Zwei Jahre Corona und kein Ende in Sicht. Ein Grossteil der Bevölkerung hat sich recht gut mit der Situation arrangiert. Doch gewisse Gruppen reagieren zunehmend mit psychischen Problemen, wie eine Psychotherapeutin erzählt.
Jutta Stahl: Nach zwei Jahren ist generell eine grosse Müdigkeit festzustellen. Niemand hat damit gerechnet, dass das so lange dauert. Die Pandemie führt uns vor Augen, dass nichts sicher ist, dass wir auch in unserem politisch stabilen Land und trotz moderner Technologie nicht alles unter Kontrolle haben.
Der Grossteil der Bevölkerung kommt relativ gut mit der Situation zurecht und zeigt sich sehr solidarisch. Manche fühlen sich etwas gestresst, ängstlich oder belastet, doch das sind normale Reaktionen. Gewisse Gruppen leiden jedoch verstärkt unter psychischen Problemen.
Natürlich zuerst einmal an die Menschen, die selber schwer an Corona erkrankt sind sowie deren Angehörige. Weiter sind da die Jugendlichen, älteren Menschen und Angehörigen von Risikogruppen, die jetzt vermehrt unter Einsamkeit leiden. Auch psychisch vorbelastete Personen haben es schwer. Und besonders betroffen ist das Gesundheitspersonal. Mit letzteren beiden Gruppen habe ich es als Therapeutin häufig zu tun.
Die Gespräche mit diesen direkt betroffenen Menschen berühren mich sehr. Kürzlich habe ich eine sehr engagierte Pflegefachfrau begleitet, die auf einer Intensivstation arbeitet. Sie hat mir erzählt, wie ihr die Corona-Patientinnen und -Patienten unter den Händen wegsterben und wie sehr ihr das zusetzt. Gleichzeitig belastet es sie sehr, dass diverse ihrer Bekannten vehement gegen das Impfen sind. Angesichts dessen, was sie täglich im Spital erlebt, findet sie es sehr schwierig, mit diesen Menschen weiterhin eine freundschaftliche Beziehung zu pflegen.
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Ja, besonders Angehörige von Risikogruppen sind in einem Clinch: Wenn sich ihre Bekannten und Familienangehörigen nicht impfen lassen oder keine Maske tragen, befürchten sie eine Ansteckung. Distanzieren sie sich, gelten sie schnell als überängstlich und unsozial.
Schwierig ist es beispielsweise für Menschen mit Depressionen und Angststörungen. Während des Lockdowns und der Homeoffice-Zeit fühlten sich einige zwar zuerst einmal entlastet, weil sie nun einen guten Grund hatten, nicht mehr unter die Leute zu gehen und ihrem krankheitsbedingten Bedürfnis nach Rückzug nachzugeben. Doch langfristig wirkt sich die Einschränkung der sozialen Kontakte fatal auf diese labilen Menschen aus. Es verstärkt ihre Symptome wie etwa mangelhaftes Selbstwertgefühl, Antriebslosigkeit sowie Ängste vor der Welt «da draussen». Eine Ausnahme bilden Menschen mit Autismus-Spektrum-Störungen: Sie profitieren von der Möglichkeit, online zu arbeiten oder zu studieren. Einige kommen sogar mit weniger angstlösenden Medikamenten aus.
Eben erst hatten viele von uns allmählich wieder zurück ins Büro gefunden. Und nun steht erneut Homeoffice an und Veranstaltungen werden wieder reihenweise abgesagt. In dieser Pandemie wird uns viel Geduld abverlangt. Diese Strategien helfen Ihnen, nochmals eine Runde durchzuhalten:
Das mag für psychisch gesunde Menschen mit einem stabilen Beziehungsumfeld stimmen. Viele von uns haben verblüffend gute Strategien entwickelt, um das Beste aus der Situation zu machen. Der Wegfall des Pendelns wegen Homeoffice und die Gemütlichkeit der eigenen vier Wände haben vielen sogar gut getan. Sie hatten weniger Stress und mehr Zeit für die Familie.
Ja, diese Menschen fühlen sich noch stärker isoliert als vorher. Für einige sind die Begegnungen an der Arbeit die einzigen sozialen Kontakte. Als diese wegfielen und auch organisierte Freizeitaktivitäten nicht stattfanden, fehlte ihnen eine regelmässige Tages- und Wochenstruktur. Ein solcher Rhythmus vermittelt eine gewisse Orientierung und ein Gefühl von Sicherheit, was für psychisch labile Menschen besonders wichtig ist. Einige haben aber auch bei den Massnahmen-Gegnern Halt gefunden.
Die Einschränkungen werden als Aufhänger benutzt, um eine grundsätzliche Unzufriedenheit auszudrücken. Oft steckt dahinter das Gefühl, zu wenig ernst- oder wahrgenommen zu werden. Nun hat man endlich einen handfesten Grund, sich aufzuregen und man kann andere für seine Frustration verantwortlich machen. Einige leben dabei sogar richtiggehend auf: Sie haben Gleichgesinnte gefunden und fühlen sich moralisch überlegen.
Einige Patientinnen und Patienten erreiche ich leider nicht mehr. Doch auch in der Öffentlichkeit begegnen mir natürlich Menschen, welche die Corona-Massnahmen teilweise nicht mittragen. Auch wenn es mir nicht immer leichtfällt: Ich versuche, die Ängste dahinter zu sehen und Verständnis zu haben. Solche Menschen abzulehnen, vertieft die Gräben zwischen den verschiedenen Lagern zusätzlich. Die zunehmende Spaltung der Gesellschaft macht mir grosse Sorgen, denn eine Verhärtung der Fronten macht alles nur noch schlimmer. In einer Zeit wie dieser braucht es Solidarität, keine feindseligen Grabenkämpfe.