Winterschwimmen wird immer beliebter. Drei Basler erzählen, warum sie im Fluss baden, während andere in Daunenjacken am Ufer spazieren.
Ein nasskalter Wintertag in Basel, feiner Regen, bissiger Wind. Nur ein wenig kälter, und aus dem Nieseln würde Schnee. Dick vermummte Passanten bleiben auf der Kleinbasler Uferpromenade stehen und blicken auf drei Gestalten, die in Badehosen den Rhein aufwärts marschieren.
Allen ist klar: Die wollen in den Rhein. Die wollen schwimmen. «Ihr seid ja Helden!», sagt ein Passant. «Ist es nicht kalt?» Die Frau im Trio lacht. «Natürlich ist es kalt! Es ist Winter!», sagt sie. Die Luft hat sechs, der Fluss zehn Grad. Doch für die Winterschwimmer Dora Moser (53), Torio Marvin Bauer (56) und Matthias Gorges (55) aus Basel und Umgebung gehört das mit zum Vergnügen. «Wir haben uns mit der Kälte angefreundet.»
In nördlichen Ländern ist Winterschwimmen als Volkssport schon länger beliebt. In Finnland etwa erlebt das Baden in ins Eis gehackten Löchern momentan sogar eine Art Renaissance – besonders bei jungen Menschen. Das kalte Morgenbad gibt ihnen einen natürlichen Energieschub für den Tag. In Russland wiederum hat es vorwiegend religiöse Tradition: Im Januar begehen orthodoxe Christen jeweils das rituelle Eisbaden zum Epiphaniasfest, um sich symbolisch von ihren Sünden reinzuwaschen. Allein in Moskau tauchen zu diesem Zweck Tausende in die eisigen Fluten.
Oberhalb der Mittleren Brücke steigen die Schwimmer die Stufen zum Fluss hinab. Sie scherzen und sind aufgekratzt – wie Verliebte vor dem Date. Zügig waten sie ins Wasser und gleiten bis zum Hals hinein. Nach einem Kontrollblick zu den Kollegen schwimmen sie hinaus und mit der Strömung davon.
Ende August vor vier Jahren fragte sich Dora Moser, die schon immer gern im Rhein schwamm, wie lange man wohl im Fluss baden kann. Und so schwamm sie, als der Sommer vorbei war, einfach weiter. Bei 16 Grad waren längst keine anderen Schwimmer mehr im Wasser, bei 12 Grad machten die Menschen am Ufer grosse Augen. Sie hatte Spass und fand es aufregend: Wie lange würde sie durchhalten?
Das Wasser wurde kühler, war aber gut auszuhalten, und so schwamm sie bis zum Frühling durch. Begleitet von Torio Bauer, der bereits Erfahrung mit Tauchbädern im winterlichen Bodensee hatte. Bald stiessen weitere Schwimmer zur Gruppe, die sich RhyExtase nennt. Vor zwei Jahren auch Matthias Gorges.
Die drei schwimmen auf die Mittlere Brücke zu, im Hintergrund malerisch Altstadt und Münster im Blick. Passanten schiessen Handybilder, die Schwimmer winken und gleiten unter der mittelalterlichen Brücke hindurch.
In kalten Ländern wie Russland und Finnland hat Schwimmen in Eiswasser eine lange Tradition. Auch hierzulande gab es immer schon vereinzelt Winterschwimmer – jetzt wird es regelrecht zum Boom. Immer mehr Menschen steigen winters in kalte Fluten, alleine oder in Gruppen. In Schaffhausen gibt es die Pinguine, in Bern die Gfrörli, in Basel die RhyExtase und die Eisbären. Letztere zählen nur sechs Jahre nach der Gründung schon 40 Personen.
