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Gesünder leben?

Gesünder leben?

«Man kann einen Umgang mit Tinnitus finden»

Mijo Tunjic (28) lebt seit sechs Jahren mit einem Tinnitus als Folge eines Burnouts. Eine Therapie, Meditation und viel Selbstreflexion haben ihm einen Umgang mit dem ständigen Begleitgeräusch ermöglicht.

An einem Sonntag vor sechs Jahren wachte Mijo Tunjic nach einer Bar-Schicht auf und hörte nur noch dieses hohe Pfeifgeräusch. «Ich dachte, ja gut, es war halt laut in der Nacht. Das geht dann schon vorbei.» Nach seinen Schichten wachte er oft mit einem Geräusch auf.

Burnout als Auslöser des Tinnitus

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Mijo Tunjic lebt mit einem Tinnitus seit er 22 Jahre alt ist.

Aber dieses Mal war alles anders: Das Pfeifen hat alles übertönt und ging nicht mehr weg. Tunjic arbeitete weiter und hoffte darauf, dass das Geräusch wieder weggehen würde. Als dies nicht geschah und die Anspannung immer grösser wurde, erlitt er einen Nervenzusammenbruch. «Ich konnte nicht mehr aufstehen. Ich habe nur noch geweint und mich nicht mehr bewegt», erzählt der 28-Jährige. Seine damalige Freundin brachte ihn in den Notfall, wo er Beruhigungsmittel erhielt – und gleich in eine Therapie weitergeleitet wurde. «Als ich krankgeschrieben wurde, habe ich das ganz lange nicht wahrhaben wollen. Ich dachte einfach, meine Ohren seien kaputt. Ich müsse halt damit leben. Aber ich habe nicht begriffen, dass das von der Überlastung kam.»

Die Überlastung war zu dieser Zeit nämlich enorm. Tunjic ist Sozialpädagoge und hatte zum Zeitpunkt der Krankheit in einer heilpädagogischen Schule als pädagogischer Mitarbeiter gearbeitet. Nicht ausgebildet, ziemlich unerfahren und erst 21 Jahre alt. «Es war ein sehr anspruchsvoller Job.» Dann haben die Schulleitung und Lehrperson gewechselt und die Strukturen sich verändert. Tunjic war der einzige Überbleibende, der die Kinder seiner Klasse gekannt hat. «Ich habe viel Verantwortung auf mich genommen und Aufgaben übernommen, für die ich eigentlich nicht kompetent genug war.» Zudem blieb die Unterstützung der Kollegen aus. «Die Oberstufenschüler waren sehr herausfordernd. Die anderen Betreuenden oder Lehrpersonen waren froh, dass ich mich um sie gekümmert habe.»

Symptome wie «Nicht mehr abschalten können»

Auch in seiner Freizeit konnte der junge Sozialpädagoge nicht mehr abschalten: Nach der Arbeit bereitete er die kommenden Lektionen vor. Danach betrieb er intensiv Sport; ging dreimal die Woche boxen, joggen oder schwimmen. Gefangen in einem totalen Selbstoptimierungswahn und dem Wunsch, auch dort seine Leistung zu erbringen. Am Wochenende arbeitete er in einem Zürcher Club als Barmitarbeiter. «Ich habe mich beschäftigt gehalten, damit ich den Druck nicht spüre.» Irgendwann konnte er gar nicht mehr abschalten oder herunterfahren. Freie Abende oder auch Stunden für sich alleine waren rar. Dann folgten die Schlafprobleme. Und der Druck, beim Boxclub ebenfalls durchzustarten. «Ich habe nur noch funktioniert. Ich wollte nicht versagen.» (Fortsetzung weiter unten)

Diagnose Tinnitus – mit psychosomatischer Ursache

Als er die Diagnose Tinnitus erhielt, war das für ihn keine grosse Überraschung. Schliesslich war die Musik in der Bar, in der er gearbeitet hat, oft sehr laut. Doch bereits in der ersten Therapiestunde sagte ihm seine Psychotherapeutin, dass sie die Musik als Ursache ausschliesse, weil das nicht so schnell passiere. Als sie ihrem Patienten nach einem Gespräch erklärte, dass der Tinnitus wohl Folge der psychischen und physischen Überlastung sei, wollte Tunjic ihr zuerst nicht glauben. Zu stark war die Angst des jungen Mannes, als vermeintlicher Versager dazustehen. Er, der überall immer hundert Prozent gab. «Ich dachte: Burnout? Nie im Leben. Aber ich war ein Haufen Elend. Ich konnte knapp etwas für mich kochen.»

