Träumen wir jede Nacht und warum vergessen wir die meisten Träume gleich wieder? Der Psychologe und Traumforscher Michael Schredl, hat uns diese und andere Fragen beantwortet.
Rund einen Drittel unseres Tages verbringen wir im Bett und schlafen – oder versuchen es zumindest. Und obwohl wir uns oft nicht erinnern können: Wir träumen dabei eigentlich immer.
Prof. Dr. Michael Schredl ist wissenschaftlicher Leiter des Schlaflabors am Zentralinstitut für seelische Gesundheit in Mannheim. Er selber schreibt seine eigenen Träume seit bald 40 Jahren auf.
Professor Michael Schredl: Ja. Das Gehirn schaltet nachts nicht einfach ab, deshalb haben wir auch immer Bewusstsein. Man träumt sogar während einer Narkose, nur weiss man das meistens nicht mehr. Wie das Herz ist auch das Gehirn immer aktiv.
Wenn wir schlafen, hat das Gehirn andere Aufgaben und arbeitet in einem anderen Modus als im Wachzustand. Wie bei einem Computer wird ein anderes Programm eingelegt. Wenn wir aufwachen, muss das Hirn vom Schlafmodus wieder vollständig in den Wachzustand wechseln, das kann bis zu 15 Minuten dauern. Während dieser Umschaltphase gehen die Träume leicht verloren. Je wacher wir werden, desto schneller vergessen wir die Träume.
Ja, das geht relativ leicht. Legen Sie einen Stift oder das Smartphone auf den Nachttisch. Bleiben Sie nach dem Aufwachen einen Moment liegen und wiederholen Sie das Geträumte in Gedanken, wie wenn Sie ein Gedicht lernen würden und schreiben Sie es danach gleich auf. Schon allein der Vorsatz, ein Traumtagebuch zu führen, kann helfen, sich besser zu erinnern.
Das kann die Wissenschaft bis heute nicht mit Sicherheit sagen. Eine der wichtigsten Funktionen des Hirns im Schlaf ist die sogenannte Gedächtniskonsolidierung. Dabei werden Informationen, die wir tagsüber aufgenommen haben, nochmals hervorgeholt und abgespeichert. So können wir Gelerntes im Langzeitgedächtnis festigen. Die Wissenschaft definiert Träume als subjektives Erleben im Schlaf. Ob dieses beim Abspeichern eine Rolle spielt, weiss man nicht. Vielleicht träumen wir auch einfach, damit es uns nicht langweilig ist, wie Kinder in einer Befragung einer Zürcher Psychologin vermuteten.
Immer, wenn wir schlafen, im sogenannten REM-Schlaf jedoch am intensivsten. REM steht für Rapid Eye Movements. In dieser Phase ist das Gehirn viel aktiver als im Tiefschlaf, deshalb träumen wir dann auch intensiver.
Im REM-Schlaf sind viele Bereiche im Hirn aktiv, zum Beispiel die für emotionales Empfinden, visuelle Wahrnehmung und Motorik. Wenn wir im Traum sprechen, ist das Sprachzentrum aktiv und wenn wir hören, was die andere Person sagt, ist der Bereich des Gehirns aktiv, der Sprache empfindet.
Von der Arbeit und von Dingen, mit denen wir uns tagsüber beschäftigen. Eine Studie, in der wir die Teilnehmerinnen und Teilnehmer dazu befragt haben, was sie in der letzten Zeit geträumt haben, zeigte, dass in 17 Prozent aller Träume Arbeitsthemen vorkommen. Wenn jemand in einer Partnerschaft lebt, taucht der Partner oder die Partnerin in etwa 20 Prozent der Träume auf. Hauptthemen sind dabei meist gemeinsame Unternehmungen. Sexualität steht weniger im Vordergrund. Auch die eigenen Kinder kommen oft vor. Studentinnen und Studenten, die den ganzen Tag lernen, träumen nachts jedoch selten davon, sondern eher von ihren Freunden und gemeinsamen Unternehmungen.
(Fortsetzung weiter unten…)
Männer träumen häufiger von Sex und ihre Träume spielen öfter im Freien. Sie träumen zudem mehr von physischer Aggression. Frauen dagegen mehr von Kleidern und zwischenmenschlichen Problemen. Da scheinen sich klassische Vorurteile bzw. Geschlechtsunterschiede im Wachleben zu bestätigen.
Auf jeden Fall bearbeiten wir sie. Wir wissen aber nicht, ob wir sie schon im Traum verarbeiten oder erst danach, wenn wir uns mit den Traumerinnerungen befassen, darüber sprechen und nachdenken.
Sie zeigen uns Erlebtes aus einem neuen Blickwinkel, indem sie aktuelle Themen kreativ und mit intensiven Gefühlen nochmals darstellen. Das kann uns auf Ideen bringen, auf die wir im Wachzustand vielleicht nicht gekommen wären. Sie können uns aber auch helfen, eine Situation besser zu verstehen. Nehmen wir den Verfolgungstraum: Wir haben Angst und laufen weg, aber egal, was wir tun, wir werden weiter verfolgt – bis wir in Angst und Schrecken aufwachen. Der Verfolgungstraum zeigt uns: Weglaufen bringt nichts. Übertragen auf die Probleme und Ängste im Wachzustand heisst das: Wir sollten uns den Problemen stellen und eine Strategie entwickeln, wie wir sie angehen können. Der Verfolgungstraum ist eine dramatisierte Version eines Themas, das uns tagsüber beschäftigt.
Wir schätzen, dass bis zu fünf Prozent der Bevölkerung etwa einmal pro Woche oder häufiger einen Alptraum haben, also so oft, dass er sie auch tagsüber belastet. Ein Alptraum ist ein Traum mit starken negativen Emotionen, wie Angst, Ekel oder Trauer, und das verbunden mit einem Gefühl der Hilflosigkeit. In einer repräsentativen Studie zum Thema, die ich für die «Apotheken Umschau» auswerten konnte, standen Fallträume an erster Stelle, Verfolgungsträume wurden ebenfalls häufig genannt. Wenn man die Leute ein Traumtagebuch führen lässt, sind Alpträume im Vergleich zu normalen Träumen jedoch viel seltener. Das liegt daran, dass Angstträume länger im Gedächtnis bleiben und wir uns zum Teil nach Jahren noch daran erinnern und darüber berichten können.
Es gibt eine einfache Übung: Gehen Sie den Alptraum in Gedanken nochmals durch, wenn Sie wach sind, und stellen Sie sich vor, wie Sie die Situation ändern: Wenn Sie verfolgt werden, nicht wegrennen, sondern sich zwei starke Helfer vorstellen, umdrehen und schauen, was da hinter Ihnen her kommt. Wenn Sie das zwei Wochen lang, einmal pro Tag, fünf Minuten mit demselben Traum üben, verändert er sich. Das funktioniert sehr gut, wie uns eine Studie gezeigt hat, die wir kürzlich zum Thema Alpträume durchgeführt haben. Bei 80 bis 85 Prozent der Leute hat die Übung geholfen.