Narzissten sind rücksichtslos, ihr Ego macht anderen das Leben schwer. Wie man solche selbstverliebten Menschen erkennt und sich von ihnen abgrenzt.
Wanderer beim Selfie-Machen abgestürzt: Hinter Meldungen wie dieser steht mehr als ein tragischer Unfall. Das digitale Selbstporträt ist das moderne Symbol des Narzissmus. Und der fordert offenbar bereits Todesopfer.
Kaum eine Diagnose ist so in unsere Sprache eingedrungen wie die Selbstliebe des griechischen Jünglings Narziss, der in sein Spiegelbild vernarrt war. Selbstdarsteller im Internet, Egomanen auf der Chefetage, Rampensäue in Realityshows: Wohin man blickt, überall fühlt man sich von Narzissten umstellt.
Leidet unsere Gesellschaft an einer kollektiven Persönlichkeitsstörung? Nein, sagt Narzissmusexperte Claas-Hinrich Lammers.
«Viele Eigenschaften, die man heute gern narzisstisch nennt, sind durchaus gesund», erklärt der Chefarzt für Psychiatrie am Asklepios-Klinikum Nord in Hamburg. So macht Selbstvertrauen psychisch stabil. Wer die Schuld für einen Misserfolg eher bei anderen sucht, steckt Rückschläge besser weg. Manche mag so ein Verhalten nerven. «Doch nicht jeder, der stört, ist auch gestört», sagt Lammers.
So haben Studien festgestellt, dass Personen, die im Netz viele Fotos von sich veröffentlichen, nicht selbstvernarrter sind als andere.
Doch macht bekanntlich die Dosis das Gift – oder in diesem Fall den psychischen Defekt. Der Übergang zum Krankhaften ist fliessend. Bei Menschen mit einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung wächst sich die Eigenliebe zur Ich-Sucht aus, sie halten sich für grossartig, ohne Grossartiges zu leisten.
Empathie ist ihnen völlig fremd. Die Menschen um den Narzissten herum erfüllen vor allem einen Zweck: ihm zu spiegeln, wie grandios er ist.
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Generell stimmen bei Narzissten Gefühlswelt und Selbstbild nicht überein. Egal ob sie ihr gigantisches Ego ungeniert der Aussenwelt präsentieren oder es verborgen zelebrieren – dahinter stecken verletzte Kinderseelen, die nach Anerkennung hungern. «Narzissmus ist eine Maske», sagt Experte Lammers.
Deshalb kann der Narzisst eines nicht ertragen: Kritik. So leidenschaftlich er andere abwertet, so empfindlich ist er selbst. Sticht jemand in sein aufgeblähtes Ego, platzt er. Der oberflächliche Charme weicht Aggression und Bösartigkeit.
Wer es mit einer stark narzisstischen Person zu tun hat, bekommt das zu spüren. Zum Beispiel am Arbeitsplatz.
Wie kommt man mit solchen Chefs und Kollegen klar? Ein Tipp, wenn man Kritik äussern will: den Narzissten füttern. Und zwar mit Lob und Anerkennung. Dabei kann man gar nicht dick genug auftragen. Und Fehler, die man ansprechen möchte, sollte man als kleine Versehen darstellen.
Wird man trotzdem Opfer eines Wutausbruchs, hilft es, gelassen zu bleiben und sich zu sagen: «Ich bin nicht persönlich gemeint. Er kann nicht anders.» Schliesslich ist die Arroganz eines selbstherrlichen Chefs nur Fassade.
Je grösser die Selbstzweifel, desto grösser das Bedürfnis, andere fertigzumachen. Das generelle Rezept im Umgang mit einem Narzissten heisst: Akzeptanz. Ihn ändern, zur Einsicht bringen, einen Kontakt herstellen – alles sinnlose Versuche.
Fast überflüssig zu erwähnen, dass ein Narzisst nicht der ideale Busenfreund ist. Echte Nähe macht ihm Angst, Beziehungen bleiben oberflächlich – auch weil andere schnell auf Abstand gehen.
Ganz unmöglich ist eine freundschaftliche Beziehung zu einem Narzissten nicht, wie Professor Mitja Back, Psychologe an der Uni Münster, ausführt. Zumindest wenn er nicht stark gestört ist. «Das sind teils interessante, humorvolle Menschen», betont der Experte. Nur sollte man nicht gerade im selben Beruf arbeiten, um Hahnenkämpfe zu vermeiden.
Wichtig ist zudem: von Anfang an klare Grenzen setzen. Sonst saugt der Narzisst einen aus.