Nach zwei Jahren Pandemie steht nun ein Krieg vor der Tür. Die Waadtländer Psychiaterin Catherine Léchaire erläutert, dass dies die ohnehin schon strapazierte Psyche weiter schwächen kann.
Catherine Léchaire: Kriege lösen starke Emotionen und Ängste aus, weil sie von Menschen verursacht werden und uns daher mit dem Bösen und Unberechenbaren konfrontieren. Die geografische Nähe zur Ukraine bedeutet zudem, dass die Ereignisse viel intensiver und als unmittelbare Bedrohung für unsere eigene Zukunft wahrgenommen werden. Bei Menschen, deren Psyche bereits angeschlagen ist, können sich bereits bestehende Sorgen und Ängste noch verschlimmern. Insbesondere bei Personen, die selbst bereits einen Krieg erlebt haben oder sich noch an die Bedrohung während des Kalten Krieges erinnern. Darüber hinaus ist wissenschaftlich erwiesen, dass unverarbeitete Ängste und Traumata von Generation zu Generation weitergegeben werden.
Solche Vergleiche sind nie angebracht, denn es ist zwecklos, die eigenen Ängste mit denen anderer zu vergleichen. Leid ist nicht objektiv quantifizierbar. Entscheidend ist allein die eigene Erfahrung und das eigene Gefühl – und nicht, was objektiv schlechter ist. Einem Patienten mit einer Angststörung ist nicht geholfen, wenn wir seine Ängste als irrational und übertrieben bewerten. Als Psychiater müssen wir vielmehr versuchen, den Sinn und die Ursachen dieser Ängste zu verstehen, die für die Betroffenen mit enormem Leid verbunden sind.
Dieser Krieg ist in der Tat eine Fortsetzung der Pandemie, die viele Menschen psychisch schwer belastet hat und immer noch belastet. Die Rückkehr zur Normalität bleibt vorerst eine Hoffnung. Diejenigen, die bereits unter Angststörungen leiden, sind sicherlich stärker gefährdet, durch diesen Krieg noch tiefer in diese Spirale der Angst zu geraten.
Die Therapierichtung an sich ist weniger wichtig als die Qualität der therapeutischen Beziehung. Wenn sich der Patient in der therapeutischen Beziehung sicher fühlt, kann er offener über seine Ängste sprechen. Der Therapeut oder das Umfeld kann ihn begleiten, damit er zum Beispiel seinen Medienkonsum besser dosieren kann und nach Möglichkeit mit anderen über seine Gefühle der Hilflosigkeit und Entmutigung spricht, anstatt darüber nachzudenken und so die Ängste weiter zu verstärken.
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Es ist sicherlich nicht sinnvoll, die Nachrichten live zu verfolgen. Die Gefühle der Angst und Hilflosigkeit verstärken sich, wenn man ständig mit Leid konfrontiert wird. Ausserdem fördert ein solcher Informationsfluss das Grübeln und Nachdenken über Katastrophenszenarien, und zwar möglicherweise bei allen Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen. Sich von den Nachrichten abzuschotten, ist jedoch keine gute langfristige Lösung. Es ist wichtig, seine Erfahrungen angesichts der aktuellen Ereignisse zu teilen und sich regelmässig über zuverlässige Informationsquellen zu informieren, aber nicht ständig.
Sich auf diese Weise einzubringen, ist sicherlich nützlich, denn es kann ein wenig gegen das Gefühl der Ohnmacht helfen und ein Gefühl der Solidarität schaffen – im Gegensatz zum passiven Nachrichtenkonsum.