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Gesünder leben?

Gesünder leben?

Die Wahrheit über das Lügen

Warum lügen wir überhaupt? Wie oft tun wir es pro Tag? Und können auch Tiere tricksen und betrügen? Ehrliche Antworten von Psychologieprofessor Patrick Boss.

In Artikeln kann man immer wieder lesen, dass Menschen pro Tag etwa 200-mal lügen. Sind wir wirklich so unehrlich?

Patrick Boss: Diese Zahl hat der kalifornische Sozialpsychologe Jerry Jellison vor einiger Zeit in Umlauf gebracht. Sie wird immer wieder zitiert – vermutlich, weil sie so spektakulär klingt. Aber sie ist völlig übertrieben. Selbst wenn man jede harmlose Angeberei und jedes nicht ganz ehrliche Kompliment als Lüge einstuft, kommt man nicht auf 200. Psychologinnen und Psychologen gehen heute davon aus, dass wir im Schnitt ein- bis zweimal pro Tag lügen – also ganz bewusst eine Unwahrheit erzählen.

Warum können wir nicht ganz auf Lügen verzichten?

Legendäre Lügen der Weltgeschichte

Die päpstliche Lüge
Lange berief sich die katholische Kirche auf ein Dokument aus dem 4. Jahrhundert, um ihren Reichtum und ihre weltliche Macht zu rechtfertigen. Damals übergab Kaiser Konstantin dem Papst angeblich die Stadt Rom und die italienischen Provinzen. Doch die Schenkungsurkunde stellte sich später als Fälschung heraus.

Die Ablasshandel-Lüge
Prediger verkauften dem einfachen Volk im 15. Jahrhundert Ablassbriefe und versprachen ihm dafür das Seelenheil. Der Werbespruch dazu lautete: «Sobald das Geld im Kasten klingt, die Seele in den Himmel springt.» Diese Lüge führte schliesslich zur Reformation.

Die Kriegsgrund-Lüge
Der Zweite Weltkrieg begann mit einer Hitler-Lüge. Am 1. September 1939 behauptete der Diktator vor dem Reichstag, der Überfall Deutschlands auf Polen sei ein Gegenangriff: «Seit 5.45 Uhr wird zurückgeschossen.» Dabei hatte Polen das Dritte Reich gar nie attackiert.

Die Mauer-Lüge
Eine weitere berühmte Lüge stammt vom DDR-Machthaber Walter Ulbricht. Am 15. Juni 1961 verkündete er: «Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten.» Knapp zwei Wochen später begann der Bau der Berliner Mauer.

Die grösste Trump-Lüge
Wie oft hat der frühere US-Präsident Donald Trump gelogen? Die «Washington Post» zählte nach und kam auf über 30 000 Unwahrheiten in Reden und Interviews. Trumps grösste Lüge ist die Behauptung, seine Abwahl im November 2020 sei im grossen Stil manipuliert gewesen.

Weil das Leben sonst unerträglich wäre. Niemand hält dauernd die nackte Wahrheit aus! Stellen Sie sich vor, ein Arbeitskollege bringt freundlicherweise einen Kuchen mit ins Büro, doch das Gebäck ist leider staubtrocken. Trotzdem sagen Sie etwas Nettes über den Kuchen. Man nennt das eine «Weisse Lüge». Solche Lügen sind gut gemeint, sie sollen Konflikte vermeiden, und sie sind Schmierstoff für das Zusammenleben. Das Gegenteil davon sind «Schwarze Lügen» – mit ihnen verschafft man sich einen unfairen Vorteil und schadet anderen Menschen. Denken Sie etwa an einen windigen Autoverkäufer, der einen Gebrauchtwagen als neuwertig anpreist, obwohl er unter dem Lack völlig verrostet ist.

Wie kann man herausfinden, ob jemand ehrlich ist – mit einem Lügendetektor?

Nein, das ist nicht zuverlässig. Ein solches Gerät misst während einer Befragung, ob ein Mensch schneller atmet, ob sein Puls rast und ob ihm der Schweiss ausbricht. Früher glaubte man, Lügner so zweifelsfrei entlarven zu können. Doch auch ein ehrlicher Mensch, der aus ganz anderen Gründen nervös ist, schwitzt und atmet schneller. In der Schweizer Justiz ist der Lügendetektor darum nicht zugelassen.

Woran merkt man denn sonst, dass jemand lügt?

