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Gesünder leben?

Gesünder leben?

Sophies Welt: Leben mit schwerer Erdnussallergie

Sophie von Waldkirch leidet seit frühester Kindheit an einer schweren Erdnussallergie. Isst sie Erdnüsse, droht ihr im schlimmsten Fall der Tod. Wie beeinflusst diese Allergie ihren Alltag?

Anaphylaktischer Schock:

Gefährlich werden allergische Reaktionen, wenn sie nicht lokal bleiben und die Symptome sich andernorts im Körper zeigen. Das Immunsystem reagiert dann nicht mehr lokal, sondern systemisch, also im ganzen Körper. Bei der anaphylaktischen Reaktion schüttet das Immunsystem verschiedene Übertragungsstoffe aus. Histamin ist einer davon. Dadurch schwellen die Schleimhäute an, die Gefässe werden erweitert. Die Schwellungen im Rachenbereich können zum Erstickungstod führen, die Gefässerweiterungen zum «Versacken» des Blutes; die lebenswichtigen Organe werden nicht mehr genügend durchblutet und es droht Herzversagen.

Die 27-jährige Sophie öffnet die Türe, lächelt unter der Maske und bittet hinein in Küche und Esszimmer des Hauses am Rande der Altstadt von Olten. Draussen vor dem Fenster befindet sich ein Naturgarten, den die Medizinstudentin selber angelegt hat. Auch in der Küche stammt vieles aus der Natur: Der Kühlschrank enthält viel Gemüse und frische, unverarbeitete Nahrungsmittel wie Fisch oder Eier. Fertigprodukte hingegen sind tabu. Denn Sophie ist schwere Allergikerin. Befinden sich nur Spuren von Erdnüssen in einem (Fertig-)Produkt, kann sie ohne Behandlung eine schwere allergische Reaktion bis hin zu einem anaphylaktischen Schock erleiden. «Es beginnt mit Jucken im Hals, dann erscheinen rote Flecken im Gesicht, Atemnot setzt ein», erklärt die 27-Jährige. In schweren Fällen drohen Bewusstseinsverlust und im schlimmsten Fall der Tod.

(Fortsetzung weiter unten…)

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Bevor ich zum Apéro in eine Bar gehe, müssen Freundinnen sicherstellen, dass auf dem Tresen keine Erdnüsse stehen.
Sophie von Waldkirch, 27-jährig, Medizinstudentin und Erdnussallergikerin

«Medikamente sind wichtiger als das Handy»

Auf der Skala von eins bis sieben ist Sophie Allergikerin auf der höchsten Stufe sieben. Allerdings ist sie bis anhin von einem schweren Verlauf verschont geblieben. Sobald sie Symptome feststellt, nimmt sie Medikamente ein, die sie stets bei sich trägt. «Sie sind wichtiger als mein Handy», sagt sie und lacht.

Festgestellt wird die Erdnussallergie, als Sophie drei Jahre alt ist. Der Befund stellt das Leben der sechsköpfigen Familie auf den Kopf. Während andere Kinder auf Spaziergängen oder Ausflügen ein «Weggli» oder «Schoggistängeli» kaufen dürfen, verzichtet Sophies Familie darauf. Die Gefahr, dass sich darin Spuren von Erdnüssen befinden könnten, ist zu gross. 

Erdnüsse & Co. verschwinden vom Teller

Als sie neun Jahre alt ist, reizt sie bereits der Geruch von Erdnüssen dermassen stark, dass diese definitiv vom Familien-Speiseplan verschwinden. «In Nase und Mund juckte es, sobald im Umkreis von einigen Metern eine Erdnuss auftauchte.» Damals und jetzt riecht sie Erdnüsse lange bevor sie im Blickfeld auftauchen. Später verschwinden Hülsenfrüchte wie Kichererbsen, Bohnen, Linsen und Cashewnüsse aus Sophies Welt, dafür kommt Heuschnupfen dazu. Eine typische Kreuzallergie. 

Ständige Begleiter in der Freizeit und in der Schule sind die Notfallmedikamente. In den Schränken ihrer Primarlehrerinnen und -lehrer liegen Notfallsets, die «Klassengschpändli» sind informiert. In der Kantonsschule werden die Zimmer, in denen Sophie dem Unterricht folgt, per Schilder zur erdnussfreien Zone erklärt. Am «Samichlaustag» nimmt sie nie teil, da die Säckchen in der Regel Erdnüsse enthalten. Auch der 7. Dezember ist für sie schulfrei, da erst dann die Putzequipe mögliche Reste von Erdnüssen entfernt.

Kein Mobbing erlebt

Im Unterschied zu anderen an Allergien leidenden Menschen wurde sie trotzdem nie ein Opfer von Mobbing. Eine europaweite Untersuchung zur Erdnussallergie zeigt: 77 Prozent der Allergiker fühlen sich ausgegrenzt, 43 Prozent sind mindestens einmal gemobbt worden. Dazu kommen oft Frustration, Stress und essensbezogene Angst. Häufiger als die allergischen Kinder sind die gesunden Eltern davon betroffen. «Mein erster Freund und ich hatten in der Schule zwar die Übernamen Nüssli und Nussknacker, doch das war scherzhaft gemeint und kein Mobbing», sagt Sophie.

