Er hat 2018 olympisches Gold gewonnen im Parallel-Riesenslalom der Snowboarder: Nevin Galmarini aus Scuol im Unterengadin. Wie trainiert er? Was sind seine Tipps für Laien und wie meistert er den Spagat zwischen Papisein und Schweizer Snowboard-Aushängeschild? Hier die Antworten.
Februar 2018, Olympische Winterspiele in Südkorea: Der Engadiner Nevin Galmarini wird Olympiasieger im Parallel-Riesenslalom der Snowboarder! «Unglaublich, fantastisch, das Grösste» sei der Olympiasieg gewesen, blickt er zurück. Vier Jahre hatte der Perfektionist akribisch darauf hingearbeitet, am Renntag ging seine Taktik auf: Jeden Lauf auf Tutti gehen. «Es herrschte ein brutaler Druck, doch ich habe nicht an den möglichen Olympiasieg gedacht, sondern den nächsten Lauf visualisiert und keine Emotionen zugelassen.» Dabei half ihm seine Erfahrung, bereits vier Jahre zuvor hatte er in Sotchi die olympische Silbermedaille gewonnen und seine Freude darüber auch in Gebärdensprache kundgetan: Seine Eltern sind beide gehörlos.
Der heute 33-jährige Unterengadiner aus Ardez bei Scuol gilt im Snowboardzirkus als locker und stressfrei. Sein Geheimnis? «Ich konzentriere mich auf das, was ich ändern und beeinflussen kann.» Noch wichtiger ist die Freude am Sport. «Ich lebe für den Nervenkitzel und bin giggerig darauf, voll auf der Kante durchzuziehen, das ist das Geile am Sport. Am Tag X frei sein im Kopf und dann Rock and Roll!» Die Wettkämpfe im Parallel-Modus sind spannend: Wer schneller ins Ziel kommt, ist eine Runde weiter. Die Finalisten stehen sechs Mal pro Wettkampf am Start.
August 2020, 6 Uhr morgens: Der klare Himmel verheisst einen wunderschönen Tag, vereinzelte Bodennebelschwaden im Tal kündigen den Herbst an. Ziel ist der Bergsee Lai Nair, der wenige Bikeminuten vom Schloss Tarasp entfernt im Hochmoor liegt. Auch der «schwarze See» wird frühmorgens vom Bodennebel verhüllt. «In zwei Stunden sehen wir hier die Sonne», sagt der Profi-Snowboarder. Er kennt die Launen der Natur in der Region bestens, denn einige seiner Lieblings-Downhill-Strecken führen von Berggipfeln herunter vorbei am Lai Nair.
Sein Ausdauertraining absolviert der Profisportler am liebsten auf dem Bike in der trailreichen Berglandschaft rund um Scuol. «Bergauf ist für Ausdauer und Kraft, Downhill für den Spass.» Biken fördere auch die Koordination und das Vorausschauen, beides wichtig fürs Snowboarden. Sitzt er nicht auf dem Bike, joggt er durch die Berglandschaft, fordert sich mit Trailrunning oder macht Übungen mit dem eigenen Körpergewicht. Gut möglich, dass Wanderer, die früh unterwegs sind, ihn auf einer Bank beim Lai Nair sehen. Nicht sitzend, sondern balancierend: die Hände auf der Lehne abgestützt, die Beine gerade nach vorne. (Fortsetzung weiter unten...)
Kraft, Ausdauer, Schnelligkeit, Beweglichkeit und Koordination – das Training für Snowboarder unterscheidet sich grundsätzlich nicht von dem für andere Sportarten. Wichtig fürs Snowboarden sind Beinmuskulatur, Rücken und Bauch – und auf Profi-Niveau die Details. Diese stärkt Galmarini im Sommer draussen in der Natur und im Fitnessstudio seines Bruders in Scuol. Mit dem eigenen Körpergewicht und mit zusätzlichen Hilfsmitteln wie Kettlebell, Medizinball oder Hantel (Übungen siehe oben)
Ende August geht’s dann jeweils mit dem Team auf den Schnee in Zermatt und Saas Fee; auch in diesem Jahr – trotz Corona und einer Bandscheiben-OP im Dezember 2019, die für einen langen Ausfall des Teamleaders der Schweizer Snowboarder sorgte. Unterdessen trainiert Galmarini wieder normal, «einzig Intensität und Wiederholungen sind bei speziell rückenbelastenden Übungen reduziert», sagt er. Die Saison 2020/2021 nimmt er, wie sie kommt, ganz nach seiner Devise: Machen, was geht, statt sich mit Dingen belasten, die unveränderbar sind. Neben Sport und Familie studiert der Profisportler an der Fernfachhochschule Schweiz (FFHS) im 3. Semester Master of Science in Business Administration mit Vertiefung in Innovation Management. Die Zukunft ohne Sport ist aufgegleist.
Das Jahr 2019 brachte allerdings auch Erfreuliches: Er heiratete die Mutter seiner unterdessen zweijährigen Zwillinge. Vatersein ist eine Herausforderung der anderen Art. «Beim Snowboarden kann ich alles vorausplanen, ausprobieren und kontrollieren, bei der Kinderbetreuung nicht», sagt Galmarini, grinst und fügt an: «Ich geniesse das Papisein und kann dabei voll abschalten.» Ein Tag pro Woche ist Papitag, dann bestimmen Waldhütten bauen, auf Spielplätzen herumrennen und Geschichten erzählen den Alltag.
Körperliche und geistige Entspannung als Ausgleich zum Training findet der Profisportler regelmässig in der Sauna, wobei das Schönste «ein richtig langes Kältebad» sei. Alternative: ein Mineralbad in der «Bogn Engiadina». Auch das Zusammensein mit Familie und Freunden tut gut – am liebsten natürlich an einer der Feuerstellen beim Lai Nair – inklusive Bad im pechschwarzen Moorsee.