Passüberquerungen haben etwas Mystisches, wandelt man doch auf historischen Verbindungspfaden und durch die wilde Natur. Diese 8 Wanderungen hinterlassen Eindruck.
Aus dem Wallis sind sie gekommen, die Walser, die ab 1300 eine neue Heimat suchten und das Safiental besiedelten. Das abgelegene Bündner Tal war damals nur über Pässe erreichbar, was die Walser nicht abschreckte. Zu gross war die Verlockung, in der unberührten Gegend eine neue Existenz aufzubauen. Die Spuren der Walser prägen das Safiental bis heute: Die Siedlungen sind weit verstreut, die Häuser von sonnengebräunten Schindeln geziert. Die Alperschällilücke ist die anspruchsvollste Passquerung, welche die Walser einst wählten. Sie erwartet Wandernde mit einem steilen und felsdurchsetzen Graben, einem Blockgletscher und mit ausgesetzten Passagen samt reichlich Tiefblick. Als Belohnung gibt es viel Einsamkeit, einen verträumten Bergsee, ungezähmte Wildbäche, urtümliche Wälder und eine hochalpine Landschaft, die der Mensch der Natur überlassen hat.
Das Calfeisental gehört zu den abgeschiedenen Bergtälern der Schweiz. Rau und wild ist es, die Landschaft ist geprägt von Wildbächen, Wasserfällen, Mooren, Seen und Bergen, die steil in die Höhe schiessen. Und diese Berge stehen erst noch Kopf. Rund um den Piz Sardona, entlang der so genannten Glarner Hauptüberschiebung, liegen alte Gesteinsschichten über jüngeren, was die Region zum UNESCO-Welterbe macht. In so einer Gegend gefällt es dem Bartgeier, der hier erfolgreich ausgewildert worden ist. Hat man nach langen eineinhalb Wandertagen mit einer Nacht in der urtümlichen SAC Sardonahütte das Tal über den Heidelpass verlassen, geht es faszinierend weiter. Im Felsenkessel von Batöni stürzen fünf imposante Wasserfälle zu Tal, und bei Weisstannen wurden, nach über hundert Jahren Ausrottung, 1911 die ersten Steinböcke der Schweiz wieder angesiedelt.
Julier und Septimer gehören zu den wichtigsten alpenquerenden Pässen. Bereits die Römer nutzten sie, um von Chur durchs Bergell nach Italien zu gelangen. Im Mittelalter floss reger Handelsverkehr und brachte der Region Wohlstand und Arbeit. Heute ist der Julier die Lebensader ins Oberengadin, der Septimer ein reich frequentiertes Top-Wanderziel. Dazwischen liegt – einsam und von rauer Schönheit – die Fuorcla Grevasalvas. Sie zu begehen ist purer Genuss, vorausgesetzt man bringt sicheren Tritt und Ausdauer mit. Zwei Bergseen wie aus dem Bilderbuch, ein felsdurchsetztes und wegloses Geröllfeld, ein mit Wollgras reich geschmücktes Moor und der Abstieg dem noch jungen Inn entlang nach Maloja locken. Und die Aussicht vom Pass auf die Oberengadiner Seenplatte, die einem wie auf dem Silbertablett serviert wird. Samt gemütlicher Sitzbank, versteht sich.
Steinböcke sind wahre Kletterkünstler. Ohne Mühe bewegen sie sich im unwegsamen Felsgelände, selbst steilste Stellen werden ohne zu zögern passiert. Möglich machen dies spezielle Hufe: Sie sind innen weich und aussen verhornt. Eine Art Saugnäpfe. Die wünscht man sich auch, wandert man über die Lochberglücke, ein mit 2815 Metern hochalpiner Pass im Herzen des Urnerlandes. Getreu der weiss-blau-weissen Alpinweg-Markierung überwindet man – mal mit Weg, oft aber auch ohne – Felsen und Geröll und rutscht über Schneefelder, die selbst im Hochsommer nicht weichen wollen. Die Landschaft dazu ist grandios. Ein 3000er-Gipfel reiht sich an den nächsten, Gletscher, Bergbäche, Wasserfälle, mit Wollgras verzierte Moore und Seen gesellen sich dazu ausbreitet. Hat man Glück, leistet mit einem Mal einer Gesellschaft – ein Steinbock, der leichtfüssig über die Felsen klettert.
