Juckreiz, roter Ausschlag und Hautschwellung – eine Nesselsucht kann plötzlich auftreten und extrem lästig sein. Bevor man sein Leben deswegen auf den Kopf stellt, sollte man sich ärztlich abklären lassen. Oft gibt es keinen klaren Grund für die Hautkrankheit, wohl aber eine Behandlung.
Die Hautkrankheit Nesselsucht ist auch unter dem Namen Nesselfieber bekannt. Sie hat jedoch nichts mit einer Suchterkrankung zu tun und in der Regel haben Betroffene auch kein Fieber. Der Name stammt vielmehr von der Brennnessel (lateinisch urtica), worauf auch der medizinische Begriff Urtikaria hindeutet. Denn die feinen Härchen auf den Blättern dieser Pflanze geben beim Berühren einen Stoff frei, der dem Histamin ähnlich ist. Histamin ist ein körpereigener Signalstoff, der unter anderem zu Juckreiz und Erweiterung der Blutgefässe führt und auch bei entzündlichen Prozessen vermehrt freigesetzt wird.
Es handelt sich um einen Hautausschlag mit geröteten, juckenden Quaddeln an bestimmten Körperstellen oder grossflächig. Oft ist auch der ganze Körper betroffen. Quaddeln sind kleine Schwellungen und Erhebungen auf der Haut, wie Mückenstiche. Im Unterschied zu Blasen sind sie nicht mit Flüssigkeit gefüllt und auch nicht mit Eiter, wie das bei Pusteln der Fall ist. Die einzelne Quaddel erscheint während höchstens 24 Stunden am selben Ort. Bleibt sie länger bestehen, handelt es sich nicht um eine Urtikaria, sondern eine andere Hautkrankheit.
Treten die Quaddeln tiefer in der Haut auf, spricht man von einem Angioödem. Besonders stark störend ist ein Angioödem an den Lippen oder anderen Gesichtsstellen, an Händen und Füssen, Genitalien oder an der Mundschleimhaut, da das Gewebe hier lockerer ist als in anderen Körperregionen.
Der Hautausschlag entsteht, weil bestimmte Immunzellen – sogenannte Mastzellen – entzündungsfördernde Botenstoffe ausschütten, vorwiegend Histamin. Dieser Stoff bewirkt, dass sich die Blutgefässe erweitern, durchlässig werden und somit auch Flüssigkeit ins Gewebe austritt. Zudem reizt Histamin freie Nervenendungen in der Haut. So kommt es zu Juckreiz, Schwellungen und Rötung.
In der Regel passiert dies als Reaktion auf einen äusseren physikalischen Reiz oder ein Allergen. Aber auch ohne klare Ursache, etwa bei gestresstem Immunsystem wegen einer Infektion.
Es gibt viele mögliche Auslöser. Der Hautausschlag kann eine Reaktion auf den Kontakt mit möglichen Allergenen sein, zum Beispiel Kosmetika, Chemikalien, Textilien, bestimmte Nahrungsmittel, Pollen, Tierhaare oder Medikamente. Auch Kälte oder Wärme, Druck oder anhaltende Vibration – zum Beispiel beim Arbeiten mit einer Schlagbohrmaschine – kommen als Auslöser in Frage. Bei einem physikalischen Reiz spricht man von einer spezifischen Urtikaria. Eine weitere Form ist die Urtikaria factitia, die sich beim Kratzen, Scheuern, Reiben oder Ritzen der Haut bildet. Dem Grund für den Ausschlag auf die Spur zu kommen, ist oft schwierig. In den allermeisten Fällen ist kein spezifischer Auslöser erkennbar. Man spricht dann von einer spontanen Urtikaria.
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Es handelt sich um eine sehr häufige Hautkrankheit. Schätzungen zufolge ist etwa jede vierte Person mindestens einmal im Leben betroffen, besonders im Kindesalter. „Während der Covid-19-Pandemie sind die Fälle stark angestiegen“, sagt Oliver Fuchs, Chefarzt der Allergologie am Luzerner Kantonsspital. Dies habe wahrscheinlich damit zu tun, dass das Immunsystem vieler Menschen gestresst und alarmiert gewesen sei, aber auch mit dem verbreiteten psychischen Stress in dieser Zeit. Dann brauche es manchmal nur einen geringen zusätzlichen Auslöser, der unter anderen Umständen keine entsprechenden Folgen hätte.
Die einzelnen Quaddeln klingen bereits nach wenigen Stunden wieder ab, spätestens nach 24 Stunden. Sie können aber immer wieder neu auftreten und der gesamte Ausschlag kann über mehrere Monate anhalten. Man spricht von einer akuten Nesselsucht, wenn sie unbehandelt weniger als sechs Wochen dauert. Länger bestehende, immer wieder auftretende Ausschläge werden als chronisch bezeichnet. Sie können kontinuierlich auftreten oder mit Pausen dazwischen.
Gut zu wissen: Nesselsucht ist nicht ansteckend. Nesselsucht ist auch nicht lebensbedrohlich und zieht langfristig keine schädlichen Folgen nach sich. Trotzdem könne die Lebensqualität stark beeinträchtigt sein, sagt Oliver Fuchs. „Der Juckreiz kann vor allem nachts im warmen Bett so stark sein, dass man nicht schlafen kann.“ Tagsüber seien Betroffene deswegen oft fertig. Treten die Quaddeln an sichtbaren Hautstellen auf, schämen sie sich teilweise und meiden die Öffentlichkeit. Oliver Fuchs hatte schon mit Patienten zu tun, die deswegen Suizidgedanken entwickelten, oder mehrere Jobwechsel hinter sich hatten, weil sie glaubten, der Auslöser für die Krankheit komme am Arbeitsplatz vor.
Die Behandlung erfolgt in der Regel mit antiallergischen Medikamenten (Antihistaminika), teilweise in hohen Dosen. Die meisten Betroffenen sprechen gut darauf an. Werden die Tabletten genügend lange eingenommen, bleibt der Ausschlag nach dem Absetzen meist weg. Ansonsten kommen in seltenen Fällen sogenannte Biologika zum Einsatz. Dabei handelt es sich um Medikamente, die mit einem gentechnischen Verfahren aus menschlichen oder tierischen Zellen hergestellt werden. Wichtig ist auch, möglichen Auslösern oder Verstärkern der Nesselsucht auf die Spur zu kommen.
Mit einem Hauttest wird festgestellt, ob es sich um eine Allergie handelt. Dabei werden verschiedene häufige Allergene – etwa Pollen oder Lebensmittelstoffe wie Erdnuss-Extrakt – mit einem sogenannten Prick-Test auf die Haut gegeben. Bildet sich eine Quaddel, ist das ein Hinweis für eine Sensibilität. Wie relevant sie ist, muss weiter abgeklärt werden.
Nesselsucht ist aber oft nicht allergisch bedingt. Mit einer ausführlichen Befragung über die Lebensgewohnheiten versuchen Ärztinnen und Ärzte, den Auslöser zu finden, aber auch vermeintliche Auslöser zu enttarnen. Denn viele Betroffene würden in ihrer Verzweiflung falsche Rückschlüsse ziehen, erklärt Allergologe Oliver Fuchs. „Zum Beispiel halten sie ein bestimmtes Lebensmittel für den Auslöser, weil der Ausschlag unmittelbar nach dem Verzehr auftrat." Das könne aber Zufall sein. Viele Betroffene hätten ihre Lebensgewohnheiten und den Ernährungsplan bereits stark eingeschränkt, beobachtet der Arzt. „Dann ist das Ziel eine Normalisierung des Alltags.“