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Posttraumatisches Belastungssyndrom: Hilfe für traumatisierte Menschen

Kriege, Folter, Vergewaltigung, Unfälle oder Naturkatastrophen lassen Menschen manchmal über Jahre nicht mehr los. Spezialisierte Therapien helfen Traumatisierten, die schlimmen Ereignisse zu verarbeiten.

Sie schrecken wegen Albträumen aus dem Schlaf hoch, werden im Alltag unvermittelt von Angstzuständen eingeholt und können sich schlecht auf die Arbeit konzentrieren. Wenn Erinnerungen an Erlebnisse wie Kriege, Folter oder sexuelle Übergriffe Menschen über längere Zeit plagen, spricht man von einer Posttraumatischen Belastungsstörung. Häufig treten auch Depressionen und Suizidgedanken auf.

Wann traumatische Erinnerungen hochkommen

Die Beschwerden treten manchmal schon kurz nach dem Ereignis auf, oft aber auch erst mehrere Jahre oder gar Jahrzehnte später. «Bei einem Einschnitt im Leben können plötzlich Erinnerungen hochkommen, die wir lange verdrängt haben», erklärt Jochen Binder, leitender Arzt am Ambulatorium für Traumafolgestörungen der Integrierten Psychiatrie Winterthur – Zürcher Unterland. Ein typischer Fall sei zum Beispiel, wenn eine beruflich erfolgreiche und vielbeschäftigte Person wegen eines gebrochenen Beines zu Hause bleiben muss und viel Zeit zum Nachdenken hat.

Auch das Wiedersehen mit einer Person aus der Vergangenheit kann ein Auslöser sein. In solchen Situationen wird traumatisierten Menschen bewusst, wieso sie zum Beispiel stets Angst vor geschlossenen Türen haben oder in Panik geraten, wenn jemand einen roten Pullover trägt – nämlich weil sie in der Kindheit eingesperrt wurden oder ihnen jemand mit einem roten Pullover Gewalt angetan hat.

Wer von Traumata betroffen ist

Dennoch: Nicht jedes schreckliche Erlebnis führt zwingend zu einem Trauma. «Grundsätzlich ist der Mensch erstaunlich robust», so der Psychiater. «Wir können viel wegstecken.» Eine gefestigte Persönlichkeit, die gut verwurzelt im Leben steht, wird durch einen einzigen schrecklichen Unfall eher nicht komplett aus der Bahn geworfen. Bei einer Person, die bereits viele Belastungen erlebt hat, kann dies jedoch das Fass zum Überlaufen bringen. Einen Unterschied macht auch, ob eine ganze Gruppe betroffen ist – etwa bei einem Erdbeben – und man auf viel Verständnis und Solidarität stösst, oder ob man alleine mit dem Erleben ist. Am häufigsten treten Traumatisierungen auf, wenn eine Person einer anderen gezielt psychischen oder körperlichen Schmerz zufügt – zum Beispiel bei Folterungen.

In der Schweiz sind es meist Menschen mit Migrationshintergrund, die entsprechende Erfahrungen gemacht haben. Bei der hier aufgewachsenen Bevölkerung dagegen liegen die Ursachen für eine Posttraumatische Belastungsstörung öfter im häuslichen Milieu. Häufige Themen sind Gewalt, Vernachlässigung und sexuelle Übergriffe. Letzteres sei vor allem problematisch, wenn der Täter eine vertraute Person ist, die nicht nur böse ist, erklärt Binder. Viele Opfer von sexuellen Übergriffen hätten später Schwierigkeiten, ein zufriedenstellendes Sexualleben zu führen.

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Diagnose: Trauma-Problem wird oft übersehen

Bis vor etwa zehn Jahren seien Traumatisierungen in der Ausbildung von Gesundheitsfachpersonen kaum thematisiert worden, sagt Binder. Deshalb seien wohl auch viele Therapeutinnen und Therapeuten wenig dafür sensibilisiert. Wiederholt hat er erlebt, dass Betroffene jahrelang in Behandlung waren, ohne je konkret nach Traumata gefragt zu werden. «Zudem haben wohl viele Therapierende Angst, etwas auszulösen, das eine ganze Büchse der Pandora öffnen kann.» Wenn dies passiert, ist manchmal tatsächlich ein stationärer Aufenthalt in einer spezialisierten Einrichtung nötig, wo eine enge Betreuung gewährleistet ist. Manche Betroffene erleben Flashbacks, haben Albträume, sind suizidal oder brauchen Distanz zu ihren Angehörigen.

Behandlung von Traumata: wieder Vertrauen fassen

In der Regel können Therapien aber ambulant durchgeführt werden. Dabei kommen verschiedene spezielle Verfahren zum Einsatz, unter anderem die EMDR-Methode (Eye Movement Desensitization and Reprocessing): Während ein Patient wieder an das schlimme Erlebnis denkt, blickt er mit den Augen auf den sich hin- und herbewegenden Finger der Therapeutin. Diese Stimulation unterstützt das Gehirn beim Verarbeiten der belastenden Erfahrungen. Für die Gesprächstherapie ist eine verbale Verständigung unumgänglich. Bei Personen mit Migrationshintergrund müssen deshalb Dolmetschende zugezogen werden.

Im Grundsatz gehe es darum, einen Zugang zum traumatisierenden Erlebnis zu finden und dabei die Angst zu reduzieren, erklärt der Arzt. «Viele Betroffene leben mit dem Gefühl, dass das Schreckliche jederzeit wieder passieren kann. Sie müssen erfahren, dass die Bedrohung vorbei ist und lernen, wieder im Hier und Jetzt zu leben.» Der innere Stress müsse reduziert und das Kontrollgefühl gestärkt werden. Dabei helfen auch körperorientierte Therapien wie etwa Entspannungsübungen oder nonverbale Ausdruckformen wie Kunst- oder Musiktherapie. Diese erlauben einen direkteren Zugang zu den Gefühlen als Gespräche. Hingegen kommen kaum Medikamente zum Einsatz, höchstens manchmal etwas zum Schlafen.

Die Erfolgsaussichten seien relativ gut, sagt Jochen Binder. «Natürlich kann man das Erlebte nicht aus dem Gedächtnis ausradieren.» Meistens erreiche man aber, dass die Betroffenen besser damit zurechtkommen und weniger eingeschränkt sind im Leben. Bei manchen braucht dies einige Monate, bei anderen kann es Jahre dauern.

von Andrea Söldi,

veröffentlicht am 31.05.2022


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