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Gesünder leben?

Gesünder leben?

Hör mal, was da knistert

Entspannen mit einer Kerze im Ohr? Unser Kolumnist ist Feuer und Flamme für einen Versuch. Schliesslich hat er beste Erinnerungen an dieses indianische Ritual.

Als ich für einige Zeit in Schanghai lebte, gehörte der Besuch im Massagestudio zum festen Bestandteil meines Arbeitstags. Die dort angebotene, traditionelle chinesische Massage war nicht nur erschwinglich, sondern auch wahnsinnig entspannend. Was wiederum damit zu tun hatte, dass sie wahnsinnig schmerzhaft war. Das sanfte «Are you ok?» der Masseurin wusste ich jeweils nur noch mit gutturalen Grunzlauten zu beantworten, trotzdem liebte ich die regelmässige Tortur.

Bisweilen wurde der stündige Kraftakt mit ein paar Special Effects angereichert, die mein Körper je nach Einschätzung des täglich rotierenden Personals gerade nötig hatte: meine Wadenbeine wurden als Akupunkturnadelkissen zweckentfremdet, mein Rücken mit gläsernen Schröpfköpfen übersät, meine Meridiane mit heissem Rauch moxibustiert. Einmal steckte mir eine besonders eifrige junge Dame gar eine Ohrkerze in die Hörmuschel. Das überraschte mich, da ich diesen Brauch bei den Pueblo-Indianern im Süden der USA verortete, und danach sah die nette Masseurin nun ganz und gar nicht aus.

Allzu viele Gedanken konnte ich mir dazu aber nicht machen, denn mein Ohr war bald von einem angenehmen Knistern, leisem Pfeifen und Knacken erfüllt, welches meine ganze Aufmerksamkeit absorbierte. Dass da dicht über meinem Gesicht eine Flamme züngelte, beunruhigte mich nicht im Geringsten, schliesslich wachte die nette Pueblo-Chinesin über mich, und ich driftete weg in dunkle, weiche Träume.

Finger weg?

frau-macht-ohrenkerzenbehandlung
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Diesen Effekt gedachte ich zu wiederholen, als ich mir kürzlich in der örtlichen Drogerie, die sich in den letzten Jahren zu einer spektakulären Esoterik-Zauberwelt weiterentwickelt hatte, ein Paar Ohrkerzen abholte. Ich entschied mich für die «traditionelle», nach Honig, Salbei und Kamille duftende Variante, schliesslich verhiess sie wohltuende Entspannung, und das war es doch, wonach ich trachtete.

An dieser Stelle muss gesagt sein, dass der Ohrkerze nicht überall mit Wohlwollen begegnet wird. Die amerikanische Zulassungsbehörde FDA etwa warnt vor heissem Wachs in Gehörgängen, perforierten Trommelfellen und Wohnungsbränden: «Finger weg von Ohrkerzen», lautet ihr klares Verdikt. Am anderen Ende des Spektrums stehen Hersteller und Verkäufer des Produkts, die auch schon mal behaupten, Ohrkerzen würden Kopf- und Ohrenschmerzen kurieren und sogar die Hirnaktivität positiv beeinflussen. (Fortsetzung weiter unten...)

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Bewertung

Entspannungsfaktor: 1
Aufwand-/Ertrag: 2
Suchtpotenzial: 1

Skala von 1 bis 5

Nun denn. Als Anwender im Sinne der Entspannung kümmern mich beide Extreme wenig. Leider musste ich aber feststellen, dass sich die wohltuende Wirkung, wie ich sie im chinesischen Massagesalon erfahren durfte, zu Hause nicht so einfach reproduzieren lässt. Aus einem einfachen Grund: Alleine lassen sich die Dinger nicht anwenden. Der Hersteller preist diesen Umstand in der Gebrauchsanleitung geschickt als «traditionelles indianisches Wohlfühl-Ritual» an, welches man mit dem Partner oder der Partnerin zelebrieren soll. Hah! Ein Euphemismus für «Schatz, halt mir mal bitte die Ohrkerze.»

Meine Frau hielt also das Lachen zurück, während sie meinen Ohrstengel entfachte, doch mit ihrer Hand auf meinem Gesicht wollte sich die Entspannung nicht so recht einstellen. Das Knistern, Pfeifen und Knacken war zwar da, aber leider auch ein penetranter Rauchgeruch, den ich auch nach dem Auslöschen der Fackel nicht mehr aus dem Wohnzimmer und erst recht nicht aus meiner Ohrmuschel herauskriegte. Ausserdem bröckelte Asche durch die Gegend. Ich fühlte mich wie an einem Grillabend, nur leider ohne Wurst im Magen, dafür mit Kerze im Ohr.

In der Hälfte der zweiten Fackel entschied ich, den Versuch abzubrechen. Ich fürchtete, er würde auch noch die letzten Erinnerungen an meine entspannte Zeit in der chinesischen Grossstadt auslöschen. Die Ohrkerze hat keinen Platz mehr in meinem Leben, sie ist nurmehr Gegenstand nostalgischer Schwärmereien. Meiner Frau ist das ganz recht so.

von Lukas Hadorn,

veröffentlicht am 17.08.2017, angepasst am 16.02.2024


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