Eichen, Ahorne, Arven, Buchen, Kastanien oder Urwald: Auf unseren neun Waldspaziergängen zeigen Bäume den Weg. Jeder ist einzigartig und voller Geschichte(n).
In Elm, zuhinterst im Glarner Sernftal, lässt es sich wunderbar erholen. Das wusste man schon früher und eröffnete 1898 ein Kurhaus. Kraft tanken konnten die Gäste auf einer Wanderung durch den Gandwald, in bester Gesellschaft mächtiger Bergahorne und dem filigranen Turniermeister. Turniermeister? Ja, den gibt es, die seltene Pflanze sieht dem Waldmeister ähnlich und wächst, in Gesellschaft mit dem Ahorn, nur in wärmebegünstigten Föhntälern. Eine richtige Glarner Spezialität. Und weil der Gandwald so schön ist, lässt man die Natur frei, der Kurwald entwickelt sich zum Urwald mit reichhaltiger Tier- und Pflanzenwelt. Nicht minder eindrücklich ist der Blick aufs Martinsloch, das auf der gegenüberliegenden Talseite aus der Bergkette der Tschinglenhoren klafft. Es gehört zur Glarner Hauptüberschiebung, die von der UNESCO zum Welterbe Sardona erklärt worden ist.
Eine Eiche, drei goldene Eicheln und ein blaues Band, das eine Quelle symbolisiert. So präsentiert sich das Wappen des Galmwaldes zwischen Laupen und Murten. Er ist der einzige Wald in der Schweiz, der gleichzeitig eine eigenständige Gemeinde ist. Eine geografische, denn politische Rechte besitzt der Galmwald ebenso wenig wie menschliche Bewohner. Seine Einwohner sind die Tiere, Pflanzen und Bäume. Das Unikat geht auf Napoleon zurück: Weil die umliegenden Dörfer den Galmwald zu stark nutzten und sich nicht von ihrem Tun abbringen liessen, stellte er den Wald kurzerhand unter die Hoheit des Kantons Fribourg. Und noch etwas geht auf die Zeit um Napoleon zurück: die vielen Eichen, von denen einige mittlerweile über 300 Jahre alt sind. Auf einem Rundweg lernt man sie kennen. Sie sind gerade mal ihrer Jugend entwachsen. Eine Eiche kann 800-jährig werden.
Die Kastanie gehörte im Tessin jahrhundertelang zu den wichtigsten Grundnahrungsmitteln. «Brot der armen Leute» nannte man die Baumfrucht mit der stachligen Hülle, die im Herbst gemeinsam geerntet wurde. Ihren Stellenwert hat die Kastanie mittlerweile verloren, doch die Kastanienwälder sind geblieben. Einen besonders schönen findet man zwischen Losone und Arcegno, im Hinterland von Locarno. Den Bosco di Maia. Uralte Kastanien prägen ihn, dazu gesellen sich Eichen, Eschen, Linden, Kirschbäume, Erlen, Ahorne und Birken. Sie wachsen auf einem Hügel, der überzogen ist mit Felswänden, Bächlein und verwunschenen Tümpeln. Auf einer Runde den vielen grünen Schildern entlang, die durch das unter Schutz stehende Reservat führen, wähnt man sich im Märchendschungel. Und möchte gar nicht mehr aufhören zu entdecken.
«Di’m est tü amo qua? Tü bös-ch da Tamangur?» «Sag mir, bist du noch da, du Baum von Tamangur?», singt der Bündner Liedermacher Linard Bardill. Der God Tamangur, der höchstgelegene Arvenwald Europas, ist Symbol für die Rätoromanen ums Fortbestehen ihrer Sprache und Kultur. Er steht für Stärke, Hartnäckigkeit und Überlebenswille. Er trotzt Wind und Wetter und arrangiert sich mit den extremen Temperaturschwankungen, die zuhinterst im Unterengadiner Val S-charl auf 2200 Metern herrschen: Im Sommer weit über zwanzig Grad, im Winter nicht selten minus dreissig Grad und weniger. Den über 800 Jahre alten Bäumen scheint das egal: Sie strotzen vor Vitalität und Dynamik und entführen einen in eine Welt der Träume und Phantasie. Nicht nur Liedermacher lassen sich vom God Tamangur inspirieren, sondern auch Schriftsteller, Künstler und Fotografen.
