Sue Klominkova liebt nichts so sehr wie ihren Indoor-Dschungel. Was sie spürt, bestätigt die Wissenschaft: Zimmerpflanzen machen glücklich.
«Die hier», sagt Sue Klominkova (36) und öffnet vorsichtig einen mannshohen, gläsernen Kasten, «das ist mein Liebling.» Behutsam entnimmt sie dem Schrank ein etwa 50 Zentimeter hohes Gewächs und betrachtet die langen, samtigen Blätter. «Ein Anthurium Warocqueanum», erklärt die junge Frau. Es ist nur eine von über 350 Zimmerpflanzen, welche die kaufmännische Angestellte ihr eigen nennt. In einem 300-jährigen Bauernhaus in Waldkirch SG hat sie sich über die Jahre einen wahren Dschungel angelegt (Link zu ihrem Instagram-Konto, sue_cleo_amazonia).
Gut 600 Franken pro Monat gibt die Pflanzenliebhaberin für ihr Hobby aus. «Mittlerweile stehen hier Gewächse im Wert eines Kleinwagens.» Eine Investition, die sie allemal lohnend findet. «Wenn ich ins Wohnzimmer komme, fühle ich mich sofort ruhig und glücklich», erklärt Klominkova. Das Homeoffice ist deshalb für sie direkt ein Segen. «Meist setze ich mich mit dem Laptop an die Bar dort drüben», sagt sie und zeigt in eine Ecke der Stube, «da habe ich fast alle meine Pflanzen im Blickfeld.»
Dass ihr das guttut, bildet sich Sue Klominkova nicht ein. Zimmerpflanzen wirken positiv auf Körper und Geist, wie Martina Föhn (58), wissenschaftliche Mitarbeiterin der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Wädenswil ZH erklärt. Gerade im Winter würden sie das Raumklima verbessern, für feuchtere Haut und Augen sorgen und sogar Kopfweh verhindern. Ihre Blätter binden Staub und Formaldehyd – je grösser sie sind, desto besser. «Ausserdem», so die Forscherin, «nehmen wir Zimmerpflanzen über mehrere Sinne positiv wahr: Augen, Nase, Tastsinn. Das hat Auswirkungen auf den Körper und auf die Psyche.»
Die Präsenz von Pflanzen, so hat man herausgefunden, aktiviert im Hirn Wellen, die ein Wohlgefühl auslösen. Sie senken den Blutdruck, die Pulsfrequenz und den Cortisolspiegel – das alles kann die negativen Auswirkungen von Stress auf den Körper auffangen. Das Erstaunliche dabei: Selbst Menschen, die sich mit den Gewächsen nicht befassen, nehmen sie passiv wahr. «Studien an Arbeitsplätzen haben gezeigt, dass Arbeitnehmende in Büros mit Pflanzen leistungsfähiger sind als in Büros ohne», sagt Föhn.
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In Waldkirch wirken die Gewächse auch positiv auf die Partnerschaft. Sue Klominkovas Freund Florian Weber (36), Sanitärinstallateur, leidenschaftlicher Motorradfahrer und ehemaliger Golfchampion, hatte einst so gar nichts mit Grünpflanzen im Sinn. Seine Partnerin unterstützte er anfänglich aus purer Liebe. Er verlegte Kabel, baute Vitrinen zusammen, installierte Leuchten mit Schaltuhren und begleitete seine Freundin in Gartencenter. Zeitweise argwöhnte er, ihre Sammelwut sei etwas krankhaft. «Heute erwische ich mich immer öfter dabei, wie ich selber die Luftfeuchtigkeit überprüfe», gesteht er lachend. Er giesst und sprayt und pflegt. Unternimmt mit seiner Partnerin Wald- und Wiesenausflüge, um Gewächse zu erkunden oder Teile davon nach Hause zu holen. Oder er schwingt sich mit ihr auf den Töff und fährt sie in die Tropenhäuser und Botanischen Gärten der Schweiz.
«Flo ist mein Jackpot», erklärt Sue Klominkova. Und die Gewächse seien – zusammen mit drei Hunden und einer Katze – ihre Babys. Wenn die beiden verreisen, bitten sie die Eltern respektive Schwiegereltern um Betreuung der Pflanzen und beobachten diese aus der Ferne über Webcams.
Zu sehen, wie eine Pflanze gedeiht und vielleicht sogar blüht, ist ein Erfolgserlebnis, das besonders Menschen in Krisen guttut – das hat man gemäss Martina Föhn schon bei Burnout-Patienten festgestellt. Ihnen geben Gewächse zudem Struktur im Alltag, Gesprächsthema und eine Aufgabe: «Giessen, reinigen, umtopfen, zurückschneiden, das sind alles sinnstiftende Tätigkeiten», sagt Föhn.
Auch bei gesunden Menschen wird der positive Effekt durch die grünen Mitbewohner verstärkt, wenn sie sich mit ihnen befassen. Sue Klominkova jedenfalls kann es nicht lassen, ihre Lieblinge zu betasten, von einem Standort an den anderen zu rücken oder in die vorteilhafteste Position zu drehen. Es gibt immer etwas zu sprayen, putzen oder schneiden – und natürlich zu giessen.
Weil sie ihren Lieblingen nie etwas anderes als weiches Wasser zumuten würde, hat ihr Partner in der Scheune nebenan einen Tank aufgestellt, in dem Regenwasser gesammelt wird. Einmal pro Woche verteilt Klominkova 50 bis 80 Liter davon an die Gewächse. Das dauert dann jeweils vier Stunden. Jede Kanne wird von Hand herangeschleppt. «Manchmal ist es mir zu viel», gesteht Klominkova, «es kommt vor, dass ich abends von einem Ausflug nach Hause komme und eigentlich zu müde für alles bin.» Doch dann betritt sie ihre Stube, zurrt die Stirnlampe am Kopf fest, streift durch den Dschungel, und dann ist da nichts anderes mehr als Freude.
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