Was für einen Einfluss haben die Farbe des Tellers oder das Gewicht des Bestecks darauf, wie gut uns Essen schmeckt? Gastrophysiker Charles Spence erklärt, warum das «Drumherum» viel wichtiger ist, als wir denken.
Ganz klar: Meeresfrüchte in San Sebastian im Jahr 2004. Ich nahm damals zum ersten Mal an der Food-Konferenz «Gastronomika» teil und wurde in einem Schuppen irgendwo auf dem Land von einem Koch mit Michelin-Sternen bekocht. Bis dahin hatte ich als Psychologe vor allem erforscht, wie wir von Tönen beeinflusst werden. Aber nach diesem Essen war für mich klar, dass ich besser esse, wenn ich mit Köchen zusammenarbeite (lacht). Ich habe also begonnen, über das Essen zu forschen.
Der Begriff ist eine Kombination aus Gastronomie und Psychophysik, einem Bereich der Psychologie. Wir erforschen, wie Menschen beim Essen beeinflusst werden. Aber nicht vom Essen selbst, sondern vom Rundherum: Wie das Essen aussieht, wie es serviert wird, wie es klingt.
Ich halte es mit dem berühmten französischen Koch Paul Bocuse, der einmal gesagt haben soll, dass mehr als die Hälfte des Erlebnisses durch alles andere beeinflusst wird, nicht durch das Essen. Ein Beispiel: Wenn Sie Kaffee trinken, denken Sie vielleicht, dass Sie einfach genau das tun, Kaffee trinken. Aber tatsächlich verändert sich der Geschmack des Kaffees, je nachdem, aus welcher Tasse Sie ihn trinken oder welche Farbe die Tasse hat. Er ändert sich auch, wenn auf der anderen Strassenseite eine Baustelle Lärm macht oder – im Gegenteil – Vögel zwitschern. Aber wir nehmen dies nicht bewusst wahr. Das bewies auch unser erstes grosses Experiment, das «Sonic-Chip»-Experiment.
Um knusprige Pommes-Chips. Probanden trugen beim Chipsessen Kopfhörer – die Chips erschienen ihnen knuspriger oder schaler, je nachdem, welche Knuspertöne wir ihnen über Kopfhörer abgespielt haben. Intensivere Knackgeräusche bewirkten, dass die Kartoffelchips in ihrer Wahrnehmung 15 Prozent frischer schmeckten, auch wenn alle aus der genau gleichen Charge stammten. Beim ersten Durchgang des Experiments 2004 nahmen nur 20 Probanden teil, inzwischen haben Tausende Menschen weltweit für uns Chips gegessen.
Alle. Wir stecken uns nie etwas in den Mund, ohne dass unser Gehirn vorher innert einer Hundertstelsekunde entschieden hat, ob es essbar ist und was es sein könnte. Es tut dies, indem die Augen das Essen betrachten, die Nase seinen Geruch interpretiert, die Ohren zu hören versuchen, ob es zischt, weil es heiss ist. Im besten Fall berühren wir das Essen auch mit den Fingern. Diese erste Interpretation geschieht für uns komplett unbewusst, trotzdem haben wir dadurch bereits Erwartungen an das Essen, die das Erlebnis beeinflussen.
Die Geschmackswahrnehmung setzt ein. Der Geschmackssinn, der Geruch, den wir beim Schlucken wahrnehmen, das Mundgefühl, die Textur, das Fett, die Hitze und so weiter. All dies ist aber bereits beeinflusst von den vorher getroffenen Erwartungen. Man kann zum Beispiel die besten Weinexperten der Welt täuschen, indem man Weisswein rosa einfärbt. Sie werden aufgrund ihrer Erwartung Aromen von Rosé wahrnehmen. (Fortsetzung weiter unten…)
Wir führen seit mehr als 12 Jahren Experimente zu Farbe und Form von Tellern durch. Wir haben zum Beispiel ein rosa Erdbeermousse auf einem schwarzen oder einem weissen Teller serviert. Den Probanden schmeckte das Dessert viel besser, wenn es auf einem weissen Teller serviert wurde.
