voraus sind, inspirieren lassen.
Letztes Jahr während der Pandemie wurden beim Verkauf von Velos Rekordzahlen erreicht. Viele Leute haben sich neu oder wieder auf den Sattel geschwungen, zum Beispiel um öffentliche Verkehrsmittel zu vermeiden. Andere haben im Velofahren eine Alternative zum Vereinssport oder zu Fitnessclubs gefunden und wieder andere haben in ihren Ferien auf diese Art die Schweiz entdeckt. Die Herausforderung besteht darin, diese drei Praktiken – praktischer Nutzen, Sport und Freizeit – zugänglicher zu machen oder zu verbinden und vor allem dafür zu sorgen, dass all diese Personen weiterhin das Velo nutzen.
Ja und nein. Ja, weil es eine Reihe von Grundtendenzen gibt – Klimafrage, gewachsenes Bedürfnis nach einem qualitativ guten Stadtleben, Überlastung des Strassenverkehrs und der öffentlichen Verkehrsmittel, gesteigertes Bewusstsein für den gesundheitlichen Aspekt –, bei denen das Velo einen Teil der Lösung bieten kann. Und nein, wobei hier der Grund, weshalb ich vielleicht weniger optimistisch bin, darin liegt, dass die Planung und Umsetzung der entsprechenden Infrastruktur in unserem Land zeitintensiv ist. Aber ich bin überzeugt davon, dass es wichtig ist, diese Hürden zu meistern, weil die Förderung des Velofahrens von gesellschaftlichem Interesse ist.