Warum müssen sich Wanderfans in Graubünden viel mehr anstrengen als anderswo, um die angegebenen Wegzeiten einzuhalten? Wie wird eigentlich die Wanderzeit berechnet? Wer hat das Wandern «erfunden»? Antworten auf 10 brennende Fragen.
80 Prozent der Schweizerinnen und Schweizer und 50 Prozent der in der Schweiz lebenden Menschen sind regelmässig auf Wanderwegen unterwegs. Sie unternehmen rund 20 Wanderungen pro Jahr, die im Schnitt drei Stunden dauern. Alle in der Schweiz wohnhaften Menschen wandern 160 Mio. Stunden pro Jahr. Zeit für einige Fakten rund ums Wandern.
Der Kantönligeist floriert(e) auch bei den Wanderwegen. Die kantonalen Wanderweg-Sektionen rechneten je nach Kanton mit unterschiedlichen Wandergeschwindigkeiten. Dazu kam nach Gusto eine Reservezeit, damit auch wirklich alle Wanderer die letzte Gondel oder das Postauto erwischten. Andere Vereine liessen verschiedene Wanderinnen und Wanderer losmarschieren und verwendeten deren Durchschnittszeit. Die Bündner schickten oft «topfitte Bergsteiger» los. Dadurch wurden sie «die schnellsten» und zehren auch heute noch von diesem Image.
Die Wanderzeit wird heute mit einer mathematischen Formel berechnet, die in ihrer Perfektion nur in der Schweiz entstehen konnte. Sie bezieht die Horizontaldistanz, die Höhendifferenz und die Steigung auf komplexe Art in die Berechnung mit ein. Seit 2006 ist sie schweizweiter Standard. Bis 2026 sollten die Zeitangaben auf allen Wegweisern darauf beruhen, so Patricia Cornali, Medienverantwortliche des Verbands Schweizer Wanderwege.
Ein Lehrer aus der Ostschweiz, den es störte, mit seiner Klasse durch Auto-Abgaswolken über den Klausenpass zu wandern. Er ergriff die Initiative, schöne Wanderstrecken zu beschildern. Daraus entstanden 1934 die Schweizer Wanderwege und die 26 kantonalen Wanderweg-Organisationen. Verbindendes Element war die einheitliche Signalisation von Wegstrecken mit gelben Wegweisern. Sie weisen auch heute noch den Weg über Stock und Stein. Mit Begeisterung legten damals die Verantwortlichen los, suchten in ihren Kantonen entspannende Routen für Wanderwege und stellten Schilder auf. Diese mussten allerdings während des 2. Weltkriegs wieder abmontiert werden, denn man wollte einem allfälligen Invasor keine Informationen über mögliche Marschrouten geben.
65'000 Kilometer. Wer alle unter die Füsse nimmt, könnte ebenso gut die Welt eineinhalb Mal umrunden. Zum Vergleich: In der Schweiz gibt es 71 400 Kilometer Strassen und 5 100 Kilometer Schienen. Von den Wanderwegen sind 64 % Wege (gelb markiert), 35 % Bergwanderwege (weiss-rot-weiss markiert) und 1 % Alpinwanderwege (weiss-blau-weiss). Rund 50'000 Wegweiser liefern Wanderern Informationen über die Wegkategorie, das Ziel und oft Zeitangaben der Routen. Zählt man alle Markierungen dazu – Metallschilder ohne Zeitangabe, Farbmarkierungen und Kleber –, kommt man gar auf 250'000 Wander-Markierungen. (Lies unten weiter...)
Die Sache mit der Farbe nahm man sicher nicht auf die leichte Schulter. Am Gründungstag der Schweizer Wanderwege einigte man sich a.) auf einen einheitlichen Wegweiser Typus und b.) auf die Farbe Gelb. Die Gründe für Gelb liegen im Dunkeln, doch dürfte die gute Sichtbarkeit der Farbe mitgespielt haben. Seit 2006 leuchtet dem Wanderer schweizweit ein einheitliches Gelb entgegen: Gelb RAL 1007. Darauf kommt die Astra-Frutiger zum Einsatz, «ein schlanker, eleganter Schrifttyp», der in der Schweiz für Strassenschilder vorgeschrieben ist. Weiter steht auf Wegweisern die Abkürzung h statt Std. – h braucht weniger Platz und ist internationaler.
Ein Wanderwegweiser muss einiges aushalten können. Er ist Sonne, Wind und Schnee ausgesetzt. «Und es wird darauf geschossen, was nicht selten vorkommt», sagt Daniel Steudler, Leiter der Abteilung Wanderwege bei der Firma Sommerhalder smartgrafik in Thun. Ob die Schützen dabei nüchtern sind, entzieht sich seiner Kenntnis. Ohne Schussschaden überleben die Wegweiser locker 20 bis 30 Jahre.
Fast alle Exemplare bestehen aus Aluminium, auf das die Schrift aufgedruckt und danach mit einem Schutzlack überzogen wird. Alle? Nein, Graubünden hält dagegen. Dort bestehen die Schilder aus Reliefguss und sind besonders langlebig. Die Besonderheit daran ist, dass die Schrift aus dem Schild hervorsticht. Verblasst die Farbe, kommt neuer Lack auf das immer noch lesbare Schild – voilà! Die Schilder geniessen laut Stephan Kaufmann, Geschäftsführer Wanderwege Graubünden schon fast Kultstatus und haben die schweizweite Digital- und Siebdruck-Welle erfolgreich überlebt.
Die Faustregel lautet: pro km Weg eine Viertelstunde plus 15 Minuten pro 100 Höhenmeter bergauf. Bergab zählt man 15 Minuten pro 200 Höhenmeter dazu. Wer also 10 km wandert und dabei 100 Höhenmeter bezwingt: 2 h 45 min.
Auf rund 50 Millionen Franken pro Jahr werden die Kosten für Neubau und Erhalt der Wanderwege in der Schweiz geschätzt. Ein Kilometer Wanderweg kostet im Schnitt für den Unterhalt 800 Franken pro Jahr. Die Wanderer ihrerseits geben in der Schweiz in diesem Zeitraum rund 2,3 Milliarden Franken aus. Eingerechnet sind Anreise-, Übernachtungs- und Verpflegungskosten. Dazu kommen Ausgaben für Wanderkarten und Ausrüstung.
Weltweit einzigartig ist, dass die Wanderwege nach einer Volksabstimmung seit 1979 in der Bundesverfassung verankert und damit eine Staatsaufgabe sind. Auf der Grundlage des Verfassungsartikels wurde das Bundesgesetz über Fuss- und Wanderwege ausgearbeitet, das 1987 in Kraft trat. Seither sind Fuss- und Wanderwege in der Schweiz geschützt und dürfen nicht mehr einfach nach Gutdünken asphaltiert oder betoniert werden.
Quellen: Wanderwege Schweiz