Kinder im Flow, weniger aggressive Tiere im Zoo, Ganzkörpergefühl im Chor – fünf Menschen erzählen, wie sie mit Musik entspannen und wie sie wirkt.
«Musik begleitet mich tagaus, tagein. Nicht nur, wenn ich Geige spiele. Sie kann beruhigend, tröstend oder aufmunternd wirken, eine Stimmung bestärken oder sie umpolen. Wenn ich entspannen will, greife ich zu leichterer Musik wie Queen oder Pink Floyd – eine Abwechslung zur anspruchsvollen Klassik. Unter den Streichinstrumenten streiten sich oft Violine und Cello darum, welches Instrument näher an der menschlichen Stimme ist. Mein wichtigster Sinn ist nicht das Gehör, sondern das Auge. Denn als Musiker könnte ich auch Stücke in mir hören, wenn ich gehörlos wäre.»
Sebastian Bohren (33) ist Geiger, unter anderem als leitender Solist beim Kammerorchester Basel und der Camerata Zürich
«Singen tut dem Menschen einfach gut, psychisch und körperlich. Dies beobachte ich auch bei den Sängerinnen und Sängern meines Chores. Es ist eine Ganzkörperübung, bei der unter anderem die Feinmuskulatur trainiert und an der Atmung gearbeitet wird. Dies entspannt den Körper und aktiviert ihn zugleich. Beim Singen bewegen sich schliesslich Schwingungen vom Beckenboden hoch bis in den Hals, wo sie wie ein Vulkan explodieren und ein Gesang erklingt. Es ist deshalb auch eine sehr expressive Tätigkeit, gewissermassen ein Verschenken von Klängen an die Welt. Und Schenken macht bekanntlich glücklich.»
Patric Ricklin ist Chorleiter, Dirigent und ehemaliger Opernsänger. Er leitet unter anderem die silser-chorwochen.ch
«Musik wirkt sehr unterschiedlich auf Tiere. Gorillas zum Beispiel zeigen weniger aggressives Verhalten, wenn sie klassische Musik hören. Elefanten zeigen beim Hören von Musik weniger auffälliges Verhalten. Wenn junge Ratten klassische Musik hören, können sie später schneller und besser lernen. Laute Geräusche verringern hingegen diese Fähigkeit. Klassische Musik kann sich positiv auf die Lernfähigkeit und die Gehirnentwicklung auswirken. Nicht alle Musikstücke und -richtungen wirken gleich. Auswirkung wie Stressreduktion kann man zum Teil direkt am Verhalten der Tiere erkennen.»
Dr. Pascal Marty ist Kurator Kommunikation beim Zoo Zürich. Er selber kann sich mit klassischer Musik und Naturgeräuschen im Hintergrund am besten konzentrieren
(Fortsetzung weiter unten…)
«Ich bin seit Geburt Synästhetikerin, bei mir sind also zwei oder mehrere Sinne miteinander verknüpft. Ich sehe Farben, wenn ich Musik und Geräusche höre. Bei jedem Ton erscheint vor meinem inneren Auge eine Farbwolke, die den ganzen Innenraum ausfüllt. Wenn ich komponiere, schwingen immer Farben mit – dann male ich Musik. Eine Melodie hat verschiedene Farben, wenn dann eine ganze Band spielt, dann finde ich mich inmitten eines Farbclusters wieder. Mein wichtigster Sinn ist der Hörsinn. Knapp gefolgt vom Geruchssinn. Sowohl Musik als auch Düfte lösen direkt Emotionen aus. Dort beginnt die Lebendigkeit.»
Lea Lu, Sängerin und Komponistin, ihr neues Album erscheint im Frühling 2021.
«Musik ist dem Menschen ein Gegenüber. Wir können in ihr verweilen und einen Moment aus unserer Zeit heraustreten. Aktives Musizieren wirkt auf die Wahrnehmung, den Atemfluss, die Koordinationsfähigkeit. Es ist wertvoll, wenn sich ein Kind anhand der Musik mit sich selber auseinandersetzen kann, an Grenzen kommt, sie überwindet und den Flow erlebt. Unübertroffen schön sind Momente, wenn ein Kind eins ist mit der Musik, die es macht. Unser zehnjähriger Sohn erfindet gerade Filmmusik. Gestern hörten wir, wie ein Astronaut durchs All schwebt. Das war zum Weinen schön.»
Sibylle Dubs (47) ist Musikpädagogin und unterrichtet am mkz (Musikschule und Konservatorium Zürich) und der Primarschule Holderbach in Zürich.