Wegen Stress und Leistungsdruck geht im Arbeitsalltag Entspannung schnell vergessen – dazu kommen Mängel bei Bewegung und Ernährung. Dabei wären die Punkte wichtig für guten Schlaf. Wir zeigen, wie du zur Ruhe kommst.
Viele von uns kennen das: Der Wecker klingelt, doch wir kommen kaum aus den Federn, fühlen uns wie gerädert. Im Büro fallen uns vor dem Computer fast die Augen zu. «Klare Indizien für zu wenig oder schlechten Schlaf. Diese Warnsignale dürfen wir auf keinen Fall ignorieren und müssen etwas dagegen unternehmen», sagt Schlafexpertin Sonja Gysel. Sie arbeitet bei der fit im job AG, die zum Gesundheitsdienstleister Medbase gehört. In ihrer Funktion berät sie Firmen und weiss, wie wichtig das Thema Erholung und Entspannung für den Job ist. «Guter Schlaf ist für Körper und Geist essenziell. Andernfalls betreiben wir auf lange Sicht Raubbau.» Im schlimmsten Fall drohen unter anderem Burnout, Depression, Diabetes oder Herzinfarkt.
Wie wichtig Schlaf tatsächlich für uns ist, zeigen die vielen positiven Effekte der nächtlichen Erholung. Erstens: Das Immunsystem wird gestärkt. Während wir schlafen, schüttet unser Organismus sogenannte immunaktive Stoffe aus – diese helfen, unsere Abwehr zu stärken. Ausserdem werden dank des Hormons Somatropin Zellen in Haut und Gewebe repariert und unsere Knochen gestärkt.
Zweitens: Schlaf macht schlau. Wenn wir träumen, arbeitet das Hirn auf Hochtouren, es verarbeitet die Informationen des Vortags, strukturiert sie um, speichert sie ab und schafft Platz für Neues. Drittens: Schlaf fördert unsere Konzentration und macht uns ausgeglichen. Und viertens laden wir beim Schlafen unsere Akkus wieder auf.
Doch trotz dieser offensichtlichen Vorteile würden viele das Thema Schlaf auf die leichte Schulter nehmen, gibt Gysel zu bedenken. «Die Gesellschaft stellt hohe Ansprüche an uns, sodass wir versucht sind, beim Schlaf zu sparen. Wir versuchen, den Tag in die Länge zu ziehen.» Dabei bräuchten wir 7 bis 8 Stunden pro Nacht, um nicht die eingangs erwähnten Langzeitfolgen zu riskieren.
Und nicht nur fehlende Schlafstunden können zum Problem werden, sondern auch fehlende Schlafqualität. Schlafstörungen, die unter anderem durch einen schlechten Lebenswandel mit Stress, schlechter Ernährung, zu wenig Bewegung und zu wenig Pausen verursacht werden. Diese führen dazu, dass wir keinen Schlaf finden, uns im Bett wälzen und einer «Gedankenspirale» ausgeliefert sind, die nicht aufhört, sich zu drehen. «Die Nacht ist der Spiegel des Tages», so Gysel. «So wie wir unseren Tag verbringen, schläft es auch. Oder eben nicht.»
Was wir tun können, um Schlafdauer und -qualität auf ein gesundes Level zu hieven, teilt Sonja Gysel in die nachfolgenden vier Punkte auf. Der wichtigste Schritt auf dem Weg zu einem «tüüfe, gsunde Schlaf»: ausreichend Entspannung tagsüber. «Als ausreichend empfehle ich vier bis fünf kurze Pausen», so Gysel. «Einige mögen jetzt vielleicht sagen: Dafür habe ich keine Zeit. Aber die Pausen müssen wirklich nicht lang sein! Ein bis zwei Minuten pro Mal können je nach Stresspegel bereits ausreichen.»
In dieser Zeit solle man dann aber auch wirklich durchschnaufen und den Blick vom PC lösen, aus dem Fenster in die Ferne schweifen lassen – oder kurz raus an die frische Luft gehen und ein paar Schritte machen. «Eine Möglichkeit ist zudem, die Wartezeit an der Kaffeemaschine oder beim Drucker zum bewussten Abschalten zu nutzen. Oder auf dem Weg zur Arbeit der Halt an der Ampel. Statt uns über Rot aufzuregen, lieber kurz zu sich kommen, in sich hineinhören.»
Weitere Entspannungstipps für an der Ampel oder im Stau findest du hier. Empfehlenswert sei auch ein Powernap über Mittag: «Wichtig ist einfach, nicht länger als 15 bis 20 Minuten zu schlafen. Denn sonst kommen wir in eine andere, tiefere Schlafphase und wären danach noch müder als vorher.»
Einen grossen Einfluss hat auch die Ernährung. Nach dem Motto: Du schläfst, wie du isst. Das betreffe aber nicht nur das Abendessen, betont Sonja Gysel. «Am Mittag tendieren wir dazu, eher schwere Sachen zu essen. Dabei sollten wir zu dieser Tageszeit eher leichte Gerichte wählen, zum Beispiel Salat und Eiweiss.»
Von grossen Pasta-Portionen oder Pizza rät sie ab. «Essen wir mittags zu schwer, dann hat der Körper am Nachmittag schwer zu schaffen, der Blutzucker wird in die Höhe gejagt. Das ist für den Körper sehr belastend, wir werden müde.»
