Unter fehlender Anerkennung leiden viele Menschen. Dagegen kann jede und jeder selbst etwas tun.
Am Jahresgespräch teilt dir die Vorgesetzte mit, deine ruhige, überlegte Art sei für das Arbeitsteam sehr wertvoll. Der Kollege im Verein fragt dich explizit nach deiner Meinung zu einem wichtigen Thema. Oder eine Freundin vertraut dir ein persönliches Problem an und bedankt sich danach fürs Zuhören. Derartige Erlebnisse geben uns das Gefühl, wahrgenommen, geschätzt und respektiert zu werden.
Dabei handelt es sich nicht nur um ein Nice-to-Have, sondern um ein grundlegendes Bedürfnis. Wenn wir Anerkennung und Wertschätzung erhalten, schüttet unser Gehirn Hormone aus, die das Wohlbefinden steigern – besonders das sogenannte Kuschelhormon Oxytoxin. Es bewirkt, dass wir uns geliebt und aufgehoben fühlen und besser entspannen können. Empfinden wir dagegen während längerer Zeit einen Mangel an Bestätigung und Zuneigung, leiden wir sowohl psychisch als auch körperlich.
Wahre Wertschätzung geht jedoch weit über das schnelle Verteilen von oberflächlichen Komplimenten hinaus. Zwar kann einem im Alltag oft bereits eine kleine Bemerkung wie «du hast tolle Schuhe an» kurzfristig etwas Auftrieb verleihen und das Gefühl geben, gesehen zu werden. Dabei findet aber nur ein kleiner Teil von uns Beachtung. Viel tiefer gehen lobende Worte, wenn sich jemand mit unserer Persönlichkeit oder einer spezifischen Leistung auseinandersetzt und ein überlegtes, differenziertes Feedback abgibt. Derartige Rückmeldungen können auch in der Arbeitswelt bedeutende Produktivitäts- und Motivationstreiber sein, wenn sie authentisch daherkommen und nicht berechnend und antrainiert wirken.
Fehlende Zuwendung und Aufmerksamkeit seien in ihren Beratungen ein Topthema, sagt Franziska Leupi, Psychologin (MSc.) bei WePractice in Basel. Häufig würden ihre Klientinnen und Klienten zwar nicht direkt darauf zu sprechen kommen, doch zwischen den Zeilen sei ihre Not herauszuhören. Die Psychologin führt das Problem unter anderem auf Kindheitserfahrungen zurück: «Wir lernen bereits als Babys, was wir tun müssen, damit die Eltern zu uns kommen oder uns in die Arme nehmen. Diese Strategien funktionieren aber später, in anderen Beziehungen, oft nicht mehr.» Einige Menschen wünschen sich zum Beispiel, dass der Partner ihnen täglich versichert, dass er sie liebt. Ihnen versucht Leupi aufzuzeigen, dass es nicht unbedingt mit mangelnder Liebe zu tun haben muss, wenn er es nicht ausspricht.
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Ein erster Schritt aus dieser Falle heraus setze beim Umgang mit sich selbst an, erklärt Leupi. «Man kann sich auch selbst Wertschätzung geben und sein Selbstwertgefühl aufbauen.» So mache man sich weniger abhängig von den Mitmenschen. Denn wer eine grosse Bedürftigkeit ausstrahle und ständig nach Lob und Komplimenten hasche, halte das Umfeld oft geradezu davon ab, einem das so sehr Gewünschte zu geben.
Um das Selbstwertgefühl zu steigern, ist es zum Beispiel hilfreich, eine Liste zu erstellen mit den eigenen Qualitäten, Begabungen und positiven Eigenschaften. Am besten heftet man sie gut sichtbar an einen privaten Ort, an dem man sich häufig aufhält, und liest sie immer wieder durch. Eine nützliche Angewohnheit ist es auch, sich jeden Abend das Gelungene vor Augen zu führen und sich weniger auf Dinge zu fokussieren, die schiefgegangen sind. Obwohl man sich bei Kritik und Misserfolgen auch selbst hinterfragen sollte, sind allzu zerstörerische Gedanken nicht zielführend – etwa im Stil von: «Typisch, dass das wieder mir passiert. Ich bin einfach ungeschickt.»
Die Arbeit am Selbstkonzept führt häufig zu einer automatischen Aufwärtsspirale. Denn wir signalisieren über unsere Haltung, Mimik, Gestik und Stimme, wie wir über uns selbst denken. Dies wird vom Gegenüber wahrgenommen. Wer anderen mit einem gesunden Selbstbewusstsein entgegentritt – und damit sind jetzt selbstverständlich nicht Überheblichkeit und Arroganz gemeint – stösst deshalb meist auch auf mehr Achtung. Die Mitmenschen trauen uns mehr zu, unterstützen uns eher, werten uns weniger ab oder ignorieren uns weniger. Dies wiederum stärkt die positive Einschätzung unseres Selbst.
Manchmal braucht unser Umfeld aber auch etwas Nachhilfe, um unsere Leistung zu erkennen und zu würdigen. Fühlt man sich zum Beispiel bei der Arbeit zu wenig beachtet, ist es nicht falsch, hin und wieder hervorzuheben, welche Anstrengungen und geschicktes Agieren zu einem gelungenen Ergebnis geführt haben. Sonst kann es passieren, dass Erfolge mit der Zeit als selbstverständlich betrachtet werden.
Wie viel Anerkennung wir benötigen, ist unterschiedlich. Einige haben schon in der Kindheit viel Bestätigung erhalten und konnten daraus ein stabiles Selbstbewusstsein aufbauen. Sie müssen nicht dauernd von anderen hören, wie gut sie sind. Doch was auf den ersten Blick als Vorteil erscheint, hat auch eine Kehrseite: Sehr von sich überzeugte Personen laufen Gefahr, sich zu isolieren und die Entwicklung ihrer sozialen Kompetenzen zu vernachlässigen, weil sie wenig auf die Einschätzung anderer geben. Dagegen kann ein starkes Bedürfnis nach Bestätigung Menschen zu Höchstleistungen motivieren, um sich beliebt zu machen. Dies kann funktionieren, aber auch problematisch sein, weil man sich in eine Abhängigkeit vom Applaus des Umfelds begibt.
Wie wir unsere Mitmenschen sehen, kommunizieren wir zu einem grossen Teil nicht durch Worte, sondern nonverbal. «Durch einen aufmerksamen Blick, Zuhören, Nicken und Zulächeln signalisieren wir Wohlwollen», erklärt Franziska Leupi. Eine empathische Grundhaltung sei lernbar, betont die Psychologin. «Wer seinen Selbstwert kennt, dem fällt es leichter, auch den anderen Wertschätzung entgegenzubringen.»