Polizisten und Polizistinnen achten in einem Verhör genau darauf, wie jemand erzählt. Wenn sich ein Verdächtiger unter Zeitdruck ein Alibi ausdenkt, ist seine Geschichte oft allzu simpel und geradlinig. Ein echtes Erlebnis schildert man ganz anders – farbiger, anschaulicher und mit viel mehr Details. Ein Trick der Fahnder ist es auch, die Reihenfolge umzudrehen: Verdächtige müssen ihre Alibigeschichten von hinten nach vorn erzählen. Wenn alles nur erfunden ist, verstricken sie sich dabei eher in Widersprüche.

Verrät nicht auch die Mimik, ob jemand ehrlich ist? Es heisst immer wieder, dass Menschen spontan nach rechts oben blicken, wenn sie eine Lüge erzählen.

Nein, so simpel ist das nicht. Es gibt aber die sogenannten Mikroexpressionen – das sind flüchtige Gesichtsausdrücke, die nur Sekundenbruchteile dauern. Sie verraten, in welcher Stimmung ein Mensch ist, ob er zum Beispiel Angst hat oder wütend ist. Von blossem Auge lassen sich diese Signale kaum wahrnehmen. An verschiedenen Universitäten laufen nun aber Versuche mithilfe von künstlicher Intelligenz: Man will eine Software entwickeln, die Mikroexpressionen erkennt und daraus ableitet, ob jemand lügt.

(Fortsetzung weiter unten…)

Also gibt es bald einen Lügendetektor, der dank künstlicher Intelligenz unfehlbar ist …

Unfehlbarkeit wird es nie geben. Aber selbst wenn alles irgendwann fast perfekt funktioniert, bleibt ein Problem: Niemand wird genau verstehen, warum die Software einem Menschen glaubt und einen anderen für unehrlich hält. Es wird das Resultat einer blitzschnellen, komplizierten Analyse sein, die wir nicht nachvollziehen können. Wir müssten der künstlichen Intelligenz einfach blind vertrauen.

Wer lügt eigentlich häufiger – junge oder alte Menschen?

Dazu gab es vor einigen Jahren eine grosse Studie: Forscherinnen und Forscher werteten rund 500 Experimente aus, an denen 40 000 Leute aus verschiedenen Ländern teilgenommen hatten. Das Ergebnis war überraschend klar: Junge Erwachsene lügen am häufigsten.

Woran liegt das?

In diesem Alter kommen viele Faktoren zusammen, die das Lügen begünstigen: Das Gehirn befindet sich in einer Umbauphase, das Gewissen ist noch nicht vollständig ausgebildet, und man denkt und handelt eher egoistisch. Auch die sozialen Medien spielen eine wichtige Rolle: Jeder will sich dort als schön und erfolgreich darstellen. Dabei verbiegt man schnell einmal die Wahrheit – und sei es nur, dass man Selfies mit einer App verschönert.

Damit sprechen Sie eine moderne Form der Lüge an: Heute kann man Bilder leicht manipulieren. Woran erkennt man Fake Fotos und Videos?

Wenn sie mit einer Gratissoftware gemacht wurden, ist das oft einfach: Man hat dann eine erfundene Szene – der Papst, der in einem Club tanzt, oder Donald Trump als Sträfling hinter Gittern. Doch bei genauerem Hinsehen sieht man viele Fehler: Es fehlt zum Beispiel der Schatten, oder jemand trägt eine Sonnenbrille, in der sich nichts spiegelt. Profifälschungen sind für Laien aber täuschend echt.

Was hilft gegen perfekt gemachte Fake News?

Hier sind Anstrengungen der ganzen Gesellschaft nötig: Die Schulen müssen sich diesem Thema verstärkt widmen. Schon Kinder sollten lernen, dass viele Quellen im Internet nicht vertrauenswürdig sind. Ausserdem sollte der Staat die seriösen Medien weiterhin fördern und unterstützen.

Lügen sind etwas Grundmenschliches. Gibt es sie auch im Tierreich?

Viele Tiere können ihre Feinde auf raffinierte Art täuschen. Meist sind das aber angeborene Verhaltensmuster, die man nicht mit Lügen vergleichen kann. Höher entwickelte Tiere lassen sich eher einen neuen Trick einfallen. Dazu ein Beispiel: Ein Dackel hat eine Pfote gebrochen und wird nun von seinem Besitzer gesund gepflegt. Als der Hund längst geheilt ist, humpelt er manchmal noch auf Spaziergängen. Dabei hat er gar keine Schmerzen – er möchte nur, dass sein Besitzer wieder so lieb zu ihm ist.

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von Michael West,

veröffentlicht am 15.07.2024


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