Therapie – und Hörtest – bringen Klarheit

Trotz seiner Zweifel entschied sich Tunjic für eine therapeutische Behandlung. Acht Monate lang dauerte diese; in der akuten Phase zu Beginn besuchte er mehrere Sitzungen pro Woche. Zudem war er in einer medikamentösen Behandlung: «Ich musste dreimal pro Tag das Beruhigungsmittel Temesta nehmen, weil ich Selbstmordgedanken hatte. Der Tinnitus war so laut, die ganze Zeit. Ich wurde fast verrückt.» Erst nach zwei Monaten Therapie konnte er sich eingestehen, dass das Geräusch in seinem Ohr psychosomatisch bedingt war. Ein Hörtest gab ihm nicht nur Klarheit, sondern auch Hoffnung: «Dort sagte man mir, dass ich eigentlich überdurchschnittlich gut höre und das nicht organisch sein kann. Dann wusste ich, dass ich an mir arbeiten muss und eine Chance habe.»

Freunde, Sport und Meditation wirken unterstützend

Mit gewissen Leuten in seinem Umfeld konnte er offen reden. «Das hat mir geholfen.» Zudem war seine damalige Freundin eine enorme Stütze in der schwierigen Zeit. Ohne sie hätte er es nicht geschafft, sagt er heute. «Sie hat so viel Energie in mich investiert. Das war das Wichtigste: Ich musste den Weg nicht alleine gehen.» Viele seiner Freunde waren aber auch erstaunt über seinen neuen Lebenswandel. «Ich ging stundenlang spazieren, habe jeden Tag meditiert. Ich habe zudem Sport gemacht – aber nicht, um Leistung zu erbringen, sondern einfach, um mich zu bewegen. Und ich habe mir so viele Gedanken über mich gemacht, mich richtig kennengelernt.» (Lesen Sie unten weiter...)

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Tinnitus als Warnsignal

Der Weg zur Besserung war intensiv und immer wieder fordernd. «Es gab viele gute Tage und auch Rückfälle. Die ersten acht Monate waren anstrengend. Aber es wurde stetig besser.» Ein Sommerjob gab ihm neues Selbstbewusstsein und half ihm, die Kurve zu kriegen.

Anderen Betroffenen rät er, sich nicht ständig mit dem Tinnitus auseinanderzusetzen. «Früher habe ich immer die Ohren zugehalten, um herauszuhören, ob der Ton noch da ist. Aber man kann lernen, das Geräusch irgendwie anzunehmen. Sich nicht mehr ständig darauf konzentrieren.»

Heute vergisst Tunjic den Tinnitus oft sogar für ein paar Stunden. Weil er so offen mit seiner Geschichte umgeht, melden sich mittlerweile auch andere Betroffene bei ihm. «Ich rate ihnen, sich nicht die ganze Zeit damit zu beschäftigen. Ja nicht in Internet-Foren recherchieren und sich Angst machen lassen. Und die Hoffnung nicht verlieren.» Man könne einen Umgang damit finden. «Aber es ist Arbeit. Und man muss dranbleiben.»

Der Tinnitus hat dem 28-Jährigen in den letzten sechs Jahren eine wahnsinnige Entwicklung ermöglicht, sagt er: «Ich kenne mich so viel besser heute. Der Tinnitus ist wie ein Begleiter, der mich warnt. Wenn er lauter wird, weiss ich: Jetzt muss ich wieder einen Gang herunterschalten.»

von Anne-Sophie Keller,

veröffentlicht am 16.11.2020


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