Bis zu 10 Prozent der Bevölkerung sind handysüchtig. Experte Franz Eidenbenz erklärt, woran man die Sucht erkennt und was gegen den übermässigen Konsum hilft.
Herr Eidenbenz, was kennzeichnet die Handysucht?
Wenn Ihnen das Smartphone wichtiger ist als der direkte Kontakt mit Menschen in der realen Welt. Oder anders gesagt: Wenn das Handy Sie steuert und nicht mehr Sie das Gerät.
Ich habe täglich drei Stunden Bildschirmzeit. Bin ich süchtig?
Nein, die Dauer allein ist kein Suchtkriterium, ausser das Handy nimmt soviel Raum ein, dass Sie keine Zeit mehr für andere oder anderes haben. Es ist sehr wichtig, wie Sie die Zeit mit dem Handy verbringen und wie sinnvoll das ist. Wenn jemand zum Beispiel stundenlang Pornos konsumiert und dadurch anderes vernachlässigt, sind das Anzeichen, dass er ein Problem hat. Wenn jemand dagegen etwas Sinnvolles macht, etwas, dass nah bei seinem Leben ist, ist er nicht zwingend süchtig.
Welches sind typische Suchtsymptome?
Wenn in Situationen wie zum Beispiel am Essenstisch oder in einer Diskussionsrunde immer das Handy im Vordergrund steht. Oder wenn jemand sehr ungehalten bis aggressiv reagiert, wenn ihm die Möglichkeit fehlt, das Handy zu nutzen. Oder wenn er oder sie in einer Konfliktsituation statt zu reden zum Smartphone greift. Wenn Sie am Morgen im Zug, wenn Sie sowieso mit niemanden reden würden, das Handy nutzen, ist das kein Problem.
Kann es jeden treffen?
Im Grundsatz ja. Handysucht ist heute aber vor allem ein Problem von Jugendlichen. Bei zehn Prozent kann man eine Sucht oder eine Gefährdung feststellen.
Ältere Menschen sind also nicht gefährdet?
Doch, Handysucht gibt es auch bei Älteren. Bei ihnen merkt man es jedoch nicht oder nicht so schnell. Bei Jugendlichen reagieren meist die Eltern – zu ihrem Glück.
Gibt es auslösende Faktoren?
Kinder und Jugendliche, die nicht so geübt sind im Umgang mit anderen, sind gefährdeter als andere. Wir stellen fest, dass Handysucht oft mit ADHS, Sozialphobien oder Autismusspektrumsstörungen einhergeht. Im Kontakt mit dem Handy fühlen sich diese Jugendlichen dann wohler. Das Gefährliche daran ist, dass sie den Umgang mit anderen im realen Leben nicht mehr üben.
Auch in Krisensituationen, in denen Sie Ablehnung erfahren, ist die Smartphonewelt verlockend. Denn hier gibt es keine Konflikte. Wenn in der virtuellen Welt ein Problem auftaucht, ist die Lösung ja genial einfach: Sie klicken es weg.
Wenn sich in der virtuellen Welt Probleme so einfach «lösen» lassen, dann hat das einen Rückkopplungseffekt auf die reale Welt …
Ja, das ist so. Ausdauer und Geduld um ein Problem zu lösen, nehmen ab, die Frustrationstoleranz sinkt. Gefragt sind dagegen zunehmend schnelle Lösungen. In der Politik haben wir prominente Beispiele: Sie zeigen, dass es einfacher ist, eine Twitter-Botschaft abzusetzen und ein neues Thema aufzumachen statt das alte zu klären, wenn es eng wird. (Lesen Sie unten weiter...)
Ihr Ziel ist, selber zu steuern, wann und wozu Sie das Handy nutzen. Und das sollten Sie tun:
Was ist der Unterschied zwischen Online- und Smartphonesucht?
Inzwischen gibt es kaum mehr Unterschiede. Smartphonesucht lässt sich häufig nicht mehr von der Internet- oder Onlinesucht abgrenzen. Wir greifen heute hauptsächlich über das Handy aufs Internet mit den süchtig machenden Angeboten zu. Es ist ein Gerät, dass die Sucht begünstigen kann.
Mit welchen digitalen Süchten sehen Sie sich vor allem konfrontiert?
Wir sehen vier Arten von digitaler Sucht: Computer-Onlinespiele, Social Media, Internet-Pornografie sowie Serien- und Youtube-Konsum.
Können Sie dem Smartphone eigentlich auch Gutes abgewinnen?
Sicher. Das Handy ist eine phantastische, effiziente und sehr nützliche Erfindung. Die beiden Welten können sich bestens ergänzen, beispielsweise wenn Sie in einer Diskussionsrunde einen Sachverhalt checken. Wenn wir es richtig einsetzen, ist es hilfreich und ein Riesengewinn. Aber es birgt Risiken, mit denen wir umgehen lernen müssen.
Was empfehlen Sie da?
Schützen Sie sich vor permanenter Ablenkung, indem Sie das Gerät anders organisieren. Also Pop-ups und Meldungen abschalten oder minimieren. Zudem sollten Sie reale Begebenheiten wie das Gespräch mit Mitmenschen oder den eigenen Kindern höher gewichten. Lassen Sie sich durch das reale Leben vom Handy ablenken und nicht umgekehrt. Füllen Sie Leerzeiten nicht mit Handykonsum auf. Betrachten Sie diese Situationen als geschenkte Zeit und lernen Sie, Momente der Langeweile als Ruheinseln zu schätzen.