Nie ist es reizvoller, den Tiefkühler endlich mal abzutauen, als wenn die Steuererklärung ansteht. Warum nur schieben wir wichtige Aufgaben so oft vor uns her? Und vor allem: Was lässt sich dagegen tun?
Ich kann nur unter Druck gut arbeiten. Morgen mache ich dafür doppelt so viel. Zum Schreiben muss man in der richtigen Stimmung sein. Wenn ich erst einmal an der Arbeit sitze, geht es ganz schnell.
Gehören diese Sätze zu deinem Repertoire, mit dem du dein Gewissen beruhigst? Dann, wenn du eigentlich an der Abschlussarbeit schreiben oder den Spülkasten flicken solltest, aber stattdessen auf Netflix die neueste Staffel deiner Lieblingsserie schaust? Du bist nicht allein. Es gibt kaum jemanden, der sich nicht manchmal vor wichtigen, aber anstrengenden Aufgaben drückt und dafür etwas tut, das bequemer ist und, zumindest in diesem Moment, angenehmer scheint. Aufschieben ist menschlich.
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Unter Prokrastination (vom lateinischen «procrastinare», was so viel wie «Aufschieben», «auf morgen verlegen» bedeutet) versteht man in der Psychologie das krankhafte Aufschieben unangenehmer Tätigkeiten. Persönlich wichtige Aufgaben werden wiederholt aufgeschoben trotz eigentlich vorhandener zeitlicher Kapazität, auch dann, wenn negative Konsequenzen zu befürchten sind. Prokrastinierende putzen lieber noch schnell die Fenster, bevor sie sich an die längst überfällige Steuererklärung machen.
Ein Grossteil der Menschen erkennt sich wohl wieder in diesen Verhaltensmustern. So bezeichneten sich bei einer Umfrage unter US-amerikanischen College-Studenten 75 Prozent als Aufschieber; 50 Prozent von ihnen hatten deshalb Probleme im Studium. Problematisch wird das Prokrastinieren, wenn es zu einer ernsthaften Belastung wird und man unter den Folgen leidet.
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Im Rahmen der internationalen Klassifikation psychischer Diagnosen gilt Prokrastination nicht als Krankheit. «Dennoch kann das übermässige Aufschieben von Aufgaben als behandlungsbedürftig angesehen werden, da es dazu führen kann, dass Menschen ihre Potenziale nicht ausschöpfen», sagt Dr. Laura Sophia Kivelitz, eidg. anerkannte Psychotherapeutin FSP und leitende Psychotherapeutin bei WePractice. Dies führt häufig zu Frustration bis hin zu depressiven Verstimmungen und kann die Entstehung weiterer psychischer und körperlicher Probleme begünstigen. «Wenn betroffene Personen beispielsweise versuchen, sich durch vermehrtes Computerspielen oder Alkoholkonsum von den unangenehmen, aber wichtigen Aufgaben abzulenken, kann dies langfristig zu einer Suchtproblematik führen», führt Dr. Laura Sophia Kivelitz aus.
Prokrastination kann aber auch ein Begleitsymptom einer anderen psychischen Erkrankung sein. Bei ausgeprägter Einschränkung und Belastung kann ein Erstgespräch bei einer psychologischen oder ärztlichen Fachperson hilfreich sein.
«Im Rahmen einer Psychotherapie sollte zunächst diagnostisch abgeklärt werden, ob hinter dem Prokrastinieren gegebenenfalls eine psychische Erkrankung steckt, zum Beispiel eine Depression oder eine Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS). Wenn das Prokrastinieren also ein Symptom einer anderen Problematik ist, sollte zunächst die zugrunde liegende Thematik priorisiert behandelt werden», betont Dr. Laura Sophia Kivelitz.
Es ist in jedem Fall sinnvoll, ein individuelles Erklärungsmodell für das Prokrastinieren zu entwickeln, um die persönlichen (Hinter)gründe besser zu verstehen. Dies ermöglicht die Erarbeitung und Umsetzung von Strategien zur Verhaltensänderung, die auf die betroffene Person abgestimmt sind.
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«Obwohl sich die Forschung zur Prokrastination bisher fast ausschliesslich auf Akademiker konzentriert hat – es sind längst nicht nur Hochschulabsolventen, die Wichtiges oft zu spät angehen. Aufschieben ist weitverbreitet und betrifft Handwerker wie Hausfrauen, Künstler wie Unternehmer», sagt Margarita Engberding, die gemeinsam mit den Kollegen Anna Höcker und Fred Rist einen Ratgeber zum Thema herausgegeben hat. Prokrastinierende seien häufig Menschen, die in der Schule früher wenig Probleme hatten und ohne grossen Aufwand durchkamen. Sie hätten nicht gelernt, wie man Prüfungsstoff organisiert, Arbeiten schreibt und mit Frustrationen umgeht, wenn etwas nicht klappt. Doch glücklicherweise ist es nie zu spät, auch das zu lernen.
Mit diesem Tipp kannst du besser Prioritäten setzen. Nadine Kügerl, Personal Health Coach bei der SalutaCoach AG, zeigt dir, wie.