(Fortsetzung weiter unten…)

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ZUM DOSSIER

Essen bereitet Sophie Freude

Ihr bereitet Essen keine Angst, sondern macht Freude. «Ich koche und esse fürs Leben gerne und mag es, alles selber mit frischen Produkten zuzubereiten», sagt die junge Frau. In den Ferien streift sie über die Märkte, kauft frisch ein und kocht in der Ferienwohnung. Ein lustvolles Unterfangen, auch für ihren Freundeskreis. Dass sie nicht in Hotels absteigen können, stört in ihrem Umfeld niemanden. 

Die Airlines verhängen Erdnussverbot

Problematischer wird der Ausgang: «Bevor ich zum Apéro in eine Bar gehe, müssen Freundinnen sicherstellen, dass auf dem Tresen keine Erdnüsse stehen.» Ist ein Restaurantbesuch angesagt, nimmt sie manchmal das Essen selber mit. Meist aber bestellt sie nur ein Getränk. Schräge Blicke des Kellners muss sie dafür in Kauf nehmen. Fliegt sie in die Ferien, stellt sie bei Fluggesellschaften sicher, dass keine Erdnüsse an Bord verkauft werden. Bei Easy Jet bittet die Crew die Passagiere zusätzlich in mehreren Sprachen, keine mitgebrachten Erdnüsse zu verzehren. Mit dabei sind neben Cortison und Antihistaminika jeweils zwei Adrenalinspritzen für den Notfall. Bis die Tabletten wirken, dauert es 40 Minuten. Eine Spritze wirkt in der Regel sofort für maximal 20 Minuten. Falls nach 5–15 Minuten keine Besserung eintritt, folgt die zweite Spritze. Danach muss sie sofort die Ambulanz rufen oder ein Spital aufsuchen. An Ferienorten macht Sophie die Spitäler immer im Vorfeld aus und schreibt deren Telefonnummern für ihre mitreisenden Freunde auf. Gebraucht hat sie diese bis anhin noch nie. 

«Ich kenne nichts anderes»

Das sind die Hauptallergien:

Zwei bis sechs Prozent der Schweizer Bevölkerung leiden unter einer Nahrungsmittelallergie, Kinder etwas häufiger als Erwachsene. Bei Kindern lösen Kuhmilch, Hühnereier, Weizenmehl, Erdnüsse und andere Nüsse Allergien aus; seltener Soja oder Fisch. Die häufigsten Allergene bei Erwachsenen sind Äpfel, Hasel- und Walnüsse, Kiwi, Sellerie und Karotten. Manchmal kommt es nur zu allergischen Reaktionen, wenn andere Faktoren mitspielen. Körperliche Anstrengung kann zu einem lebensgefährlichen, anaphylaktischen Schock führen, wenn diese zwei Stunden vor oder vier bis sechs Stunden nach Einnahme des Allergens stattgefunden hat.

Die Medizinstudentin, die ihr Zweitstudium nicht zuletzt wegen ihrer Allergie ausgewählt hat, geht gelassen damit um. «Ich kenne nichts anderes». Für Aussenstehende ist jedoch kaum vorstellbar, wie einschneidend eine schwere Allergie den Alltag beeinflusst.  

Möchte die junge Frau ihren Freund küssen, darf er am Tag zuvor keine Erdnüsse gegessen haben. Die Allergene sind zwar «nur» rund vier Stunden im Mund vorhanden, doch sicher ist sicher. 

Bei Detailhändlern klärt sie bei dessen Produktion ab, ob etwa vor dem Abfüllen der Mandeln Erdnüsse abgepackt wurden. Falls ja, sind die Mandeln tabu. Das Brot der Migros etwa, so hat Sophie abgeklärt, kann sie konsumieren. 

Das Einkaufen im Laden dauert lange, weil sie die Zutatenliste auf jeder Verpackung auf mögliche Spuren von Erdnüssen und anderer Zutaten, auf die sie allergisch reagiert, durchforstet. Nahrungsmittel, die im Laden neben offenen Erdnüssen liegen, kommen nicht ins Wägeli.

Zu Beginn des Studiums klärte Sophie ihre Mitstudierenden über ihre Allergie auf. 

Geht sie ins Kino, dann sieht sie sich die Filme an, kurz bevor diese abgesetzt werden. Dann gibt es meist nur noch wenige Zuschauer, die Gefahr, dass sie nahe bei einer Person sitzt, die Erdnüsse oder M&M’s isst, sinkt. 

Beisst im Zug ein Mitreisender in ein Snickers oder einen anderen erdnusshaltigen Riegel, wechselt Sophie in einen anderen Wagen über. 

Bevor sie etwa Lippenstift aufträgt, testet sie ihn am Handgelenk.

Ihre Erfahrungen und ihr Wissen rund um Allergien gibt sie im Verein Erdnussallergie & Anaphylaxie (erdnussallergie.ch) weiter, wo sie im Vorstand sitzt. Er ist Anlaufstelle für Menschen, die frisch erfahren haben, dass sie Allergiker sind. Wie gestalte ich meinen neuen Alltag? Worauf muss ich achten? Fragen, die Sophie bestens beantworten kann. 

Die Erdnussallergie bestimmt zwar teilweise Sophies Alltag, nicht aber ihr Leben. Sie joggt, macht Yoga und Ballett, Krafttraining, rudert und trifft sich mit Freunden wie andere junge Frauen. Ihre grosse Leidenschaft ist der Naturgarten, in dem sie ihre Allergie inmitten von Blütenpflanzen und Insekten ausblenden kann.

von Silvia Schütz,

veröffentlicht am 16.03.2021


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