Welche Ernährung passt zu mir? Langsam setzt sich die Erkenntnis durch, dass das auch eine Frage der Genetik ist.
Die Sache mit den Kalorien ist ganz schön verwirrlich. Studiert man Packungsbeilagen, ist von einem täglichen Durchschnittsbedarf von 2000 Kilokalorien zu lesen. Auf der Website der Schweizerischen Gesellschaft für Ernährung SGE hingegen steht, dass der Richtwert für Männer zwischen 25 und 51 «in ausschliesslich sitzender Tätigkeit mit wenig oder keiner anstrengenden Freizeitaktivität», was auf mich leider zutrifft, bei 2300 Kilokalorien liegt.
In Tat und Wahrheit ist beides zu tief. Denn die Körpermasse, ein entscheidender Faktor, wenn es um den Energiebedarf eines Menschen geht, werden in den Empfehlungen nicht berücksichtigt. Da ich mit einer Körperlänge von fast zwei Metern keineswegs dem Durchschnitt entspreche, liegt der Richtwert viel zu tief. Tatsächlich darf ich täglich über 2900 Kilokalorien aufnehmen, um meinen Energiebedarf zu decken.
Das Beispiel illustriert eine Erkenntnis, die sich in jüngster Zeit in den Ernährungswissenschaften durchsetzt: Allgemeine Empfehlungen und Richtwerte greifen zu kurz. Sie sind gut gemeint, aber für den Einzelnen oft nutzlos. Das gilt nicht nur für Kalorienrichtwerte, sondern auch für Empfehlungen, was die mengenmässige Aufnahme von Nährwerten betrifft. (Fortsetzung weiter unten...)
Grösse und Gewicht sind dabei nur ein Faktor, der unser Ernährungsverhalten bestimmt. Auch Alter und Geschlecht spielen eine Rolle und darüber hinaus geschmackliche Vorlieben oder ideologische Überzeugungen. Eine Veganerin kann mit der Empfehlung, dreimal täglich Milchprodukte zu konsumieren, um Zähnen und Knochen ausreichend Kalzium zuzuführen, herzlich wenig anfangen. In Zukunft, so sind sich viele einig, werden wir individualisierte Ernährungsempfehlungen befolgen.
Erst kürzlich wurde in der EU ein Forschungsprojekt mit über 1600 Personen in sieben Ländern abgeschlossen, das Aufschluss darüber geben sollte, ob individuelle Ernährungsempfehlungen besser sind als allgemeine. Das Fazit war eindeutig: Individualisierung macht einen Unterschied. Die personalisiert angeleiteten Probanden ernährten sich gesünder, viele verloren sogar an Gewicht.
Ein noch junges Forschungsgebiet, dem in diesem Zusammenhang eine grosse Zukunft vorausgesagt wird, ist die Nutrigenetik. Denn auch unsere Gene spielen eine Rolle, wenn es um den Bedarf und um die Verwertung von Nährstoffen geht. Wie wichtig diese Rolle ist, wird noch diskutiert. Wer sich im vergangenen September auf der SGE-Fachtagung zu diesem Thema umhörte, kriegte Aussagen zu hören, die von «Personalisierte Ernährung braucht die Genetik nicht» (Hannelore Daniel, Technische Universität München TUM) bis zu «Sechzig bis achtzig Prozent des Übergewichts sind genetisch bedingt» (Daniel Wallerstorfer, Novogenia) reichten.
Die Wahrheit dürfte irgendwo dazwischen liegen. Unbestritten ist, dass unsere Gene nicht nur darüber bestimmen, ob uns braune Haare wachsen und wann sie uns wieder ausfallen, sondern dass sie auch Einfluss darauf haben, ob wir Broccoli mögen oder Milchprodukte vertragen.
«Wir kennen heute etwa hundert Genvarianten, bei denen wir einen direkten Zusammenhang mit unserem Ernährungsverhalten nachweisen konnten», sagt Professor Martin Kohlmeier von der University of North Carolina. «Jetzt gilt es, Lösungen zu entwickeln, die dafür sorgen, dass uns dieses zusätzliche Wissen auch tatsächlich etwas bringt.»
Denn die allgemeine Empfehlung, dass Essen Genuss und Freude bereiten soll, die gilt auch in der Zukunft.