Rhein, Aare, Rhône – das sind die drei längsten Flüsse von insgesamt 1500 Seen und Flussläufen in der Schweiz. Auch kleinere Flüsse haben ihren Reiz. Wir haben sieben entspannende Wanderungen entlang des Wassers zusammengestellt.
375 Kilometer. Länger als der Rhein ist kein anderer Fluss der Schweiz. Wie ein mächtiges blaues Band zieht er sich durch den Osten des Landes, zusammen mit seinen Zuflüssen entwässert er 80 Prozent der Schweiz. Einen Superlativ hat auch die Thur zu bieten: Dort, wo sie in den Rhein fliesst, bildet sie mit den Thurauen das grösste Auengebiet des Mittellands. Seinen Mündungsbereich darf der Fluss seit 2017 frei gestalten – mit Inseln, Sandbänken, Seitenarmen und Überflutungen. Und er hat in der kurzen Zeit eine beeindruckende Landschaft geschaffen, in der Eisvogel, Biber, Pirol und Flussregenpfeifer zu Hause sind und man sich als Mensch bisweilen in den Amazonas versetzt fühlt. Auf einer Wanderung zwischen Flaach und Rheinau im Nordosten des Kantons Zürich lernt man beide kennen – die Thurauen und der Rhein. Mit einem Abstecher zum Thurspitz steht man gar mitten im Mündungsgebiet der beiden Flüsse – und ist rundherum von Wasser umgeben.
Schaukelt man über die Hängebrücke, welche die Sense im Berner Sensegraben überspannt, und blickt die Schlucht aufwärts und wieder abwärts, ahnt man es: Man ist bei einem speziellen Fluss zu Besuch. Hohe Felswände begrenzen den breiten Graben, dichte Laubwälder mit uralten Bäumen säumen dessen Rand. Dazwischen zieht der Fluss seine Schlaufen und bildet Inseln, Sandbänke, Stufen und gar kleine Sandstrände. Die Sense, welche auf weite Strecken die Kantonsgrenze zwischen Bern und Fribourg bildet, ist weitgehend unverbaut und gehört zu den natürlichsten Flüssen der Schweiz. Unterhalb der besagten Hängebrücke nimmt die Sense eine zweite Gewässerperle auf: das Schwarzwasser. Auch dieser Fluss formt eine eindrückliche Schlucht und darf seiner Gestaltungskraft freien Lauf lassen. Wo sich die beiden unter der imposanten Schwarzwasserbrücke vereinen, haben sie eine Urlandschaft geschaffen, die an schönen Tagen von unzähligen Menschen besucht wird. Dann wird gebadet, Feuer gemacht, gelacht und gefeiert – was zu den verspielten Flüssen passt.
Die vielen bunten Punkte gehören zur Reuss zwischen Bremgarten und Mellingen. Lautlos gleiten sie über das tiefblaue Wasser, nur ab und zu vernimmt man ein Gemurmel oder ein Lachen. Auf ihrer Reise durch den Aargau gestaltet die Reuss einen der schönsten Flussabschnitte des Schweizer Mittellands: Natürliche Uferlandschaften mit grossen Bäumen und lauschigen Sandbuchten, kleine Inseln, Abschnitte mit Stromschnellen und solche mit ruhigem Flachwasser. Kajaks, Kanus und Gummibote tummeln sich hier zuhauf, ab und zu wagt jemand den Sprung ins kühle Nass. Vom Uferweg aus kann man ihnen zuwinken, den vielen bunten Punkten. Und dieser Weg ist nicht minder eindrücklich. Fast immer direkt am Wasser verläuft er und lässt einen eintauchen in die malerische Landschaft. Ein Wald, der sich selbst überlassen wird, und ein ehemaliges Kloster leisten Gesellschaft. Hat man Glück, entdeckt man Biberspuren oder den Eisvogel. Der fliegende Diamant mit seinem bunten Federkleid sitzt gerne auf Ästen knapp über dem Wasser und hält nach Fischen Ausschau.
