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Gesünder leben?

Gesünder leben?

Unverbindlichkeit: Warum will sich kaum noch einer festlegen?

Erst kurz vor einer Veranstaltung zu- oder absagen. Eine Expertin erklärt, warum immer mehr Menschen nicht mehr verbindlich sein möchten und wie wir damit umgehen können.

Andrea von Graszouw, ich habe es auch schon getan – bis zum letzten Moment weder zu- noch abgesagt. Warum fällt es uns schwer, verbindlich zu sein?

Andrea von Graszouw: Die Frage ist eher, ob wir eine Wahl haben. In der heutigen Zeit ist Flexibilität immer gefragter – sei es im Arbeitsumfeld oder im Privatleben. Unsere Gesellschaft ist stark vom Individualismus geprägt und legt grossen Wert auf die Selbstbestimmung der einzelnen Person. Das führt automatisch zu weniger Verbindlichkeit.

Tragen die aktuellen Krisen dazu bei?

Absolut. Während der Coronapandemie haben wir von einem Tag auf den nächsten Stabilität verloren. Plötzlich mussten wir alle flexibel sein und uns vermehrt im digitalen Raum aufhalten. Verbindlichkeit war dabei fast unmöglich. Kurz darauf hat der Ukraine-Krieg begonnen und immer wieder zu Lieferengpässen geführt, was Unternehmen und somit die Arbeitnehmenden zu mehr Flexibilität gezwungen hat.

Die neuen Kommunikationsmittel fördern Unverbindlichkeit wohl auch …

Ja. Messengerdienste wie Whatsapp haben unsere Kommunikation stark beschleunigt. Aber sie sorgen auch für mehr Distanz zwischen den Menschen. Denn wir sehen und hören uns nicht – nonverbale Signale gehen bei Chatnachrichten verloren. Wie sich die andere Person fühlt, ist plötzlich unklar. Konversationen werden dadurch oberflächlicher – und eben unverbindlicher.

Was steckt hinter dem Wunsch, sich nicht festzulegen?

Meistens stecken Ängste dahinter. Etwa die Angst vor Verpflichtungen. Denn daran sind Druck und Erwartungen geknüpft. Aber auch die Furcht vor dem Verlust der Freiheit: Niemand wird gern eingeschränkt in seiner Handlungsfreiheit.

Und die Angst, etwas zu verpassen …

Genau: Fomo, die sogenannte Fear of missing out, also die Angst, etwas zu verpassen, führt dazu, dass sich viele Menschen nicht verpflichten möchten. Das liegt auch daran, dass wir heute ein riesiges Angebot an Möglichkeiten haben. Was, wenn das Konzert besser ist als die Party? Jede Entscheidung bedeutet den Verlust einer Option. Deshalb fällt es manchen Menschen extrem schwer, sich festzulegen.

Fördern soziale Medien dieses Gefühl?

Bestimmt. Auf Instagram, Facebook und Tiktok sind Bilder und Videos vom Leben anderer Menschen omnipräsent. Es beginnt sofort der Vergleich: Ist das Leben meiner Freunde und Bekannten spannender als mein eigenes? Hätte ich besser auch auf diese Party gehen sollen?

Wie wirkt sich das auf unser Sozialleben aus?

Unverbindlichkeit sorgt einerseits für oberflächliche Beziehungen und andererseits für Konflikte. Mir ist das etwa vor Jahren mit meinem Tanzpartner passiert: Er konnte mir manchmal bis eine Stunde vor Beginn nicht sagen, ob er kommt. Für mich war das sehr unbefriedigend, und sein Verhalten hat mich belastet.

Unverbindlichkeit nervt, sobald man selbst Opfer davon wird.

Es kann sogar krank machen. Wird im letzten Moment eine Verabredung abgesagt, wirkt das rasch wie eine Zurückweisung oder gar Ablehnung. Das kann zu seelischem Schmerz führen, was über längere Zeit körperliche Symptome zur Folge haben kann.

(Fortsetzung weiter unten…)

Wie geht man damit um?

So sagst du richtig ab
  1. Ehrlich kommunizieren
    Sei ehrlich und sage, dass du dich nicht festlegen willst. Das braucht Mut und hat eventuell negative Konsequenzen: Menschen könnten entscheiden, dich nicht mehr einzuladen.
  2. Selbst mitteilen
    Du solltest eine Absage deinem Gegen- über direkt mitteilen.
  3. Neuen Termin vorschlagen
    Bei kurzfristigen Absagen solltest du immer eine Alternative anbieten.

Reden hilft! Wenn mich das Verhalten einer Person verletzt, liegt es in meiner Verantwortung, das anzusprechen. Am besten tut man das ohne Schuldzuweisung. So habe ich es auch mit meinem Tanzpartner gelöst: Ich habe ihn darauf angesprochen und gefragt, warum er mir oft nur spät zusagen könne. Er meinte, es liege daran, dass er in seinem Beruf bereits sehr verplant sei und deshalb in seiner Freizeit mehr Flexibilität haben möchte. Dann habe ich einen Kompromiss mit ihm gesucht. Mein Vorschlag war, dass er mir mindestens zwei Stunden vorher Bescheid gibt. Doch das hat auch nicht geklappt.

Und dann?

Wenn kein Kompromiss gefunden werden kann, liegt es an einem selbst, eine Entscheidung zu treffen. Für mich war klar, ich kann mit seiner Unverbindlichkeit nicht umgehen. Also habe ich ihm gesagt, dass wir uns als Tanzpartner trennen müssten. Stattdessen treffen wir uns heute einfach ab und zu als Freunde für einen Kaffee oder ein Glas Wein. Es braucht Mut, eine solche Konversation zu führen. Doch es lohnt sich. Wichtig ist, dass beide Seiten fair bleiben und ehrlich miteinander kommunizieren.

Aber nicht immer ist eine Absage geplant.

Bei kurzfristigen Absagen sollte man immer eine Alternative anbieten. Folgt der Vorschlag für ein Treffen zu einem anderen Zeitpunkt, drückt das Wertschätzung aus. So können die meisten Menschen besser mit einer Absage umgehen. Wer von Anfang an merkt, dass er oder sie wohl nicht zu einem Treffen gehen möchte, sollte sofort absagen, statt sich die Option offenzuhalten.

Färbt diese Unverbindlichkeit auch auf unser Arbeitsleben ab?

Definitiv. Durch den wirtschaftlichen Wandel ist immer mehr Flexibilität gefragt. Gleichzeitig wünschen sich Arbeitnehmende auch mehr Flexibilität. Heute arbeiten die wenigsten Personen noch 20 Jahre im selben Unternehmen. Gleichzeitig können Unternehmen aber auch oft nicht langfristig planen und verbindliche Zukunftsaussichten geben – dadurch wird die Karriereplanung schwieriger.

Der Trend zur Unverbindlichkeit ist aber nicht nur schlecht, oder?

Natürlich nicht. Diese Entwicklung bietet Spontaneität und Flexibilität. Wir können so auch auf unsere aktuelle Stimmung und unser Wohlbefinden eingehen. Doch es ist ein Balanceakt. Die eigene Freiheit sollte anderen nicht das Leben erschweren.

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von Barbara Scherer,

veröffentlicht am 22.07.2024


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