Unser Kolumnist taucht auf der Suche nach Ruhe und Entspannung in virtuelle Welten ab. Das klingt einfacher, als es ist.
Glitzernd fallen die Sonnenstrahlen durch das helle Grün der Blätter hoch über mir. Vor meinen Füssen plätschert ein Bächlein, die Böschung ist mit Moos und Farn bewachsen. Ein Blatt gleitet lautlos zu Boden. Ich schaue mich um, drehe mich um meine eigene Achse. Ich stehe irgendwo im Wald, inmitten schönster Natur. Sanfte Entspannungsmusik hängt in der Luft, ich atme tief durch.
Doch was ist das? Dasselbe Blatt, dem ich soeben dabei zugeschaut habe, wie es sanft schaukelnd zu Boden glitt, kommt schon wieder heruntergeflattert. Jetzt fällt mir auch auf, wie gleichmässig das Bächlein plätschert, wie monoton sich die Farne im Luftzug wiegen. Und hier kommt das Blatt ja schon wieder!
Hast du es gemerkt? Ich stehe nicht wirklich im Wald, sondern sitze bequem auf meinem Bürodrehstuhl, während sich die idyllische Szenerie nur virtuell vor meinen Augen abspielt. Ich habe mir eine VR-Brille von Google umgeschnallt, in der ein Smartphone von Apple steckt, und darauf simuliert eine App namens «Relax VR», wie schön Entspannung in der Brandung einer australischen Bucht, unter dem Nordlicht Kanadas oder eben im Schatten eines bundesdeutschen Laubwäldchens sein kann. Schöner jedenfalls, als in den eigenen vier Bürowänden.
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Trotzdem komme ich mir ein bisschen vor wie Jim Carrey im Film «Die Truman Show», als er mit dem Bug seines Segelschiffs die Wand der Kulisse durchstösst, während er sich auf einem endlosen Ozean wähnt. Mein Körper scheint nach einer Bestätigung dafür zu suchen, dass das, was ihm Augen und Ohren da vorgaukeln, nicht der Realität entspricht. Entspannung will sich jedenfalls nicht einstellen. Das liegt auch am beschränkten Sichtfeld der Brille, welches bedingt, dass man den Kopf aktiv hin- und herdrehen muss, um die ganzen 360 Grad des Panoramas geniessen zu können. Es gibt kein peripheres Sehen, man erlebt den Wald nicht, sondern beobachtet ihn durch ein virtuelles Guckloch.
Vielleicht lenkt mich die geführte Meditation ab, welche die App ebenfalls anbietet. Die Menü-Steuerung erfolgt mit den Augen und funktioniert einwandfrei. Eine angenehme Frauenstimme begrüsst mich und fordert mich auf, die Augen zu schliessen. Ja, wie jetzt? Im Ernst? Ich habe mir doch keinen Kopfkinokasten vor die Stirn gezurrt, um darin mit geschlossenen Augen schönen Träumen nachzuhängen? Ein weiteres Dilemma der virtuellen Meditation tut sich auf: Während Entspannung fast immer das Ausblenden visueller Reize bedingt, funktioniert Virtual Reality (bis jetzt) nur über die Augen. (Fortsetzung weiter unten...)
Entspannungsfaktor: 1
Aufwand-/Ertrag: 1
Suchtpotenzial: 2
Skala von 1 bis 5
Schliesslich breche ich den Versuch ab, und zappe mich bei Youtube und im App Store noch ein wenig durch das Angebot an virtuellen Erlebniswelten. Achterbahnfahrten, Bungee-Sprünge, Horrorhäuser, Flugsimulatoren – alles da. Viel Anspannung, wenig Entspannung. Adrenalin ist im virtuellen Raum nach wie vor die härteste Währung.
Vernichtend fällt mein Urteil dennoch nicht aus. Es hat durchaus seinen Reiz, ein Naturspektakel wie das Nordlicht durch eine VR-Brille zu betrachten. Entspannend ist es aber noch nicht, dazu scheint mir die Technik zu wenig ausgereift. Aber das kann schnell gehen. Wer gab Internet-TV vor einigen Jahren eine Chance, als die Modems noch laut krächzten und ein einzelnes Bild in mehreren Abschnitten geladen werden musste, bis es auf dem Bildschirm erschien? Nicht auszuschliessen, dass VR-Meditation für unsere Kinder dereinst die normalste Entspannungsmethode der Welt sein wird. Mit offenen Augen, vermutlich.