Aus dem Wallis kam der Wein, im Gegenzug versorgten die Berner Oberländer ihre Nachbaren mit Käse und Vieh. Ab dem Mittelalter floss reger Warenverkehr über den Rawilpass, der die beiden Dörfer Lenk im Simmental und Ayent verbindet. Um 1760 kam gar Sprengpulver zum Einsatz, um den steilen Aufstieg von der Berner Seite zu vereinfachen, und der teilweise ausgesetzte Saumweg wurde kontinuierlich verbessert. Wanderer sagen heute dafür Danke. Die Tour von der Iffigenalp über den 2400 Meter hohen Pass zum Stausee Lac de Tseuzier ist purer Berggenuss. Umrahmt von der mächtigen Wildhorn- und Wildstrubelgruppe und die Gletscher der Plaine Morte im Blick, passiert man stille Bergseen, sattgrüne Moore und blumenübersäte Alpweiden, beobachtet Murmeltiere und Gämsen und lässt sich zum Schluss von der munter plätschernden Wasserleitung Bisse de Sion verzaubern, die einem fast bis zur imposanten Staumauer begleitet.
Dieser Anblick ist einfach nur ein Traum. Im Vordergrund der herzförmige und tiefblaue Bergsee, dahinter der mächtige Mont Blanc, der sich im glasklaren Wasser spiegelt. Genauso einzigartig wie das Panorama ist die dazugehörende Wanderung: Sie verbindet das wildromantische Val Ferret über den Pass Fenêtre de Ferret und die Seenplatte Lacs de Fenêtre mit dem Grand-St-Bernard, einem der bekanntesten und bedeutendsten Pilgerorte Europas am Übergang vom Wallis in den Piemont. Seit über 1000 Jahren finden im dortigen Hospiz Menschen Schutz, Unterkunft und Verpflegung auf dem Weg Richtung Rom. Bernhardiner Hunde, die eigens von den Mönchen auf dem Grand-St-Bernard gezüchtet wurden, retteten manch ein Leben eines verirrten oder verschütteten Pilgers. Das Holz für die warme Stube im Hospiz stammte lange Zeit aus dem Val Ferret, transportiert von Pferden über den Weg, den man heute als Wanderer nicht ganz alleine geniesst.
Die Buche gehört zu den prägenden Baumarten Europas. Sie konnte sich gut an die klimatischen Bedingungen anpassen und ist weit verbreitet. Einen schönen, alten und intakten Buchenbestand findet man im Valle di Lodano, einem Seitental des Maggiatals. Die Bäume wachsen in Gemeinschaft mit 680 weiteren Pflanzen- und Tierarten – in einer intakten Natur- und Kulturlandschaft, die zum UNESCO Welterbe zählt. Dem Patriziat von Lodano ist es zu verdanken, dass dieses Juwel auf alten Wegen wieder begangen und in den Steinhütten der Alpe Canaa mit modernem Komfort genächtigt werden kann. Am zweiten Wandertag wechselt man über den Passo della Bassa und den Passo della Maggia ins Onsernonetal. Das braucht nicht nur guten Schnauf, sondern auch sicheren Tritt. Die Aussicht bis zu den Walliser Alpen und zuckersüsse Heidelbeeren am Wegrand entschädigen für die Anstrengung.
Zürich, New York, Rom. Und dann Berzona. Als Max Frisch das Grossstadtleben satthat, wählt der Schriftsteller das abgeschiedene Tessiner Onsernonetal als neue Heimat. Hier entsteht die Erzählung «Der Mensch erscheint im Holozän», eine Parabel des eigenen Verfalls und Sterbens. Die Hauptfigur, Herr Geiser, unternimmt nach tagelangem Unwetter einen Fluchtversuch aus dem abgeschnittenen Onsernonetal über den Passo della Garina ins benachbarte Maggiatal – und kehrt schliesslich entkräftet wieder zurück. Kraft kostet die Wanderung noch heute, und sicheren Tritt. Der Aufstieg vom Maggiatal durch das wilde und steile Valle di Lareccio hat es in sich. Bäche werden gequert, Abhänge überwunden und so manche Baumwurzel überstiegen. Der Pass dann aber ist eine Pracht, geziert mit einer alten Trockenmauer und traumhafter Aussicht aufs Onsernonetal. Von Max Frischs Abgeschiedenheit nimmt man bis Loco noch einiges mit.