Man hat sie oder man hat sie nicht: Intelligenz ist genetisch bedingt. Trotzdem spielen auch Fleiss, Herkunft und das Elternhaus eine entscheidende Rolle – und das nicht immer im positiven Sinne, wie Intelligenzforscherin Elsbeth Stern im Interview ausführt.
Wenn Sie meinen IQ wissen wollen, den sage ich nicht.
Weil ich der Meinung bin, dass es private Dinge gibt, die man nicht allen erzählen muss. Dazu gehören zum Beispiel mein Gewicht, meine finanziellen Verhältnisse, meine Beziehungen – oder eben mein IQ.
Ja, meinen ersten Intelligenztest habe ich 1977 gemacht, als ich angefangen habe, Psychologie zu studieren. Ich war mit dem Resultat ganz zufrieden.
Auf jeden Fall! Von Intelligenz kann man nie genug haben.
Dass man Aufgaben effizient lösen und sich mit bestehendem Wissen neue Dinge selbst erschliessen kann.
Das ist stark genetisch bedingt. Die Gene schaffen die Voraussetzung, wie sich unser Gehirn entwickelt und wie wir Informationen verarbeiten.
Im Grunde ist es wie beim Aussehen: Ob man jetzt mehr oder weniger hübsch ist, eher schlank ist oder zu Übergewicht neigt, all das ist vorbestimmt. So ist auch der IQ in erster Linie Glückssache. Aber natürlich brauchen wir auch ein Umfeld, in dem wir unser genetisches Potenzial entfalten können.
Wenn ein Kind zum Beispiel gute Voraussetzungen hätte, die Mutter aber in der Schwangerschaft Alkohol trinkt, schadet das der Intelligenz. Dann spielt die Herkunft eine Rolle: In Skandinavien werden Kinder in der Schule sehr früh gefördert und so familiäre Unterschiede ausgeglichen. Es entscheidet also die Intelligenz, wer es wie weit bringt. Anders in den USA: Dort kommt es vielmehr auf den sozialen Status an und darauf, welche Schule man besucht. Die Intelligenz selbst spielt eine geringere Rolle. Die Genvariationen einer Person geben also den Rahmen vor, aber das Umfeld bestimmt, was daraus wird.
Eltern mit viel Geld können heute viel kompensieren. Wenn wohlhabende Eltern englischsprachige Nannys einstellen, lernen ihre Kinder von klein auf, sehr gut Englisch zu sprechen. Im Gymnasium können sie damit später schlechte Leistungen in anderen Fächern kompensieren, wie etwa in Mathematik. Es setzt sich also nicht mehr nur Intelligenz durch, das sehe ich als grosses Problem.
Alles Anspruchsvolle muss mühsam gelernt werden. Intelligenz ist also im besten Fall ein Rohdiamant, der geschliffen werden muss. Aber wenn zwei Menschen mit unterschiedlicher Intelligenz dasselbe Lernziel haben, erreicht es der Intelligentere schneller und mit weniger Aufwand. Mit Fleiss allein kann man es aber in vielen Bereichen weit bringen. Um theoretischer Physiker zu werden, reicht Fleiss allein aber nicht.
Intelligenz ist weitgehend unabhängig vom Inhalt. Subjektiv hat man aber das Gefühl, dass einem entweder Sprachen oder Mathematik besser liegen. Das hängt stark von den Noten ab.
Nein. Schulnoten sind zwar nicht ganz unabhängig von Intelligenz, es gibt aber auch sehr intelligente Menschen, die in der Schule schlecht sind und umgekehrt.
Wenn es um das Potenzial einer Person geht: definitiv. Trotzdem bin ich dagegen, dass man statt auf Schulnoten auf IQ-Tests setzt. Denn letzten Endes müssen Kinder rechnen, lesen und schreiben können, um auf dem Gymnasium zu bestehen. Zudem lassen sich auch IQ-Tests trainieren und Eltern, die ihre Kinder heute in Lernstudios stecken, würden sie dann einfach zum Psychologen schicken.
Ja, wenn ein Kind zum Beispiel seine Intelligenz nicht ausspielt, weil es die Landessprache nicht beherrscht. Oder wenn sich Eltern und Lehrer uneinig sind, welches Potenzial ein Kind hat. Da kann ein IQ-Test helfen und zeigen, welche Unterstützung das Kind braucht. Dazu muss man allerdings sagen, dass sich der IQ erst mit etwa 10 bis 12 Jahren stabilisiert.
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Das sollte man nicht unterschätzen. Wenn jemand einen Beruf ausübt, für den er nicht die nötige Intelligenz hat, wird er oder sie unglücklich. Er schadet zudem der Gesellschaft, wenn er seiner Funktion nicht gerecht werden kann. Nehmen in einer Gesellschaft viele Leute mit mangelnder geistiger Flexibilität wichtige Positionen ein, bewegt sie sich bestenfalls Richtung Mittelmass.
Dafür gibt es gute Belege, ja. Doch sie müssen es in die richtigen Ausbildungsgänge schaffen. Wer als Arzt oder Anwältin erfolgreich sein will, muss erst Medizin oder Jus studieren. Deshalb ist es wichtig, dass man von Anfang an gut schaut, wer ins Gymnasium kommt.
Unser durchlässiges Bildungssystem hat viele Vorteile. Es führt aber auch dazu, dass Kinder, die eigentlich das Potenzial für ein Studium hätten, erst mal eine Berufsausbildung machen, weil sie ja später noch ein Studium anhängen können. Aber wer mit 25 Jahren seinen Job künden und eine Matura nachholen will, braucht nicht nur viel Disziplin, sondern muss auch finanziell gut abgesichert sein. Das können sich nicht alle leisten.
Ich glaube, das Vorurteil rührt daher, dass man denkt, intelligente Menschen müssen ja auch ihre Probleme haben. Tatsächlich ist es aber genau umgekehrt: Intelligente Menschen können im Durchschnitt ihre Emotionen besser kontrollieren, schwierige Situationen besser meistern und sind allgemein glücklicher.
Ja, ausser man kann sein Potenzial nicht ausschöpfen. Wer ständig denkt, alles dreimal so gut zu können wie seine Vorgesetzten, ist irgendwann frustriert. Intelligente Menschen haben grundsätzlich die Wahl: Sie können entweder mit wenig Aufwand einer einfacheren Tätigkeit nachgehen oder sich anstrengen und in anspruchsvolle Gebiete vordringen. Einen Nachteil haben sie allerdings: Sie tragen mit höherer Wahrscheinlichkeit eine Brille, warum, ist allerdings unklar.