Emme. Gemeinhin verbindet man mit der Emme den Fluss, der durchs bernische Emmental fliesst und irgendwo im Mittelland in die Aare mündet. Doch Emmentals Nachbarn, die luzernischen Entlebucher, haben auch eine Emme. Sie heisst Kleine Emme, entspringt am Brienzer Rothorn bei Sörenberg, heisst zu Beginn Waldemme und mündet bei Emmen in die Reuss. «Klein» ist dabei nicht gleichzusetzen mit unbedeutend. Mit 60 Kilometern ist sie der längste Fluss des Kantons Luzern, und ihre Hochwasser sind gefürchtet. Nach den Unwettern von 2005 richtete die Kleine Emme Schäden von über 300 Millionen Franken an. An schönen Tagen indes zeigt sie sich friedlich und nahbar, besonders zwischen Entlebuch und Wolhusen, ihrem urwüchsigsten Abschnitt. Ein Auengebiet von nationaler Bedeutung findet man hier. Die Übergangszone zwischen Wasser und Festland beim Emmenmätteli wird regelmässig überschwemmt und umgestaltet. Die wechselnden Lebensräume bieten einer Vielzahl von Tieren und Pflanzen Heimat. Der Fluss selber präsentiert sich mal ruhig fliessend, mal wild aufschäumend. Das Ufer verzückt mit urigen Wäldern, durch die sich der Wanderweg schlängelt.
Sprengstoff und Streichhölzer haben wenig miteinander zu tun. Oder etwa doch? Beide benötigen als Ausgangssubstanz Kaliumchlorat, und dieses wurde am Saut du Day hergestellt, dem eindrücklichen, 70 Meter hohen Wasserfall an der Orbe im Waadtländer Jura. Der Wildfluss lieferte Strom für die Produktion des Kaliumchlorats, die Fabrik brachte 80 Jahre lang Arbeit und Wohlstand ins entlegene Tal. 1972 war Schluss. Das Werk erlitt Konkurs, die Anlagen wurden gesprengt. Übrig geblieben ist der Tunnel unter dem Saut du Day, er ist bis heute zugänglich. Der Wanderweg durch die spektakuläre Schluchtenlandschaft, welche die Orbe unterhalb des Dörfchens Le Day geformt hat, führt unter dem Fall durch. Ein erster Höhepunkt auf dem Weg ins mittelalterliche Städtchen Orbe, dem weitere folgen: Die abenteuerliche Wegführung durch die Felsen etwa, die Stromschnellen und Becken, die der Fluss formt, und die wilden Wälder, in denen auch Gämsen zu Hause sind.
Nach Genf hört die Schweiz auf. Das stimmt – doch zwischen der Stadt und der Landesgrenze bei La Plaine breitet sich noch eine Landschaft aus, die mit ihrer Naturnähe, Weite und Wildheit überrascht. Geprägt wird der südwestlichste Zipfel des Landes von der Rhone, die hier als stattlicher Fluss daherkommt. Auf 27 Kilometern Länge schlängelt sie sich durch den Kanton Genf, bildet Schlaufen, grosse Sandbänke und versteckte Buchten, sie nährt Wälder und Auenlandschaften von einzigartiger Schönheit und bietet einer Vielzahl von Wasservögeln Schutz und Nahrung. Es ist ein grüner Dschungel, in den man als Wanderer und Wanderin eintaucht und sich wohlfühlt darin – mal direkt am Wasser, mal auf hübschen Wegen durch urtümliche Wälder oder weite Parkanlagen. Doch das andere Genf, der Verkehr, die grossen Wohnsiedlungen und imposanten Fabrikanlagen, sind nah. Und so ist eine Rhonewanderung ein Spiel zwischen Natur und Zivilisation. Eines, das die Reise ans äusserste Ende der Schweiz mehr als lohnt.
Er gehört zu den Grossen, und doch ist er hierzulande wenig bekannt: der Doubs. Fast seine ganze Reise von 450 Kilometern Länge führt durch Frankreich, einzig zwischen Les Brenets und St-Ursanne kommt er für ein kurzes Gastspiel in die Schweiz. Sein Bett hat er tief eingegraben in die urtümliche Juralandschaft und eine Schlucht geschaffen, die von steilen, mit dichten Wäldern überzogenen Hängen begrenzt ist. Für Strassen und Siedlungen hat es wenig Platz, für einen Wanderweg dem Fluss entlang schon. Vier Tage lang kann man dem Doubs folgen und eintauchen in eine Welt, die einen die Zivilisation vergessen lässt. Wasseramsel und Eisvogel leisten Gesellschaft, und im dunkeln Wasser eigentlich auch der seltenste Fisch der Schweiz, der Roi du Doubs. Doch so schön der Fluss auch daherkommt – seine Wasserqualität ist schlecht. Kläranlagen, Landwirtschaft und Stromproduktion setzen ihm zu. Ein Aktionsplan für einen lebendigen Doubs läuft. Man drückt dem Roi du Doubs die Daumen, dass die Massnahmen greifen und der seltene Fisch überlebt.