Speisen wie Teigwaren oder Reisgerichte solle man – anders als es etwa Ernährungsberater empfehlen – eher auf den Abend verlegen. «Am Abend will man ja müde werden.» Zu grosse Portionen solle man aber vermeiden, dazu die Finger von eher schwer Verdaulichem wie Fleisch, Käsespeisen oder Salat lassen. «Besser ist gekochtes Gemüse. Das kann der Magen leichter verdauen.» Wichtig: Nicht später essen als drei bis vier Stunden vor dem Zubettgehen, weil dann ein Grossteil der Verdauung bereits abgeschlossen ist.
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Der dritte wichtige Punkt für guten Schlaf: sich über den Tag verteilt ausreichend bewegen. Als Faustregel gelten 10’000 Schritte, dabei sollte man möglichst einen längeren Abschnitt von 20 Minuten am Stück einbauen. Auspowernde sportliche Aktivitäten wie etwa ein Training im Fitnesscenter soll man aber tendenziell am Mittag oder am Nachmittag planen, rät Sonja Gysel. «Trainieren wir abends hart, ist der Adrenalinspiegel für das Einschlafen zu hoch.»
Nicht zu vernachlässigen ist laut der Expertin die richtige Schlafhygiene. Darunter versteht man die Vorbereitungszeit vor dem Schlafengehen, die nebst Ritualen wie Zähne putzen oder Schlafzimmer lüften vor allem einen Zweck hat: zur Ruhe zu kommen. Eine bis anderthalb Stunden müssen wir dafür einkalkulieren. «In dieser Zeit sollten wir nichts tun, was aktivierend wirkt», erklärt Gysel. Keine gute Idee ist demnach alles, was mit Social Media zu tun hat, oder auch Fernsehen bis direkt vor dem Schlafengehen. Konflikte sollte man ebenfalls nicht gerade spätabends austragen.
Zur Ruhe komme man stattdessen, wenn man Musik höre, etwas lese, ein Bad nehme oder einen kurzen Spaziergang mache. «Einigen hilft es zudem, kurz auf den Balkon zu gehen und ein paar Mal tief einzuatmen. Jeder muss für sich selbst herausfinden, was für ihn das Beste ist.»
Ganz generell gehe es auch darum, den Kopf auf etwas Positives zu richten, was ebenfalls zu einem entspannten Zustand führe. «Führe ein Erfolgsjournal, in das du Erfreuliches oder Erreichtes des Tages schreibst. Oder vergegenwärtige dir lustige oder aufbauende Erlebnisse des Tages, das kann schon nur die Begegnung mit der netten Nachbarin sein. Oder das schöne Wetter.»
Doch nicht immer führen diese simplen Tricks auch wirklich zu genug Ruhe. Für diesen Fall rät Gysel zu Entspannungstechniken. Wir stellen nachfolgend drei Tools vor.
Mit dieser Entspannungstechnik denkt man sich an seinen Lieblingsplatz, an einen Ort, an dem man sich wohlfühlt – das kann der Strand in Thailand sein oder der Spazierweg in den Bergen. Diesen Ort stellt man sich bei der Gedankenfahrt aber nicht als statisches Bild, sondern als Film vor. «Weil das Hirn nicht in der Lage ist, vollständig zwischen Fiktion und Realität zu unterscheiden, erleben wir den erdachten Ort fast so, als seien wir wirklich dort. Das löst Wohlgefühle in uns aus und entspannt.»
Bei dieser Technik denken wir uns fast wie einen 3D-Scanner von oben nach unten oder von unten nach oben durch unseren Körper und fragen uns ganz wertfrei: Was nehme ich wahr? Bin ich entspannt? Oder verspüre ich Spannung oder Druck? «Es geht darum, sich selbst wahrzunehmen, achtsam zu sein. Denn Achtsamkeit ist wichtig, um Entspannung erreichen zu können.» Generell geht es bei Meditationsformen darum, sich auf etwas zu fokussieren. Sobald man das schafft, hört das wilde Denken und Gewusel im Kopf auf, das uns so nervös macht. Man kommt zu sich.
Während es eine ganze Reihe aktivierender Yoga-Arten gibt, gehört Yoga Nidra zu den entspannenden Techniken. Dabei wird mittels einfacher Atmungs- und Visualisierungsübungen eine Art «bewusster Schlaf» erreicht, der tiefe Entspannung auf körperlicher, mentaler und emotionaler Ebene verspricht. Schon eine halbe Stunde Yoga Nidra hat den Effekt von drei bis vier Stunden Schlaf. Erlernt werden kann Yoga Nidra wie die beiden zuvor erwähnten Techniken in einem Kurs der Klubschule Migros. Dort findest du zudem viele weitere Angebote zum Thema Entspannung und Meditation.
Um herauszufinden, ob deine Belastung im Alltag zu hoch ist – und was du dagegen tun kannst –, empfiehlt sich ein Stress-Check bei Medbase. Dabei wird per Elektroden eine Messung der sogenannten Herzfrequenzvariabilität (HRV) über 72 Stunden gemacht, die deine Stressfaktoren ermittelt und die Schlafqualität evaluiert. Im anschliessenden Coachinggespräch erhältst du konkrete Verbesserungstipps für einen entspannteren Alltag.
Als Firma können du und deinen Arbeitskollegen zudem Vorträge oder Seminare zu den Themen Schlaf, Entspannung, Bewegung und Ernährung von fit im job besuchen. «Obwohl du dort als Team teilnimmst, profitiert davon jeder Einzelne», so Expertin Sonja Gysel dazu.