50 Millionen Kubikmeter sind eine Menge. In der Nacht vom 22. auf den 23. September 1749 donnerten 50 Millionen Kubikmeter Stein 1900 Meter den Berg hinunter auf die Walliser Alp Derborence. Das reichte, um einen neuen See aufzustauen und die Alphütten samt Menschen unter sich zu begraben. Diablerets nennt man seither die Berge, von denen sich die Gesteinsmassen lösten. Teufelsberge. Das musste sein Werk sein, dachte man, und mied die Gegend um Derborence. Der Natur tat dies gut. Entstanden sind ein eindrücklicher Urwald mit bis zu 600 Jahre alten Bäumen und reicher Tier- und Pflanzenwelt sowie ein Bergsee mit Auen von nationaler Bedeutung. Überall ragen sie noch empor, die Felsblöcke, die den Waadtländer Schriftsteller Charles Ferdinand Ramuz zu seinem Roman «Derborence» inspiriert haben.
Grenzsteine kann man versetzen. Bäume nicht. Zur Zeit der Reformation waren Luzern und Bern nicht gut aufeinander zu sprechen. Luzern hielt dem Katholizismus und Rom die Treue, Bern wandte sich dem neuen Glauben zu – und verband damit neue Gebietsansprüche. Zum Beispiel im Gebiet um den Napf. Als mit einem Mal ein ganzes Tal den Kanton wechselte, hatten die Luzerner genug. Sie liessen auf dem Napfgrat eine zwei Kilometer lange Hagstelli pflanzen, eine Reihe aus Buchen, Fichten, Eschen und Ahornen. Sie markieren seither die Grenze, unverrückbar. Die Hagstelli ist – mit einigen Lücken – erhalten geblieben. Die ältesten Bäume sind gegen 400 Jahre alt. Doch auch der Kontakt über den Grat hinweg riss nie ab. Sogar der reformierte Berner Pfarrer und Schriftsteller Jeremias Gotthelf soll sich «drüben» eine Predigt angehört haben.
Der Mittelspecht ist eine Besonderheit. Er trommelt nicht zur Brutzeit, sondern gibt quäkende, ja schon fast klagende Laute von sich. Mit seinem kurzen Schnabel kann er gut in Bäumen nach Nahrung stochern, hacken hingegen, wie das der bekannte Buntspecht tut, geht nicht. Und er hat Ansprüche. Mittelspechte leben vor allem in Wäldern mit vielen alten Eichen – so einem wie in Güttingen am Bodensee. Dem Güttinger Eichenwald. Hier finden sich wunderschöne Alteichen in grosser Zahl. Die Speziellste unter ihnen ist die vierstämmige Eiche. Sie geht zurück auf eine alte Bewirtschaftungsform, bei der Bäume nach einer gewissen Zeit auf den Stock zurückgesetzt wurden, um Brennholz zu gewinnen, und dann neu austrieben. Auf dem Rundweg Güttinger Eichenwald gibt es noch mehr Geschichten zum Entdecken.
Der Sihlwald verkörpert den typischen Laubmischwald, wie er einst im Mittelland heimisch war, mit richtig alten Bäumen, einer vitalen Jungmannschaft und viel Totholz. Der Wald diente lange als wichtigster Holzlieferant der Stadt Zürich. Heute hat sich sein Gesicht komplett verändert. Der Sihlwald wird, als erster Naturerlebnispark der Schweiz, ganz sich selbst überlassen. In der Kernzone dürfen die Wege nicht einmal verlassen werden, um die natürlichen Prozesse nicht zu stören. Dem Wandererlebnis ist dies nicht abträglich. Der Wald ist von so vielen spannenden Wegen durchzogen, dass man sich getrost im Meer von Bäumen verlieren kann. Und dieses ist ausgesprochen vielfältig. Da vergisst man glatt, dass ganz oben mit dem Albishorn auch ein Gipfel locken würde.
«Auf Eichen wachsen die besten Schinken.» Die Redewendung kommt nicht von ungefähr. Früher trieben die Bauern ihre Schweine in die Eichenwälder, damit sie sich an den Eicheln satt frassen. Den Wert eines Eichenwaldes gab man in «Schweine-Einheiten» an – entsprechend der Anzahl Tiere, die geweidet werden konnten. Im 18. Jahrhundert kamen neue Futterquellen auf, die Eichen verloren ihre Bedeutung und endeten meist als Bahnschwellen. Der Eichenhain im basellandschaftlichen Wildenstein ist erhalten geblieben, der älteste Baum ist über 500-jährig. Der parkähnliche Wald ist ein Genuss für Seele und Auge – auch wenn man die Wege nicht verlassen darf, um den ökologisch wertvollen Magerrasen zu schonen. Kleine Orchis, Sumpf-Herzblatt und mannshohes Pfeifengras danken.