Selbstgespräche sind kein Zeichen von Verwirrtheit, sondern wichtiger Bestandteil der eigenen Psychohygiene. Was den Monolog mit sich selbst so gesund macht.
Alle reden mit sich selbst. Es gehört zum Alltag dazu. Schätzungen gehen von fast 100 Prozent aus, die es regelmässig tun. Dabei sind es weniger Geschichten, die man sich selbst erzählt. Nein, es sind vielmehr kurze Sätze oder Ausrufe, um motiviert zu bleiben, um sich selbst bei etwas zu kritisieren oder um die momentane Situation zu reflektieren.
Psychologinnen und Psychologen sind sich sicher, dass Selbstgespräche kein Tick sind, sondern einen biologischen Benefit haben, indem sie nämlich das Gehirn bei der Sortierung und Strukturierung der Gedanken unterstützen. Das beruhigt und entspannt, vor allem in stressigen oder anspruchsvollen Situationen.
Dass Selbstgespräche eine positive Wirkung haben, zeigt sich daran, wann wir mit uns reden. «Monologe mit sich selbst geschehen häufig dann, wenn wir uns auf eine Aufgabe konzentrieren und den nächsten Schritt dahersagen», sagt Agnes von Wyl. Sie ist Psychotherapeutin und Leiterin der Fachgruppe Klinische Psychologie und Gesundheitspsychologie an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften ZHAW. Studien zeigen, dass Probandinnen und Probanden dadurch bei Aufgaben konzentrierter und mit besserem Ergebnis zu Werke gehen und sich vor Prüfungen Dinge effektiver gemerkt haben. Auch sich selbst vor einer Aufgabe anzufeuern, ist häufiger Inhalt von Selbstgesprächen. «Sportlerinnen und Sportler haben sich das antrainiert. Aufkommenden negativen Gedanken setzen sie sofort einen positiven entgegen, indem sie ihn aussprechen.»
Vor einer sozialen Interaktion wie einem Bewerbungsgespräch oder einer Rede dienen Selbstgespräche dazu, diese Aufgabe vorab zu simulieren und im Kopf durchzuspielen. Genauso geht man aber auch vergangene Szenen und Unterhaltungen im Kopf durch und bewertet sie verbal. Das Selbstgespräch wirkt dabei wie ein Puffer, wie ein Ventil, das Emotionale rauszulassen. Es dient aber auch dazu, sich selbst in Situationen zu kritisieren oder diese zu kommentieren.
«Forschende haben herausgefunden, dass dies besonders gut klappt, wenn man mit sich in der zweiten oder dritten Person redet (‹du›, ‹sie›, ‹er›), und nicht in der ersten (‹ich›)», sagt Agnes von Wyl. So nimmt man eine gewisse Distanz zu sich selbst ein, kritisiert quasi eine andere Person oder gibt ihr Ratschläge und kann dadurch emotional gefasster damit umgehen. Es ist einfacher, seine Gedanken an einer anderen Person abzuarbeiten, sozusagen an einem imaginären guten Freund. Studien zeigen, dass Selbstgespräche in der zweiten Person zu mehr Selbstvertrauen und Motivation führen – «Du schaffst das!» Auch die Nervosität nimmt so ab.
«Es kann positive Auswirkungen haben, den Tag mit einem Kompliment an sich selbst vor dem Spiegel zu starten, etwa gerade nach dem Aufstehen oder später ohne Spiegel unter der Dusche, im Stau oder im Zug», sagt Agnes von Wyl. Das schüttet im Körper das Glückshormon Endorphin aus, auch wenn man sich quasi selbst überlistet. Droht der Tag stressig zu werden – etwa wenn ein Streitgespräch mit der Chefin oder dem Chef oder Mitarbeitenden ansteht –, lässt sich durch das positive Selbstgespräch eine andere Grundstimmung legen. Wichtig: keine negativen Gedanken aussprechen oder sich selbst abwerten.
(Fortsetzung weiter unten…)
Jeder Mensch führt Selbstgespräche, egal wie gebildet er ist, wie alt oder was er arbeitet. «Vor allem Menschen, die ihr Leben gut im Griff haben wollen, viel nachdenken, strukturiert vorgehen, neigen dazu, Situationen verbal zu verarbeiten», sagt die Zürcher Psychotherapeutin. Auch wer eher auf sich selbst fixiert ist, neigt zu Selbstgesprächen. Genauso wer als Einzelkind aufgewachsen oder Single ist.
Wer einsam ist, allein wohnt und nicht viel unterwegs ist, spricht eher mit sich selbst. «Diese Menschen versuchen sich durch Selbstgespräche oder indem sie mit ihren Haustieren reden, an ein Gegenüber zu richten und in Kontakt mit einem Lebewesen zu sein», erklärt die Zürcher Psychotherapeutin. Das funktioniert gut, da bei Selbstgesprächen die gleichen Hirnregionen aktiv sind, wie bei Gesprächen mit einer realen Partnerin oder einem realen Partner.
Kinder reden besonders häufig mit sich selbst. «Vor allem im Alter zwischen zwei und fünf Jahren sprechen Kinder fast ständig mit sich», sagt Agnes von Wyl. Sie kümmert es auch nicht, ob jemand zuhört. Indem sie Schritt für Schritt vorgehen und das Erlebte reflektieren, ordnen sie ihr Leben besser. Das gibt ihnen Halt. Etwa ab dem fünften Lebensjahr nimmt dieser Impuls ab. «Wie Erwachsene verlagern sie ihre Selbstgespräche immer mehr nach Innen – führen sie zwar mit sich selbst, aber sprechen sie nicht aus.»
Erwachsene achten darauf, den gesprochenen Monolog mit sich selber nicht in der Öffentlichkeit zu halten. Es kann peinlich werden. Denn so ganz tabufrei sind Selbstgespräche dann doch nicht. Man will nicht als krank, verwirrt oder einsam rüberkommen. «Tatsächlich sprechen Menschen mit psychischen Erkrankungen weniger mit sich als mit Menschen, die gar nicht da sind und die sie sich vorstellen», sagt Agnes von Wyl. Solche Gespräche sind von Wiederholungen geprägt, es wird nicht gemurmelt sondern laut gesprochen und auch die begleitende Gestik ist oft auffällig.