Sei es ein freundliches Wort zur neuen Frisur oder die Frage, wo man denn die tollen Stiefel herhabe: Über ein aufrichtiges Kompliment freuen wir uns alle. Warum sagen wir es dann nicht öfter, wenn wir etwas gut finden?
Die netten Worte der Sitznachbarin im Tram zum selbstgestrickten Schal, die Bemerkung der Bürokollegin, was man doch immer für leckere Salate aus der Lunchbox zaubere oder die Anerkennung der anderen Ladenkunden, wenn man trotz Kleinkindern an der Migroskasse nicht die Nerven verliert. Ein aufrichtiges Kompliment tut der Seele gut, das wissen wir alle. Trotzdem sagen wir es unseren Mitmenschen längst nicht immer, wenn wir etwas toll finden. Warum eigentlich?
Das haben sich die Sozialpsychologinnen Erica Boothby und Vanessa Bohns auch gefragt. Natürlich sei es theoretisch möglich, dass uns die Gelegenheiten dazu gar nicht auffielen, es uns einfach an Zeit und Lust fehle oder wir uns gar aus Neid mit Komplimenten zurückhielten, schreiben die beiden Forscherinnen in einer aktuellen Studie. Sie glauben jedoch an eine andere Erklärung: In einem Experiment schickten sie deshalb Studentinnen und Studenten mit dem Auftrag aufs Universitätsgelände, einer fremden Person (gleichen Geschlechts) ein Kompliment zu machen. Vorab wurden die Komplimentemacher um eine Einschätzung gebeten, wie gut die Aufmerksamkeit wohl beim Gegenüber ankommen werde. Auch die Empfänger erhielten einen Fragebogen, aber erst nach der Begegnung.
Was sich zeigte: Die Komplimentemacher unterschätzten durchs Band die positive Wirkung ihrer Worte. Viele fürchteten sogar, dass sie die Person stören oder verärgern könnten. Schaute man die Antworten der Empfänger an, ergab sich hingegen ein ganz anderes Bild: Die grosse Mehrheit freute sich über das Kompliment und empfand den Austausch keineswegs als unangenehm.
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Doch selbst diese positiven Reaktionen reichten nicht aus, um die Zweifel der Komplimentemacher zu zerstreuen, stellten Boothby und Bohns fest. Die amerikanischen Sozialwissenschaftlerinnen vermuten, dass dies auch mit den Höflichkeitsnormen zu tun hat, die unser soziales Miteinander bestimmen, gerade wenn man jemanden nicht oder nicht gut kennt. Ob ein Kompliment tatsächlich ankommt oder ob die Person sich einfach aus Anstand dafür bedankt, ist tatsächlich nicht immer klar.
Dass die pessimistische Haltung vor allem daher rührt, glauben Boothby und Bohns trotzdem nicht. In einem weiteren Experiment stellten sie den Komplimentemachern deshalb eine zusätzliche Person zur Seite, die die Begegnung ebenfalls beurteilen sollte. Obwohl auch diese den Empfänger nicht kannte, schätzte sie dessen Reaktion viel positiver und damit akkurater ein. Die Sicht der Komplimentemacher trübt vor allem die eigene Nervosität und die Sorge, dass man sich blöd anstellen und die anderen einen dafür verurteilen könnten.
Sei es im Café, an der Geburtstagsfeier der besten Freundin oder beim Bürodrucker – wir sind ständig in Kontakt mit fremden Menschen. Trotzdem sind soziale Interaktionen erstaunlich oft mit Unsicherheiten und Ängsten verbunden, schreiben die beiden Autorinnen dazu. Wir haben oft das Gefühl, dass andere Menschen grundsätzlich in Ruhe gelassen werden wollen. Wir sorgen uns, ihre Privatsphäre zu verletzen, wenn wir sie ansprechen. Wir fürchten, nicht die richtigen Worte zu finden, obwohl das Gegenüber einem Versprecher meist keinerlei Bedeutung beimisst.
Natürlich gibt es auch den umgekehrten Fall: Menschen, die die Wirkung ihrer Komplimente überschätzen und nicht merken, dass ihre Worte unangemessen und ihren Mitmenschen unangenehm sind. Anzüglichkeiten haben mit aufrichtigen Komplimenten jedoch wenig zu tun. Nur Letztere tragen nämlich zu jenem Gefühl bei, das jeder braucht im Leben: gesehen werden und dazugehören.