Warum müssen sich Wanderfans in Graubünden viel mehr anstrengen als anderswo, um die angegebenen Wegzeiten einzuhalten? Wie wird eigentlich die Wanderzeit berechnet? Wer hat das Wandern «erfunden»? Antworten auf 10 brennende Fragen.
Der Kantönligeist floriert(e) auch bei den Wanderwegen. Die kantonalen Wanderweg-Sektionen, die ab 1934 für ihre Wanderwege zuständig waren, rechneten je nach Kanton mit einer Wandergeschwindigkeit zwischen 4 und 4,5 km/h. Dazu kam nach Gusto eine Reservezeit, damit auch wirklich alle Wanderer die letzte Gondel oder das Postauto erwischten. Andere Vereine liessen Freiwillige losmarschieren und verwendeten die Durchschnittszeit. Während im Flachen oft Familien eine Route erschlenderten, schickte man bei den Bündnern angeblich «topfitte Bergsteiger» los. Die Bündner wurden dadurch «die schnellsten» und zehren auch heute noch von diesem Image.
Ein Lehrer aus der Ostschweiz, den es störte, mit seiner Klasse durch Auto-Abgaswolken über den Klausenpass zu wandern. Er ergriff die Initiative, schöne Wanderstrecken zu beschildern. Daraus entstanden 1934 die Schweizer Wanderwege und die 26 kantonalen Wanderweg-Organisationen. Verbindendes Element war die einheitliche Signalisation von Wegstrecken mit gelben Wegweisern. Sie weisen auch heute noch den Weg über Stock und Stein. Mit Begeisterung legten damals die Verantwortlichen los, suchten in ihren Kantonen entspannende Routen für Wanderwege und stellten Schilder auf. Diese mussten allerdings während des 2. Weltkriegs wieder abmontiert werden, denn man wollte einem allfälligen Invasor keine Informationen über mögliche Marschrouten geben.
65'000 Kilometer. Wer alle unter die Füsse nimmt, könnte ebenso gut die Welt eineinhalb Mal umrunden. Zum Vergleich: In der Schweiz gibt es 71 400 Kilometer Strassen und 5 100 Kilometer Schienen. Von den Wanderwegen sind 64 % Wege (gelb markiert), 35 % Bergwanderwege (weiss-rot-weiss markiert) und 1 % Alpinwanderwege (weiss-blau-weiss). Rund 50'000 Wegweiser liefern Wanderern Informationen über die Wegkategorie, das Ziel und oft Zeitangaben der Routen. Zählt man alle Markierungen dazu – Metallschilder ohne Zeitangabe, Farbmarkierungen und Kleber –, kommt man gar auf 250'000 Wander-Markierungen. (Lesen Sie unten weiter...)
Bereits am Gründungstag der Schweizer Wanderwege 1934 wurde ein einheitlicher Wegweisertypus mit der Farbe gelb festgelegt (siehe oben). Die Wanderweg-Signalisation lag in den Händen der einzelnen Wanderweg-Sektionen auf kantonaler Ebene. Seit 2006 leuchtet dem Wanderer schweizweit ein einheitliches Gelb entgegen: Gelb RAL 1007. Darauf kommt die Astra-Frutiger zum Einsatz, «ein schlanker, eleganter Schrifttyp», der in der Schweiz für Strassenschilder vorgeschrieben ist. Weiter steht auf Wegweisern die Abkürzung h statt Std. – h braucht weniger Platz und ist internationaler.
Die Wanderzeit wird heute mit einer komplexen mathematischen Formel berechnet. Sie bezieht die Horizontaldistanz, die Höhendifferenz und die Steigung in die Berechnung mit ein. «Die korrekte Marschzeit in den Bergen zu berechnen, war lange eine Herausforderung. In der Schweiz, dem Heimatland der Wanderwissenschaft, ist dieses Problem endlich perfekt gelöst – dank einer ultimativen Formel», schreibt ZEIT ONLINE mit einem Augenzwinkern.
Die Formel gilt seit 2006 für neue Wegweiser, spätestens ab 2026 sollen alle Wegweiser darauf beruhen, so Patricia Cornali, Medienverantwortliche von Schweizer Wanderwege.
Die Formel kann als Exceltabelle für den individuellen Gebrauch heruntergeladen werden – ein Angebot, das vor allem Mathematiker begeistern dürfte.
Da die Formel nur für neue Wegweiser ab 2006 verwendet werden muss, gibt es noch zahlreiche Wegweiser, deren Zeitangaben nach den herkömmlichen Methoden berechnet worden sind. 1941 wurde von einem Richtwert von 4,5 ausgegangen, in den 1980er-Jahren änderte sich dieser auf 4,2 im ebenen Gelände. Dazu kommen die von Testgruppen erwanderten Zeiten. Erst 2006 wurde mit der für die gesamte Schweiz geltenden Signalisationsnorm eine einheitliche Geschwindigkeit von 4,2 Stundenkilometern (in flachem Gelände) als Richtwert festgelegt. Dieser Wert wird seitdem in allen Kantonen berücksichtigt.
Die Faustregel lautet: pro km Weg eine Viertelstunde plus 15 Minuten pro 100 Höhenmeter bergauf. Bergab zählt man 15 Minuten pro 200 Höhenmeter dazu. Wer also 10 km wandert und dabei 100 Höhenmeter bezwingt: 2 h 45 min.
Auf rund 50 Millionen Franken pro Jahr werden die Kosten für Neubau und Erhalt der Wanderwege in der Schweiz geschätzt. Ein Kilometer Wanderweg kostet im Schnitt für den Unterhalt 800 Franken pro Jahr. Die Wanderer ihrerseits geben in der Schweiz in diesem Zeitraum rund 2,3 Milliarden Franken aus. Eingerechnet sind Anreise-, Übernachtungs- und Verpflegungskosten. Dazu kommen Ausgaben für Wanderkarten und Ausrüstung.
Graubünden belegt mit rund 11’000 Kilometern Platz eins, vor Bern mit 10’000 km. (Lesen Sie unten weiter...)
80 Prozent der Schweizerinnen und Schweizer und 50 Prozent der in der Schweiz lebenden Menschen sind regelmässig auf Wanderwegen unterwegs. Sie unternehmen rund 20 Wanderungen pro Jahr, die im Schnitt drei Stunden dauern. Alle in der Schweiz wohnhaften Menschen wandern 160 Mio. Stunden pro Jahr.
Weltweit einzigartig ist, dass die Wanderwege nach einer Volksabstimmung seit 1979 in der Bundesverfassung verankert und damit eine Staatsaufgabe sind. Auf der Grundlage des Verfassungsartikels wurde das Bundesgesetz über Fuss- und Wanderwege ausgearbeitet, das 1987 in Kraft trat. Seither sind Fuss- und Wanderwege in der Schweiz geschützt und dürfen nicht mehr einfach nach Gutdünken asphaltiert oder betoniert werden.
Quellen: Wanderwege Schweiz