Auch Winterschwimmevents erfreuen sich enormer Beliebtheit. Innert Minuten ist das Zürcher Samichlausschwimmen in der Limmat ausgebucht, im Berner Oberland ergeht es dem Blauseeschwimmen ähnlich. Wie erklärt sich dieser Boom? «Abgesehen vom Gesundheitsaspekt ist da sicher der Reiz, aus dem Alltag auszubrechen, sich zu überwinden und Anerkennung zu geniessen», sagt Medbase-Arzt Roberto Noce. Ausserdem erlebe man mit wenig Aufwand einen grossen Adrenalinkick. Gratis. «Winterschwimmen kann sogar süchtig machen.»
Nach zehn Minuten im kalten Wasser ist dann Schluss: Unterhalb der Brücke schwimmen Dora Moser, Matthias Gorges und Torio Bauer ans Ufer. Etwas steif steigen sie aus dem Wasser, mit krebsroter Haut und strahlenden Gesichtern. Beseelt und glücklich – tatsächlich wie Verliebte, diesmal nach dem Date.
Matthias Gorges lacht: «Das sind die Glückshormone, die durch die Kälte im Körper ausgeschüttet werden. Ein herrlicher Effekt des Winterschwimmens. Genau wie das Wärmegefühl, das nach dem Schwimmen für Stunden anhält.» Frieren die drei denn gar nicht? «Noch nicht!», präzisiert Torio Bauer. «Wir müssen uns mit Anziehen beeilen. Sobald wir schlottern, wird es schwierig, Knöpfe zu schliessen und Schnürsenkel zu binden.» Sagts, rubbelt wie seine Begleiter die taube Haut trocken und streift sich die vorab hier deponierten Kleider über. Kaum angezogen, beginnt das grosse Schlottern. (Lesen Sie unten weiter...)
In einem nahen Café wärmen sie sich wenig später die schlotternden Hände an heissen Tassen und sinnieren übers Winterschwimmen. «Ich liebe den Kontakt mit der Naturkraft mitten in der Stadt. Für mich bedeutet Winterschwimmen Freiheit», sagt Dora Moser. Nicht nur das kalte Wasser tue ihr gut, auch das Überwinden der Komfortzone. Und mehr noch: «Ich kann mich hitzig ereifern», sagt sie. «Winterschwimmen klärt und kühlt meine Emotionen. Es braucht so wenig und bringt so viel.»
Torio Bauer kam durch eine Lebenskrise zum Winterschwimmen. «So dunkel war es noch nie in meinem Leben», erzählt er. Das Winterschwimmen brachte die Wende. «Ich entdeckte meinen Mut, meine Naturverbundenheit, mein Durchhaltevermögen und meine Dankbarkeit für mein Leben neu.» Auch Matthias Gorges fand in einer Lebenskrise zum Winterschwimmen. Er suchte nach elementaren Erlebnissen und Intensität – und tauchte in den eiskalten Fluss. «Es war unglaublich: Als würde meine Seele neu geboren. Dabei härtete es mich nicht ab, sondern machte mich feinfühliger, offener für das, was kommt – im Wasser wie im Leben. Es war die beste Therapie gegen die drohende Depression und bereichert seither mein Leben.»
Hand aufs Herz: Tut es gar nicht weh? Dora lacht: «Im ersten Moment prickelt die Haut, nach einer halben Minute weicht die Kälte wohliger Wärme.» Ein halbes Grad weniger sei spürbar. Bei 10 Grad fühle sich das Wasser noch weich, darunter jedoch hart, fast feindselig an. Winterschwimmen sei mehr als Planschen im kalten Wasser: Es brauche den Respekt vor der Naturgewalt des Flusses und der Reaktion des Körpers. «Wir schwimmen ohne Ehrgeiz, dafür mit geschärften Sinnen, und gehen nie ans Limit.» Torio Bauer fügt an: «Wir sind weder Helden noch Masochisten, wir tun es für die Gesundheit und weil es uns beseelt und glücklich macht. Jeden Tag neu.»
Der Kaffee ist ausgetrunken, die Wärme kehrt in die Körper zurück. Langsam lässt das Zittern nach, das Leuchten in den Augen bleibt.