Wir speichern unsere Essenserlebnisse. Eine Suppe zum Beispiel essen wir normalerweise aus einer Schüssel. Bei einer Flüssigkeit in einer Tasse denken wir darum nicht als erstes an eine Suppe. Schwarze Teller werden in Restaurants häufiger für Hauptgänge verwendet, nicht für Desserts. Darum erwarten wir Salziges, wenn wir von schwarzen Tellern essen – und sind bei weissen Tellern zufriedener mit dem Erdbeermousse.
Wie uns gesättigte Farben beeinflussen: Rote oder blaue Teller im Pflegeheim sorgen dafür, dass die Bewohner das Essen besser vom Geschirr unterscheiden können und dadurch mehr essen. Auch empfinden wir Kaffee bis zu 20 Prozent süsser, wenn er in einer rosafarbenen Tasse serviert wird, jedoch erscheint er saurer in einer gelben oder grünen Tasse. Das, weil rosafarbene Lebensmittel in der Regel süss sind, und gelbe oder grüne eher sauer.
Auch die Haptik beeinflusst uns: Raues oder glattes Geschirr lässt das Essen würziger oder fader erscheinen, die Weichheit des Stuhls, auf dem wir sitzen, oder wie weich sich die Serviette anfühlt, hat einen Einfluss darauf, wie sehr wir das Essen mögen – je weicher, desto besser.
Ich denke, es hat damit zu tun, dass der allgemeine Fokus immer noch auf den Lebensmitteln und nicht auf dem «Drumherum» liegt. Warum gibt es Tausende von Studien über die chemische Zusammensetzung von Kaffee, aber nicht viele über die Tassen, in denen er serviert wird? Edelstahlbesteck gibt es schon so lange, dass es einfach zur Gewohnheit geworden ist, damit zu essen. Aber die Dinge ändern sich zum Glück langsam, und wir erfahren immer mehr über den Tastsinn. Wir wissen zum Beispiel, dass schwereres Besteck ein besseres Erlebnis bietet. Auch entwickeln Design-Schulen neue Arten von Besteck. Aber es wird wohl noch eine Weile dauern, bis wir alle damit essen.
Das liegt vor allem am Lärm, nicht am Kabinendruck oder an der trockenen Luft. In einem Flugzeug herrscht ein Hintergrundlärm von 80 bis 85 Dezibel. Dadurch wird unsere Fähigkeit, Süsses und Salziges zu schmecken, unterdrückt. Aber Umami, der fünfte Geschmack, der bei Pilzen, Parmesankäse oder Tomaten vorherrscht, wird verstärkt. (Fortsetzung weiter unten…)
Genau. Man kann sogar Musik hören, die den Geschmack des Essens verstärkt: Hohe Töne verstärken den süssen Geschmack, Musik aus Schottland lässt den schottischen Lachs noch authentischer schmecken.
Nichts regt unser Gehirn mehr an als der Anblick unserer Lieblingsspeise, wenn wir hungrig sind. Egal, ob es sich um echtes Essen oder nur um ein Bild handelt. Tatsächlich wird unser Gehirn durch Foodporn mehr erregt als durch echte Pornografie! In Experimenten, in denen wir Probanden Bilder von beidem gezeigt haben, waren mehr Hirnareale aktiv bei Fotos von Essen.
Ich habe ein Projekt mit dem Mailänder Koch Federico Rottigni, der in seinem Restaurant «Sensorium» ein Dessert serviert, das 40 bis 60 Prozent der Gäste zum Weinen bringt. Mit meinem Team versuche ich gerade zu erforschen, warum das so ist.
Generell gilt: Theatralische und schockierende Elemente bleiben Gästen besser in Erinnerung.